Nato in Sorge Trump lehrt eigene Verbündete das Fürchten

Von Ansgar Haase, dpa/uri

17.6.2020

Die jüngsten Ankündigungen von US-Präsident Donald Trump sorgen in der NATO für grosse Unruhe. Sind vor der US-Wahl womöglich noch viel weitreichendere Entscheidungen zu erwarten als der Abzug von Soldaten aus Deutschland?

Die US-Pläne für einen Abzug Tausender Soldaten aus Deutschland schüren in der NATO die Sorge vor noch folgenreicheren Alleingängen des mächtigsten Alliierten. Am Rande einer Videokonferenz der Verteidigungsminister hiess es am Mittwoch aus Bündniskreisen, dass Präsident Donald Trump offensichtlich erwäge, noch vor der US-Präsidentschaftswahl im November einen vollständigen Rückzug der US-Truppen aus Afghanistan zu beschliessen.

Eine solche Entscheidung würde gegen zentrale Zusagen an die europäischen Alliierten verstossen und hätte unkontrollierbare Konsequenzen. So müsste der NATO-Ausbildungseinsatz in Afghanistan höchstwahrscheinlich sofort beendet werden, da die US-Truppen derzeit massgeblich für die Sicherheit sorgen.



Im Bündnis NATO wird befürchtet, dass es in Folge wieder zu einer Destabilisierung durch islamistische Talibankämpfer und zu Rückschritten bei Demokratie und Menschenrechten kommt. Das fast zwei Jahrzehnte lange NATO-Engagement in Afghanistan könnte so umsonst gewesen sein.

Abzugspläne lösen Unruhe im Bündnis aus

Öffentliche Äusserungen von Verteidigungsministern zu dem Thema gab es zunächst nicht. Diplomaten bestätigten allerdings, dass Trumps Ankündigungen über einen Teilabzug von Truppen aus Deutschland im Bündnis zusätzliche Unruhe ausgelöst haben. Sorgen macht demnach vor allem, dass die Entscheidung ohne vorherige Konsultationen getroffen wurde.

«Je mehr Trump seine Wiederwahl in Gefahr sieht, desto gefährlicher wird es auch für die NATO», kommentierte ein europäisches Delegationsmitglied. Trump habe seinen Wählern schliesslich bereits bei seiner ersten Wahl versprochen, möglichst schnell viele amerikanische Truppen nach Hause zu holen.

US-Präsident Donald Trump (2. von rechts) marschiert immer öfter in eine andere Richtung als seine europäischen NATO-Partner. Hier sieht man ihn mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und den Regierungschefs weiterer NATO-Staaten im Dezember 2019 in Watford, Grossbritanninen.  (Archiv) 
US-Präsident Donald Trump (2. von rechts) marschiert immer öfter in eine andere Richtung als seine europäischen NATO-Partner. Hier sieht man ihn mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und den Regierungschefs weiterer NATO-Staaten im Dezember 2019 in Watford, Grossbritanninen.  (Archiv) 
Bild: Keystone

In diesem Zusammenhang wird nun auch Trumps Ankündigung gesehen, fast 10'000 der derzeit 34'500 Soldaten aus Deutschland abziehen zu wollen. Offiziell begründete der US-Präsident seine Entscheidung mit der Weigerung der Bundesregierung, die deutschen Verteidigungsausgaben bis 2024 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen.

Harsche Kritik Macrons bestätigt

Bitter sind die Entwicklungen für die NATO vor allem deswegen, weil sie die harsche Kritik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu bestätigen scheinen. Dieser hatte das Bündnis im vergangenen Jahr als hirntot bezeichnet und angeprangert, dass es bei wichtigen strategischen Entscheidungen keine Koordinierung unter Bündnispartnern gebe.

In Folge startete Generalsekretär Jens Stoltenberg zuletzt einen Reflexionsprozess zur Stärkung der politischen Zusammenarbeit innerhalb des Bündnisses. Trumps jüngster Alleingang ist nun ein herber Rückschlag für ihn.

Im Mittelpunkt der zweitägigen Beratungen der Verteidigungsminister sollten ursprünglich Themen wie der Umgang der NATO mit der Stationierung von atomwaffenfähigen russischen Marschflugkörpern in Europa stehen. So will das Bündnis im Gegenzug bodengestützte Luftverteidigungssysteme ausbauen und Übungen und Aufklärungskapazitäten anpassen. Zudem soll in der sogenannten Nuklearen Planungsgruppe über mögliche Anpassungen der atomaren Abschreckung gesprochen werden.

Ein Ausbau der Abschreckung könnte zum Beispiel durch zusätzliche Übungen mit Atombombern oder nuklear bewaffneten U-Booten erfolgen. Lediglich Planungen für die Stationierung neuer landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen werden bislang ausgeschlossen.

«Anpassungen nötig»

Ein Sprecher des deutschen Verteidigungsministeriums sagte der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch, Russland habe mit der Stationierung neuer nuklear fähiger Mittelstreckenraketen die Verschlechterung der Sicherheitslage in Europa zu verantworten. Nun seien Anpassungen notwendig, ohne das aggressive russische Verhalten zu spiegeln.

«Wir werden mehr üben, um schneller auf mögliche Entwicklungen reagieren zu können», erklärte der Sprecher. Zudem seien eine Analyse der Fähigkeiten zur Frühwarnung und Aufklärung sowie der konventionellen Verteidigungssysteme notwendig. Darüber hinaus werde die NATO unverändert den Dialog mit Russland suchen und «alle glaubwürdigen Initiativen zu verifizierbarer Abrüstung, Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung unterstützen».

US-Verteidigungsminister Mark Esper meldete sich unterdessen öffentlich kurz per Twitter zu Wort: Er freue sich über Diskussionen zu zentralen Sicherheitsfragen, schrieb er zu den Beratungen mit den NATO-Kollegen. Als Beispiele nannte er eine Stärkung der Abschreckung und das Thema Verteidigungsausgaben.

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