Kiews 3. Sturmbrigade«Wenn wir angreifen, sehen wir dem Feind ins Auge»
Carsten Hoffmann, dpa/phi
25.9.2023 - 00:00
Ukrainische Soldaten müssen jeden Quadratmeter Boden hart erkämpfen. Russland hat mehr Material und setzt oft auch mehr Soldaten ein. Da ist genaue Vorbereitung auf den Angriff überlebenswichtig.
25.09.2023, 00:00
25.09.2023, 09:16
Carsten Hoffmann, dpa/phi
Für den Vormarsch ukrainischer Soldaten bei der Rückeroberung besetzter Gebiete muss jeder Schritt sitzen. Die 3. Sturmbrigade der Ukraine kämpft dabei ganz vorn an der Front.
«Wenn wir unsere Position verteidigen, sind wir 50 bis 60 Meter vom Gegner entfernt. Wenn wir angreifen, dann sehen wir dem Feind ins Auge», sagt Iwan (26). Er ist mit seinem Kameraden Roman (24) nach Kostjantyniwka gekommen, etwa 20 Kilometer vom umkämpften Bachmut entfernt.
Die Explosionen der Kämpfe sind hier nur als dunkles Grollen zu hören, fast wie ein fernes Gewitter. Roman und Iwan, zwei junge Kerle mit Vollbart, sind vom Militär für das Gespräch abgestellt und berichten wie aus der Pistole geschossen über Tücken und Kniffe bei Feuerkämpfen.
Ihre Aufgabe in dem seit mehr als anderthalb Jahren laufenden Krieg ist es, im Raum Bachmut im ostukrainischen Gebiet Donezk die russischen Truppen zurückzudrängen – dabei Minenfelder und Panzersperren zu überwinden und feindliche Stellungen zu durchbrechen.
Die Russen «lernen auch»
Vor dem Angriff gebe es genaue Besprechungen: Jeder Schritt werde vom Kompaniechef und dem «Spiess» erklärt. Bis hin zu Landschaftsdetails werde das Kampfgebiet dafür am Sandkasten nachgebaut. Dann würden die Aufgaben zugewiesen. Manche beteten dann noch, sagt Roman.
Er selbst setzte mit dem Beginn des Kriegs auf eine Tätowierung im Nacken, von der er sich Schutz erhofft: Engelsflügel gehalten von einem Kreuz in Schwertform. Dann werde für den Kampf gepackt. Sturmgepäck. Man neige dazu, mehr als nötig mitzunehmen, aber abwerfen könne man immer noch.
Die russischen Gegner dürften nicht unterschätzt werden, «sie lernen auch», sagt Roman. Der Feind habe sehr gut ausgerüstete Einheiten, «die erst aufgeben, wenn man sie erschiesst». Mit ihrer überlegenen Artillerie machten sie es den ukrainischen Fusssoldaten, die sich in Waldgebieten und im Häuserkampf durch vermintes Gelände vorarbeiten müssen, das Leben überaus schwer.
Vor dem Sturmangriff ist einiges passiert
Andere Männer wie Jewhen (55) machen die Präzision des militärischen Räderwerkes überhaupt erst möglich. Der gemütlich wirkende Hauptmann vom Typ Seebär führt Trupps von Artillerieaufklärern und schaut in einer Pause in der Kleinstadt Kramatorsk immer wieder auf sein Handy, ob er gefordert ist.
Seine Soldaten identifizieren im Raum südlich von Bachmut russische Geschütze, versteckte Panzer oder Soldaten in ihren Stellungen und geben deren Positionen für den Beschuss durch die eigene Artillerie durch. Der Gegner unternimmt alles Mögliche, um die Aufklärer zu behindern, wie der Offizier sagt.
Doch in der Dämmerung – wenn das Licht schon schlecht ist, die Nachtsichtgeräte aber noch kein deutliches Bild liefern – gibt es ein schmales Zeitfenster. Die Beobachter schleichen sich auf ihre Verstecke mit Blick auf das Gefechtsfeld und melden, was sie sehen. Kameras mit Livebildern werden installiert, Drohnen sind im Einsatz. Der Blick reicht so weit über das Sichtfeld hinaus.
Im unscheinbaren Auto die Front abfahren
«Meine Aufgabe ist die ganzheitliche Überwachung des Kampfraums», sagt Jewhen. Die drei Beobachtungsmethoden sind seine «Sensoren». Er selbst bewegt sich in einem unscheinbaren Auto entlang des Frontgebiets, wurde aber durchaus schon entdeckt. In einem Erdloch sei er in Deckung gegangen, während um ihn Granaten explodierten. Auch die Hälfte der Drohnenführer habe schon Verletzungen erlitten.
