Diplomatischer «Game-Changer» Putin will russischen Überläufer in den USA töten lassen

Von Philipp Dahm

23.6.2023

In Miami Beach, Florida, haben US-Behörden einen Mexikaner dabei erwischt, wie er für Russland einem Überläufer nachspioniert hat.
In Miami Beach, Florida, haben US-Behörden einen Mexikaner dabei erwischt, wie er für Russland einem Überläufer nachspioniert hat.
EPA

Alexander Potejew hat elf Jahre lang als US-Doppelagent pikante russische Geheimnisse verraten, bevor er 2010 in die USA geflohen ist. Wladimir Putin hat Rache geschworen – und offenbar versucht, sie auch umzusetzen.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die USA haben am 16. Februar 2020 in Miami Hector Alejandro Cabrera Fuentes und seine Ehefrau unter Spionageverdacht verhaftet.
  • Das mexikanische Paar sollte Informationen über den Überläufer Alexander Potajew sammeln.
  • Potajew hat elf Jahre als Doppelagent gearbeitet, bevor er 2010 in die USA geflohen ist.
  • Wladimir Putin hat Rache geschworen, weil Potajew 2020 einen Ring russischer Schläfer in den USA auffliegen liess, zu dem auch Anna Chapman gehörte.
  • Das weckt Erinnerungen an den Fall Skripal, als ein russischer Ex-Agent in Grossbritannien vergiftet wurde.
  • Experten halten den Vorgang für einen «Game-Changer» und warnen, Überläufer müssten besser geschützt werden.

Es ist eine Geschichte, die Hollywood verfilmen könnte: 2020 wird in Miami, Florida, ein Mexikaner verhaftet. Er soll spioniert haben, werfen ihm die Behörden vor.

«Wie ihr sicher wisst, gibt es in Miami immer Spionage-Geschichten», erklärt damals ein Reporter von CBS. «Hier ist die nächste: Dieser Typ hat laut der Bundespolizei für die Russen gearbeitet. Er ist geschnappt worden, als er die Stadt verlassen wollte.»

Hector Alejandro Cabrera Fuentes habe den Auftrag gehabt, einem Einwohner von Miami nachzustellen, «der die USA mit Informationen versorgt hat». Der damals 35-Jährige sollte das Auto der Zielperson aufspüren und das Kennzeichen notieren. Nun ist klar, wen Moskau durch den Mexikaner ins Visier genommen hat: Der Kreml hat offenbar versucht, einen Russen in den USA zu töten.

Der Vorgang weckt Erinnerungen an 2018, als Moskau in Grossbritannien den Überläufer Sergei Skripal mit einem Nervenkampfstoff ermorden wollte. «Das ist ein Game-Changer», sagt Rebekah Koffler, die einst für den US-Geheimdienst gearbeitet und das Buch «Putin's Playbook» geschrieben hat, zu «Fox News». «Das ist eine sehr alarmierende Entwicklung. Wir realisieren gerade, dass keiner von diesen [Informanten] mehr sicher ist, und das ist sehr verstörend.»

Ex KGB-Agent Putin schwört Rache

Zuerst hat die «New York Times» (NYT) über den Fall berichtet, die sich auf das Buch «Spies: The Epic Intelligence War Between East and West» von Calder Walton beruft, das am 29. Juni erscheint. Der Geheimdienst-Experte der Universität Harvard schreibt, dass Alexander Potajew das Ziel der Aktion gewesen sei, der seit 2010 in den USA lebt.

Potajew hat von 2000 bis 2010 als stellvertretender Leiter der Abteilung für illegale Agenten beim russischen Auslandsnachrichtendienst gearbeitet, ist aber bereits 1999 von der CIA angeworben worden. Kurz bevor 2010 die russische Spionin Anna Chapman und neun weitere Agenten in den USA auffliegen, flieht Potajew aus Russland.

Denn Wladimir Putin schwört höchstpersönlich, dass die Person, die die Russen verraten hat, bestraft werden wird. 2011 wird in Moskau Anklage gegen Potajew erhoben – und der heute 71-Jährige wird in Abwesenheit zu 25 Jahren Haft verurteilt. Der Doppelagent hat nicht nur den grössten russischen Spionage-Ring der letzten Jahrzehnte auffliegen lassen, sondern auch Andreas und Heidrun Anschlag enttarnt, die im deutschen Marburg für Moskau spioniert haben.

Moskau erpresst Mexikaner, der zum Handlanger wird

Putin hat mit Potajew also eine Rechnung offen, die der Präsident bezahlt sehen will – und zwar mit Blut. Doch der Doppelagent ist zunächst nicht aufzuspüren, 2016 berichten russische Medien, Potajew sei tot – womöglich um den Mann in Sicherheit zu wiegen, der mit seiner Familie in Miami untergekommen ist.

