DiplomatieTöten und töten lassen – Trumps Schweigen zum Fall Nawalny
Von Philipp Dahm
3.9.2020
Wie schon beim Nervengift-Anschlag auf Sergej Skripal vor zwei Jahren will Washington auch in der Causa Nawalny keinen Kommentar abgeben. Putin setzt beängstigende Zeichen – und Trump lässt ihn gewähren.
«Hier ist, was wichtig ist», legt US-Aussenminister Mike Pompeo im August los. «[Dieser Staat] ist eine echte Bedrohung für Europa. Wir kennen die Art von Aktionen, die sie hier durchgeführt haben. Wir kennen das Risiko von geplanten Attentaten, es gab Ermittlungen deswegen in ganz Europa.»
Zwei Tage später sagt Pompeo: «Wir fordern ein Ende jeglicher politischer Verfolgung und jeglicher Unterdrückung. Die Verteidiger von Menschenrechten, Akteure aus dem Sozial- und Gesundheitswesen, Mitglieder [lokaler Gruppen] und [des Parlaments] sowie die Bevölkerung im Ganzen leiden unter wachsender Repression.»
Pompeo spricht in obenstehenden Zitaten nicht etwa über Russland und Alexej Nawalny: Das erste Interview erscheint am 12. August, das zweite am 14. August – und der Fall Nawalny kommt erst sechs Tage später ins Rollen. Der US-Aussenminister ruft nach Rechtsstaat, Demokratie und Freiheit, als es um den Iran und Venezuela geht.
Und wie reagieren Donald Trump und seine Administration auf den Mordanschlag auf den russischen Oppositionellen? Sie hüllen sich ins Schweigen. Während Politiker aus Deutschland und Grossbritannien für diplomatische Verhältnisse deutlich auf die aktuellen Ereignisse reagieren und dabei von EU-Kollegen und NATO-Grössen unterstützt werden, sagt Washington zum Nowitschok-Nachweis bisher nichts.
Washingtons Desinteresse mag verwundern, doch andererseits passt es zum Kuschelkurs, den das Weisse Haus gegenüber Russland fährt.
«Nun, ich denke, dass unser Land auch viel tötet»
«Trumps Schweigen ist nicht überraschend», analysierte der «Phildalelphie Inquirer», «weil er Wladimir Putin noch nie kritisiert hat – trotz einer langen Liste ermordeter Kremlkritiker. Als er 2015 auf die zahlreichen Morde unter russischen Journalisten angesprochen wurde, antwortete Trump: ‹Nun, ich denke, dass unser Land auch viel tötet.›»
Auch als Moskaus Agenten 2018 auf britischem Boden agieren und den russischen Überläufer Sergej Skripal ins Visier nehmen, besteht der US-Präsident – ungewohnt genau – erst auf handfeste Beweise. Nachdem das Nervengift Nowitschok nachgewiesen wird, tut Trump den Vorfall als «Agentenspielchen» ab. Er soll erst nach langem Zureden bereit gewesen sein, als Antwort russische Diplomaten auszuweisen – so wie es die EU vorgemacht hatte.
Nach dem Anschlag auf Nawalny ist das Muster dasselbe: Man schaue sich das an, war die erste, dünne Reaktion. Und nachdem nun ein Bundeswehr-Labor nach Konsultation der britischen Spezialisten – die auch schon beim Skripal im Einsatz waren – Nowitschok zweifelsfrei nachgewiesen hat, ignoriert Trump das Thema.
Moskau markiert, Trump ignoriert
Er greift stattdessen andauernd seine politischen Gegner auf Twitter an, wundert sich «Business Insider». Ins selbe Horn stösst CNN: «Trump schweigt, während die Oberhäupter der Welt von Putin Antworten fordern».
Trumps Teilnahmelosigkeit wiegt bei den Gift-Anschlägen doppelt schwer, denn Nowitschok kann man nicht in der Apotheke kaufen. Wird das Nervengift nachgewiesen, ist klar, dass der Angreifer ein staatlicher Akteur ist. Moskau müsste aber Alternativen im Arsenal haben, die man nicht so gut zurückverfolgen kann – das wiederum würde bedeuten, dass Putin mit den Attentaten Zeichen setzen will.
Vor zwei Jahren demonstrierte er, was Überläufern blüht, und nun, was Oppositionellen blüht. Weil dem Kreml internationales Recht oder menschliche Konventionen dabei offensichtlich egal sind, üben London und Berlin 2018 wie auch jetzt den Schulterschluss. Dass sich innerhalb der EU gerade die kleinen Nachbarstaaten Russlands Sorgen machen, ist nachvollziehbar.
Angst der Anrainer
Warum? Während Trump sich im März 2018 nicht zu Kritik an Putin durchringen kann, watscht er im Juli 2018 beim NATO-Gipfel Angela Merkel für ihre Flüchtlingspolitik ab. Danach hören Estland, Lettland und Litauen sowie die Ostseeanrainer und Polen mit Unbehagen, was Trump bei Fox kundtut.
Auf die Frage «Warum sollte mein Sohn nach Montenegro gehen, um es bei einem Angriff zu verteidigen?», antwortete der Republikaner: «Ich verstehe, was Sie sagen. Ich habe dieselbe Frage gestellt. Montenegro ist ein winziges Land mit sehr starken Leuten. Sie könnten aggressiv werden und du steckst dann im Dritten Weltkrieg, Glückwunsch.»
Was zwei Monate vor der US-Wahl sicher scheint, ist, dass Donald Trump Russland auf diplomatischem Parkett keine Steine in den Weg legen wird. Ob das in einem Bündnisfall auch so sein würde, werden wir hoffentlich nie erfahren.