«Wir sind besser mit Präzisionsschlägen, aber beim Gegner ist es die schiere Masse an Menschen. Und sie sind von der Propaganda verblendet», ist er überzeugt. «Wir haben beobachtet, wie russische Offiziere ihre Leute ins Feuer gezwungen haben, obwohl die Situation ausweglos war und sie sich hätten ergeben können.»
Ein VW Bus oder ein Pritschenwagen reichen, um einen Drohnentrupp unauffällig mobil zu machen. In wenigen Minuten haben drei Soldaten eine Leleka-Drohne und den Steuerstand am Rande der Stadt Kramatorsk aufgebaut. Zwei von ihnen haben eine grundlegende militärische Ausbildung.
Mit Joystick und Computer – die Drohnenführer
«Im Nahbereich fliegen wir über Joystick, auf die Entfernung wird am Computer gesteuert», sagt Wolodomyr (31), ihr Offizier. Er führt eine Drohnentruppe der 56. ukrainischen Brigade. Auf den Bildschirmen ist eine Landkarte und die Position der Drohne zu sehen.
Ihr Kamerabild werde live übertragen und für eine genauere, spätere Auswertung auch aufgezeichnet, erzählt er. Wolodomyr trägt Zivil und könnte als Vermessungsingenieur durchgehen, wäre da nicht die Pistole am Gürtel.
Die Drohne kann bis zu eineinhalb Stunden fliegen und dabei mehr als 80 Kilometer zurücklegen. Ihre Elektromotoren sind leise, und doch können russische Verbände das Fluggerät schon beim Start technisch ausmachen. Viele Drohnen werden abgeschossen, sagen die Soldaten. Nach 100 Flügen muss das kleine Fluggerät überholt werden.
Erfolge südlich von Bachmut
Zuletzt erklärte das britische Verteidigungsministerium, es seien Erfolge der Ukraine im Kampf um Bachmut sichtbar. Die Rückeroberung der Dörfer Klischtschijiwka und Andrijiwka südlich der Stadt bringe die ukrainischen Truppen näher an eine der Hauptversorgungsrouten der russischen Besatzer heran.
Zudem sei die russische Verteidigung von Bachmut geschwächt, nachdem russische Luftlandetruppen an die Front im südukrainischen Saporischschja verlegt worden seien. Allerdings fehlt es den Ukrainern an Munition für Artillerie und Mörser. Auf eine umfänglich funktionierende Luftwaffe, die an der Seite der Bodentruppe in Gefechte eingreift oder gewissermassen vorher alles plattmacht, können sie nicht zurückgreifen.
Trotzdem zeigen sich hier viele ukrainische Soldaten siegesgewiss, auch getragen von der Unterstützung westlicher Staaten. Oft zu hören ist die Sichtweise, dass die russischen Streitkräfte dumm kämpfen und ihre eigenen Soldaten verheizen. In der ukrainischen Armee wird dafür verächtlich der Begriff «Fleischsturm» benutzt.
Die Panzertruppe denkt schon an das Ende des Sommers
Für den weiteren Kampf um Bachmut trainiert die 22. Brigade der Ukraine in der Nähe von Kostjantyniwka Nachtschiessen mit einem Kampfpanzer. Die Besetzung des T-72 wird eingewiesen und feuert im Abstand von wenigen Minuten zwei Granaten ab, die auf einem Hügel gegenüber einschlagen.
Die Brigade wurde erst vor etwa einem Jahr neu aufgestellt. Infanterie sowie der Stab waren zur Ausbildung in Deutschland. Sie wurden auf von den US-Streitkräften genutzten Truppenübungsplätzen in Bayern trainiert. Noch scheint die Sonne, bald wird der Regen den Boden durchnässen. Da kommen auch Panzer im Schlamm an ihre Grenzen.
Das Gesicht von Oberstleutnant Wassyl (49) ist mit Schweiss und Staub verdreckt. Er verfolgt die Fragen hellwach, will aber keine sicherheitsrelevanten Details preisgeben. Klar sei, dass sich das Wetter auswirken werde. Er sagt: «Wenn der Herbst kommt, verschwindet die Vegetation. Wir sind leichter zu erkennen und müssen uns tiefer eingraben.» Wie es weitergehe? Wassyl wiegelt ab. «Es können hier keine Prognosen gestellt werden.»
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