Nawalny, Ukraine, AnschlägeRussland im Kreuzfeuer – Putin warnt den Westen
Von Philipp Dahm
21.4.2021
Während der Oppositionelle Alexei Nawalny um sein Leben kämpft, sammeln sich heute Tausende zum Protest in Russland. Die Spannung an der Grenze zur Ukraine steigt – und Putin warnt den Westen im TV.
Von Philipp Dahm
21.04.2021, 14:08
Philipp Dahm
Es kracht zwischen Ost und West. Die Spannungen nehmen seit der Krim-Annexion 2014 stetig zu. Der Westen hat deswegen noch im selben Jahr Sanktionen gegen Russland beschlossen.
Wegen der Vergiftung auf Alexei Nawalny gibt es weitere Handelsbeschränkungen – und vergangene Woche legte Washington noch einmal nach. Diesmal sind diverse Hacker-Angriffe auf US-Einrichtungen und Manipulationen von US-Wahlen der Grund.
Moskau hat auf die Massnahmen von US-Präsident Joe Biden unverhohlen gereizt reagiert – und seinen Aufmarsch an der Grenze zur Ost-Ukraine kühl fortgesetzt. Die Truppenstärke wird mal mit 100'000, mal mit 120'000 und mal mit 150'000 angegeben.
Gleichzeitig steigt innerhalb Russlands der Druck: Nawalny-Anhänger wollen heute landesweit demonstrieren, Wladimir Putin hält eine Rede zur Lage der Nation, die im TV übertragen wird. Hier eine Übersicht über die grossen und kleinen Brandherde in Sachen Russland.
Der Fall Nawalny
Es steht schlecht um den Oppositionellen: Der 44-Jährige liegt als politischer Gefangener auf der Krankenstation eines Gefängnisses im sibirischen Pokrow, nachdem er aus Protest gegen die schlechten Haftbedingungen in Hungerstreik getreten war.
Nawalnys Zustand soll kritisch sein, seine Ärzte bekommen keinen Zugang zum Patienten. Das Weisse Haus liess verlautbaren, der Kreml werde für die Behandlung des Aktivisten zur Verantwortung gezogen: «Wenn Herr Nawalny stirbt, wird es Konsequenzen geben», sagte Bidens Sprecherin Jen Psaki. Leonid Volkov, der Nawalnys Organisation angehört, betonte dagegen, er hoffe auf ein Eingreifen bevor der Gefangene stirbt.
With all due respect, I would very much prefer that international community holds Putin accountable for everything that is happening to Navalny now BEFORE he dies. https://t.co/WiwJpbvCvy
Gleichzeitig haben seine Anhänger heute zu landesweiten Demonstrationen aufgerufen. Eine Karte auf der Homepage FreeNawalny lässt auf einigen Zuspruch schliessen.
Im Gebiet der Hauptstadt haben 170'00 Personen Interesse gezeigt. Es könnte also heute heiss hergehen in Russland, denn dass der Kreml Proteste cool erträgt, scheint ausgeschlossen: Vielmehr hat die Regierung schon Vorfeld reagiert und Mitstreiter Nawalnys unter Hausarrest gestellt.
Navalny’s press secretary Kira Yarmysh is only allowed to spend one hour outdoors under house arrest rules. It is during this hour that she got arrested on the day of the scheduled nationwide anti-Putin protest. https://t.co/U6hKo6IVVq
Ein probates Mittel, von innenpolitischen Spannungen abzulenken, ist die Aussenpolitik. Der Aufmarsch an der Ukraine-Grenze soll ausserdem den Druck auf Kiew erhöhen: Präsident Wolodymyr Selenskyj möchte gerne in die verteidigenden Arme der Nato flüchten, was wiederum für Russland keine Option ist, nachdem das Bündnis sich auf Polen und das Baltikum ausgedehnt hat.