Das sind die zehn russischen Agenten, die Potajew im Sommer 2010 enttarnt hat. Oben mittig: Anna Chapman. Sie wurden kurz darauf in Wien gegen vier Personen ausgetauscht.
Das sind die zehn russischen Agenten, die Potajew im Sommer 2010 enttarnt hat. Oben mittig: Anna Chapman. Sie wurden kurz darauf in Wien gegen vier Personen ausgetauscht.
AP

Vielleicht ist Potajew deshalb 2016 so unvorsichtig, sich unter seinem echten Namen ins Wählerverzeichnis eintragen und zudem eine Angler-Lizenz zu beantragen. Zwei Jahre später wird laut NYT öffentlich, dass Potajew in Miami lebt. Und der Kreml schmiedet einen Plan, um Rache zu nehmen.

Der Ausweis, der dem KGB-Mann Wladimir Putin vom Staatsministerium für Sicherheit der DDR 1985 in Dresden ausgestellt worden ist. 
Der Ausweis, der dem KGB-Mann Wladimir Putin vom Staatsministerium für Sicherheit der DDR 1985 in Dresden ausgestellt worden ist. 
Gemeinfrei

2019 findet Moskau einen armen Tropf, den der russische Geheimdienst benutzen kann. Hector Alejandro Cabrera Fuentes ist eigentlich alles andere als ein Agent. Der Mexikaner hat im russischen Kazan Mikrobiologie studiert und an der Universität Giessen in Deutschland seinen Doktor gemacht. «Für seine Familie war er ein Grund, stolz zu sein» schreibt die NYT, «mit einer Vergangenheit mit wohltätiger Arbeit und ohne Vorstrafen».

«Wir können einander helfen»

Doch Fuentes hat ein dunkles Geheimnis: Er hat eine Ehefrau in Mexiko, aber ist in Deutschland auch mit einer Russin liiert, die zwei Töchter hat. Dieses Trio besucht 2019 Russland, darf das Land danach aber nicht mehr verlassen. Im Mai 2019 reist Fuentes deshalb nach Osteuropa, als er von einem Agenten angesprochen wird: «Wir können einander helfen», soll der Mann gesagt haben.

Ein paar Monate später wird der Mexikaner angewiesen, eine Wohnung nördlich von Miami Beach zu nehmen, wo auch Potajew lebt. Fuentes gibt einem Mittelsmann 20'000 Dollar, um das Apartment nicht unter eigenem Namen anzumieten. Im Februar 2020 reist der Agent wider Willen nach Moskau, um Instruktionen einzuholen: Er soll Potajews Auto finden, das Kennzeichen notieren und den Standort weitergeben – ohne jedoch Fotos zu machen. 

Doch Fuentes versaut es. Er gelangt am 14. Februar 2020 in die Garage, in dem er sich hinter ein einfahrendes Auto klemmt. Das fällt einem Sicherheitsmann auf, der ihn befragt. Seine mexikanische Ehefrau macht derweil Fotos von Potajews Kennzeichen, was Sicherheitskameras aufnehmen. Anschliessend werden die beiden des Ortes verwiesen.

Deshalb nannte Biden Putin einen «Killer»

Zwei Tage später will das Paar nach Mexiko fliegen, doch die Grenzwacht durchsucht sein Handy – und findet die Fotos von Potajews Kennzeichen. Nach seiner Verhaftung vertraut er sich den Ermittlern an. Die Behörden gehen davon aus, dass er nicht um Potajews Bedeutung wusste und Informationen für einen Anschlag sammeln sollte. 

Wegen des Vorfalls weisen die USA im April 2021 zehn russische Diplomaten aus. «Wir können nicht erlauben, dass eine fremde Macht ungestraft in unsere demokratischen Prozesse eingreift», sagt damals Joe Biden – natürlich ohne auf den Fall einzugehen. Auch sein Interview vom März 2021 erscheint nun in einem anderen Licht: Damals sagt der US-Präsident, er glaube, dass Putin «ein Killer» sei.

Fuentes kooperiert mit den US-Behörden – und bleibt im Fokus des russischen Präsidenten und früheren KGB-Spions. «Putin hat die roten Linien schon lange überschritten», sagt der frühere CIA-Agent Marc Polymeropoulos, der NYT. «Er will alle diese Typen tot sehen.»

«Wenn sie versuchen, diesen Typen umzubringen, werden sie versuchen, unsere anderen Leute zu töten, die wir hier haben», warnt auch Rebekah Koffler bei «Fox News». «Es ist eine sehr alarmierende Entwicklung.» Die Expertin glaubt, dass die US-Geheimdienste wachsam bleiben müssen. «Der Fall hat demonstriert, dass russische Überläufer sich nicht in falscher Sicherheit wiegen dürfen, nur weil sie in den USA sind. Putin hat ein weit reichendes Netzwerk.»