Nord-Stream-LecksExperte: Kein Zweifel an Detonationen als Ursache
dpa/uri
27.9.2022 - 16:45
Lecks bei Nord Stream 1: So sprudelt Gas in die Ostsee
Aus den Pipelines Nord Stream 1 und 2 von Russland nach Deutschland tritt derzeit an drei Stellen in der Ostsee unkontrolliert Gas aus. Die dänische Marine veröffentlichte Aufnahmen, auf denen eine grossflächige Blasenbildung an der Meeresoberfläc
27.09.2022
Innerhalb kurzer Zeit wurde bei den beiden Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 ein Druckabfall festgestellt. Inzwischen wurden drei Lecks geortet. Die Hinweise für einen Sabotage-Akt mehren sich.
Nach gleich drei Lecks in nur kurzer Zeit an den Ostsee-Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 wird ein Sabotageakt nicht ausgeschlossen. In Polen, Russland und Dänemark hält man einen gezielten Anschlag auf die europäische Gasinfrastruktur als Ursache für die als beispiellos geltenden Schäden an beiden Pipelines für möglich.
«Wir sehen deutlich, dass ein Sabotageakt vorliegt»
Auch aus Sicht deutscher Sicherheitskreise spricht vieles für Sabotage. Sollte es sich um einen Anschlag handeln, würde angesichts des Aufwands nur ein staatlicher Akteur infrage kommen, hiess es am Dienstag. Zwar wird aktuell durch keine der Pipelines Gas geliefert, der Gaspreis stieg angesichts der Verunsicherung aber.
Am Montag war in den Leitungen von Russland nach Deutschland ein plötzlicher Druckabfall beobachtet worden. «Wir kennen heute noch nicht die Details dessen, was da passiert ist, aber wir sehen deutlich, dass ein Sabotageakt vorliegt», sagte der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki im polnischen Goleniow. Aus Sicht der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen ist es schwer vorstellbar, dass es sich um Zufall handele.
Nach Einschätzung der dänischen Regierung sind die Lecks das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung. Auf die Frage, ob es sich um einen Anschlag auf Dänemark gehandelt habe, sagte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Dienstagabend in Kopenhagen, die Lecks befänden sich internationalen Gewässern. «Die Antwort ist daher nein.»
In Moskau will die Regierung einem Sprecher zufolge keine Variante ausschliessen. Der Betreiber von Nord Stream 2 ist misstrauisch: Dem Sprecher Ulrich Lissek zufolge sind die Leitungen so verlegt, dass eine gleichzeitige Beschädigung mehrerer Leitungen etwa durch einen einzelnen Schiffsunfall höchst unwahrscheinlich ist.
Messstationen in Schweden und Dänemark haben einem Medienbericht zufolge vor dem Entstehen der Nord-Stream-Gaslecks kräftige Detonationen unter Wasser verzeichnet. Es bestehe kein Zweifel daran, dass es sich um Sprengungen oder Explosionen handele, sagte der Seismologe Björn Lund vom Schwedischen Seismologischen Netzwerk (SNSN) dem schwedischen Rundfunksender SVT.
Lecks vor dänischer Insel Bornholm lokalisiert
Insgesamt drei Lecks waren – nach einem ersten Druckabfall in der Nacht auf Montag – sowohl in einer der Röhren von Nord Stream 2 wie auch in beiden Röhren der Nord-Stream-1-Pipeline entdeckt worden. Dänische Behörden lokalisierten diese in der Ostsee vor der dänischen Insel Bornholm, teils in schwedischen Gewässern. Wegen der Gefahr für die Schifffahrt richteten dänische Behörden Sperrzonen ein.
Nach Angaben der dänischen Energiebehörde können Schiffe den Auftrieb verlieren, wenn sie in das Gebiet hineinfahren. Zudem bestehe möglicherweise eine Explosionsgefahr. Ausserhalb der Zone gebe es keine Probleme – auch nicht für die Einwohner von Bornholm und der kleinen Nachbarinsel Christiansø.
In den betroffenen Ländern wird an Lösungen gearbeitet. Sowohl in Schweden als auch in Dänemark wurden Krisenstäbe einberufen. Als man von den Lecks erfahren habe, sei das Krisenmanagement zusammengerufen worden, an dem mehrere Ministerien und Behörden beteiligt seien, sagte die schwedische Aussenministerin Ann Linde der Zeitung «Aftonbladet». Der dänische Aussenminister Jeppe Kofod habe sie kontaktiert, virtuelle Treffen seien am Abend geplant.
Nord Stream AG veranlasst Untersuchungen
Das deutsche Innenministerium nimmt die Beschädigungen an den Pipelines nach Aussage eines Sprechers sehr ernst. «Wir sind hierzu innerhalb der Bundesregierung, mit den deutschen Sicherheitsbehörden und mit unseren dänischen und schwedischen Partnern im engen Kontakt.»
Auch der Betreiber der Nord-Stream-1-Trasse will nicht untätig bleiben. Man veranlasse derzeit Untersuchungen, sagte ein Sprecher der Nord Stream AG, die für Nord Stream 1 zuständig ist. Zum Ausmass etwaiger Schäden könne man vorher keine Angaben machen.
In Deutschland sieht das für die hiesigen Pipeline-Abschnitte zuständige Bergamt Stralsund zumindest keine unmittelbare Gefahr einer Lageverschärfung: «Eine weitere Schadensausbreitung dürfte aus technischer Sicht – nach gegenwärtigem Stand – unwahrscheinlich sein», teilte die Behörde mit. Der Druck in den Leitungen habe sich entsprechend der Wassertiefe auf einem niedrigen Niveau eingestellt.
Erdgaspreis zieht an
Neben den direkten Auswirkungen auf die Schifffahrt waren die Folgen auch an den Energiemärkten zu spüren. Der Preis für europäisches Erdgas zog am Dienstag an. Der Terminkontrakt TTF für niederländisches Erdgas stieg bis auf rund 194 Euro je Megawattstunde an. Zuletzt lag er bei rund 188 Euro, das waren etwa 8 Prozent mehr als am Vortag.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sehen kurzfristig wenig Umweltrisiken. DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner forderte jedoch, das noch vorhandene Erdgas möglichst schnell aus den Leitungen abzupumpen, um eine Reparatur zu ermöglichen. Hierzu müsse man mit den russischen Stellen sprechen.
Deutsche und dänische Behörden wiesen darauf hin, dass die Vorfälle keine Auswirkung auf die Gasversorgung hätten, da die Leitungen zuletzt nicht für den Gasimport benutzt worden seien. Während über die Pipeline Nord Stream 1 bis vor einigen Wochen noch Gas aus Russland nach Deutschland geflossen war – wenn auch mit gedrosselter Kapazität – war die Genehmigung für den Import über Nord Stream 2 kurz vor dem russischen Angriff auf die Ukraine von der Bundesregierung auf Eis gelegt worden. Danach hatte sie wegen des Krieges eine Nutzung ausgeschlossen.
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