Der Kreml verschärft die Gangart gegen interne Kritiker. Jetzt traf es den russischen Ex-Geheimdienstoffizier und Ultranationalisten Igor Girkin, der nach Angaben seiner Frau vom Freitag in Moskau festgenommen wurde.
21.07.2023, 16:18
SDA
Girkin gilt als klarer Befürworter des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, er kritisierte aber zunehmend scharf die Kriegsführung Russlands und machte nicht einmal vor Präsident Wladimir Putin halt.
Russlands Staatschef drohte Polen unterdessen wegen der Verlegung von Truppen in Richtung des Nachbarlandes Belarus. Warschau hatte zuvor mitgeteilt, wegen der Präsenz russischer Wagner-Söldner im benachbarten Belarus eine noch unbekannte Zahl eigener Soldaten weiter in den Osten des Landes verlegen zu wollen.
Die Wagner-Truppe dürfte nach Einschätzung britischer Militärexperten in den kommenden Tagen ihre letzten aus Häftlingen rekrutierten Kämpfer aus deren Pflichtzeit entlassen. Den Briten zufolge kamen bis zu 20 000 der etwa 40 000 in Gefängnissen für die Söldnertruppe angeworbenen Ex-Häftlinge in der Ukraine ums Leben.
Ultranationalist Girkin wird angeblich Extremismus vorgeworfen
Dem russischen Ultranationalisten Girkin, der auch unter dem Pseudonym Igor Strelkow bekannt ist, werde Extremismus vorgeworfen, teilte seine Frau Miroslawa Reginskaja am Freitag auf Girkins Telegram-Kanal mit. Beamte des Ermittlungskomitees hätten ihn abgeführt. Über seinen Aufenthaltsort sei ihr nichts bekannt.
Girkin leitete 2014 den Aufstand der vom Kreml gelenkten Separatisten im ukrainischen Donbass-Gebiet. Gegen ihn liegt ein internationaler Haftbefehl wegen seiner Beteiligung am Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 im Jahr 2014 über dem Donbass vor.
Der militärischen Führung in Moskau warf er Inkompetenz und Korruption vor und forderte ein noch härteres und rücksichtsloseres Vorgehen in der Ukraine. Kritisierte er zunächst vor allem Generalstabschef Waleri Gerassimow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu, so richteten sich seine Vorwürfe zuletzt auch zunehmend gegen Putin, dem er Untätigkeit vorwarf.
Putin droht Warschau wegen Truppenverlegung
Der russische Staatschef stiess unterdessen wegen der Verlegung von Truppen in Richtung der Grenze zum Nachbarland Belarus Drohungen gegen Warschau aus. «Belarus ist Teil des Unionsstaates. Und die Entfesselung einer Aggression gegen Belarus würde eine Aggression gegen die Russische Föderation bedeuten. Darauf werden wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln reagieren», sagte Putin am Freitag bei einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrats.
Die Regierung des Nato- und EU-Staats Polen hatte zuvor mitgeteilt, wegen der Präsenz russischer Wagner-Söldner im benachbarten Belarus eine noch unbekannte Zahl eigener Soldaten weiter in den Osten des Landes verlegen zu wollen.
Russland will Wehrpflichtige künftig bis 30 Jahre einziehen
Mitten im Krieg gegen die Ukraine will Russland das Höchstalter für den Einzug von Wehrpflichtigen um drei Jahre anheben. Künftig sollten Männer bis 30 Jahre in die Armee eingezogen werden können, kündigte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Duma, Andrej Kartapolow, am Freitag in Moskau an. Bislang liegt das Höchstalter bei 27 Jahren.
Das Mindestalter soll hingegen bei 18 Jahren bleiben, wie die staatliche Agentur Interfax unter Berufung auf Kartapolow berichtete. Zwischenzeitlich war angekündigt worden, dass es auf 21 Jahre erhöht werden soll. Medienberichten zufolge soll die neue Regelung vom nächsten Frühjahr an gelten. Das Parlament muss noch zustimmen.
Verteidigungsminister Schoigu hatte bereits Ende vergangenen Jahres Änderungen in Aussicht gestellt. Beobachter erklärten dies mit der geplanten Aufstockung der Streitkräfte von derzeit 1,15 auf 1,5 Millionen Soldaten. Zugleich wiesen unabhängige Medien darauf hin, dass die Neuregelung der Armee Hunderttausende zusätzliche Wehrpflichtige bringen könnte. Das Höchstalter für die Einberufung von Reservisten wurde kürzlich erst von 50 auf 55 Jahre angehoben.
Selenskyj beruft nach kritischer Äusserung Botschafter in London ab
Kurz nach einer kritischen Äusserung über Präsident Wolodymr Selenskyj ist der ukrainische Botschafter in Grossbritannien, Wadym Prystajko, von seinem Posten abberufen worden. Selenskyj liess das entsprechende Dekret ohne nähere Erläuterungen am Freitag in Kiew auf seiner Website veröffentlichen. Vor knapp einer Woche hatte der Botschafter seinem Staatschef im britischen Fernsehen «ungesunden Sarkasmus» vorgehalten. Prystajko war drei Jahre lang auf Posten in London. Davor war er Vizeregierungschef und Aussenminister.
Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace hatte Kiew zuvor zu mehr Dankbarkeit für bisher gewährte Hilfe im Krieg gegen Russland aufgefordert. Selenskyj fragte daraufhin auf einer Pressekonferenz, was der britische Minister genau wolle. «Soll er mir schreiben. Wir können jeden Morgen dem Minister persönlich nach dem Aufwachen danken», sagte er. Prystajko hatte diesen Schlagabtausch als kontraproduktiv kritisiert. Grossbritannien ist eines der wichtigsten Partnerländer der Ukraine.
Ukraine: Russland setzt Interkontinentalrakete ein
Russland hat im Angriffskrieg gegen die Ukraine nach Angaben aus Kiew erstmals eine Interkontinentalrakete eingesetzt und damit offenbar auf Angriffe gegen eigene Gebiete reagiert. Hier Archivaufnahmen von einem Test mit einer russischen Interkontinentalrakete. Ziel sei die zentralukrainische Stadt Dnipro gewesen, meldete das ukrainische Medienportal Ukrainska Pravda unter Berufung auf anonyme Quellen am Donnerstag.
Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Amtszeit versucht, den Wunsch der Ukraine nach einem schnellen Nato-Beitritt auszubremsen. Sie befürchtete eine militärische Antwort Russlands. Das berichtet die 70-jährige Christdemokratin in ihren am Dienstag erscheinenden Memoiren mit dem programmatischen Titel «Freiheit», aus denen die «Zeit» vorab einen Auszug veröffentlicht hat.
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Selenskyj lässt Raum für zeitweise Gebietsabtretungen
Nach 1.000 Tagen Krieg in der Ukraine ist kein Ende in Sicht. Nun hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Raum für eine zeitweilige russische Kontrolle über ukrainische Gebiete gelassen.
Im Parlament sagte Selenskyj: «Vielleicht muss die Ukraine jemanden in Moskau überleben, um ihre Ziele zu erreichen und das gesamte Staatsgebiet wieder herzustellen.»
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