Selenskyj hat Putin jedoch auch ein Gesprächsangebot unterbreitet: Gestern schlug der Ukrainer vor, den russischen Präsidenten in der Ost-Ukraine zu treffen. So sollten unnützer Verlust von Leben vorgebeugt werden, sagte Selenskyj in einer TV-Ansprache. Er betonte aber auch, sein Land sei bereit zu kämpfen, berichtet «France24».
Der Fall Schwarzes Meer
Das russische Militär führt nach eigenen Angaben ein Manöver auf der Krim durch. Das schliesst auch das Schwarze Meer mit ein, wo die Admiral Essen Marschflugkörper abgeschossen. Der Vorgang hat international Besorgnis ausgelöst.
Denn gleichzeitig wurde kolportiert, dass Russland eine sechsmonatige Blockade des Zugangs vom Schwarzen Meer plant. Diese solle nicht nur für militärische Schiffe gelten, schrieben russische Medien: Die Massnahme käme einer Seeblockade der Ukraine gleich. Rund 20 russische Kriegsschiffe haben gestern den Bosporus passiert.
Ein Sprecher des US-Aussenministeriums nannte das angebliche Vorhaben «eine weitere nicht provozierte Eskalation in Moskaus anhaltendem Bemühen, die Ukraine zu unterwandern und zu destabilisieren.»
Der Fall Tschechien
Schwere diplomatische Verwerfungen gibt es nun auch zwischen Moskau und Prag. Der Hintergrund: Kürzlich ist herausgekommen, dass russische Agenten hinter einer Explosion in dem tschechischen Dorf Vrbetice stecken sollen, bei der zwei Menschen ums Leben kamen.
Die Täter werden auch verdächtigt, an der Vergiftung des Oppositionellen Sergej Skripal 2018 im englischen Salisbury beteiligt gewesen zu sein. Die tschechische Regierung hat daraufhin 18 russische Diplomaten ausgewiesen. Moskau reagierte, indem es 20 tschechische Diplomaten des Landes verwies.
Prag hat nun wiederum laut überlegt, alle russischen Vertreter der Botschaft auszuschaffen. Jan Hamacek, der Innen- und Aussenminister ist, schrieb auf Facebook: «ich zu allem bereit. Sogar die Beziehung ganz neu aufzubauen. Das würde bedeuten, sie alle nach Hause zu schicken.» EU und Nato rief er zur Unterstützung auf.
Putin sieht den Westen als Provokateur
Putin selbst hat eine gänzlich andere Sichtweise der Dinge. Er untersteklt dem Westen Provokation und wirft ihm heute Umsturzversuche auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion vor. Zudem warnt der Kemlchef vor einem Überschreiten einer «roter Linie».
«Organisatoren jedweder Provokationen, die die Kerninteressen unserer Sicherheit bedrohen, werden ihre Taten so bereuen, wie sie lange nichts bereut haben», so Putin am Morgen in seiner Rede. «Aber ich hoffe, dass niemandem in den Sinn kommt, Russland gegenüber die sogenannte rote Linie zu überschreiten. Wo sie verläuft, das werden wir in jedem konkreten Fall selbst entscheiden.»
Putin kritisiert konkret, dass unlängst in Belarus ein geplantes Attentat auf Machthaber Alexander Lukaschenko vereitelt worden sei. Ihm zufolge sei der Westen bisher nicht auf jene Vorwürfe eingegangen, die am Wochenende publik wurden. Der Inlandsgeheimdienst FSB und der KGB in Belarus hatten mitgeteilt, dass im Zusammenhang mit dem geplanten Coup zwei Verdächtige festgenommen worden seien, darunter ein Mann mit einem US-Pass.
Es könne unterschiedliche Ansichten zur Politik Lukaschenkos geben. «Aber die Praxis der Organisation von staatlichen Umstürzen, die Pläne für politische Morde, darunter auch an höchsten Funktionären – das geht zu weit. Da sind schon alle Grenzen überschritten», endet Putin.