Kreml erhöht Druck auf NorwegenPutin warnt vor der «endgültigen Zerstörung» der Beziehungen
Von Philipp Dahm
3.11.2022
Norwegens Armee wird in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt
Das an Russland grenzende Norwegen wird seine Streitkräfte ab Dienstag in erhöhte Alarmbereitschaft versetzen. Ministerpräsident Jonas Gahr Störe sagte in Oslo, angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sei es notwendig, dass alle
31.10.2022
Der Kreml warnt Norwegen mit Blick auf die Nato und die Ukraine deutlich davor, den «destruktiven Kurs» fortzusetzen. Oslo reagiert – und stärkt seine Truppen in der Region Finnmark, die an Russland grenzt.
Von Philipp Dahm
03.11.2022, 15:34
Philipp Dahm
Die bilateralen Beziehungen zwischen Russland und Norwegen haben sich in diesem Jahr zusehends verschlechtert. Seit dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine wurden an wichtigen Infrastruktur-Anlagen sowie Öl- und Gas-Plattformen Drohnen gesichtet.
Dann verhaften Grenzwächter einen Russen, der zwei Drohnen im Koffer hat. «Es ist ein Versuch, Norwegen und den Westen einzuschüchtern», ordnet Ståle Ulriksen, Forscher an der Königlichen Norwegischen Marineakademie, die Lage ein. Die Pipelines in seiner Heimat seien wahrscheinlich «das wertvollste Ziel in Europa»: «Der Wert von norwegischem Gas war niemals höher.» Die Folge: Die Armee wird am 31. Oktober in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt.
Bingo! He was registered at the address of the dormitory of the GRU academy. Which means he's no less than a colonel! Great job, Norway - you've caught yourself a colonel from the GRU. pic.twitter.com/jOqNReM1Ty
Nun erhöht Wladimir Putin den Druck auf das skandinavische Land erneut: Moskau droht Oslo relativ unverhohlen vor einer bilateralen Eskalation. «In Norwegen sind permanente ausländische Militärstützpunkte eingerichtet worden», sagt Marija Sacharowa am 2. November laut Tass. «Die korrespondierende Infrastruktur ist modernisiert worden, moderne Ausrüstung wurde beschafft und Oslo gehört nun zu den aktivsten Unterstützern der Nato in der Arktis.»
Die Kreml-Sprecherin fährt fort: «Wir bewerten solche Entwicklungen nahe der Grenze zu Russland als eine bewusste Verfolgung eines destruktiven Kurses hin zu einer Eskalation der Spannungen in der euro-arktischen Region und zu einer endgültigen Zerstörung der russisch-norwegischen Beziehungen.» Man sei offen für einen «ehrlichen Dialog in gegenseitigem Respekt», werde auf «unfreundliche Aktionen» jedoch «zeitnah und adäquat» antworten.
«Wir sind in der Lage, uns zu wehren»
Die Finnmark wäre im Fall eines Konflikts mit Moskau eines der ersten Ziele Russlands: Die Region grenzt an die Halbinsel Kola, die neben der Nordflotte mit ihren Atom-U-Booten auch wichtige Stützpunkte der russischen Luftwaffe beherbergt. «Russland muss diese Basen beschützen», erklärt Espen Skjelland, der der Forschungsdirektor am Forsvarets forskningsinstitutt, also dem Forschungsinstitut für Verteidigung, ist.
Diese Basen würden nun ausgebaut werden, um Nordnorwegen möglicherweise anzugreifen, sagt Skjelland «Sky News Australia». Nur 20 Kilometer hinter der Grenze seien zwei russische Brigaden mit 8000 Soldaten nur 20 Kilometer hinter der Grenze stationiert. «Wir sind sehr besorgt über das Risiko eines massiven russischen Angriffs», meint Skjelland.
Alltag norwegischer Truppen an der Grenze zu Russland.
Die Bedrohung sei Teil eines «grösseren Spiels – ich meine das Spiel der Abschreckung». Aus diesem Grund stärkt Norwegen seine Verteidigung im Norden: Am 1. Mai 2020 wird das Porsanger Battalion aufgestellt. Bis 2025 soll ihr Stützpunkt zu einem der grössten des Landes ausgebaut werden. «Das ist eine wichtige politische Entscheidung, um Norwegen im Ernstfall verteidigen zu können», sagt Oberstleutnant Ronny Bratli, Kommandant der Basis. «Wir sind in der Lage, uns zu wehren.»
Die US Air Force geht trotzdem auf Nummer sicher: Ein Spionage-Flugzeug fliegt von Grossbritannien aus die norwegische Küste und die Halbinsel Kola ab, berichtet der «Barent Observer» am 2. November – dies im internationalen Luftraum.
Klimawandel macht Arktis zur wichtigen Verkehrsader
Norwegen ist als Nato-Mitglied nicht nur wegen seiner Grenze zu Russland wichtig. Mit einem Beitritt Finnlands wächst die Nato-Grenze zu Russland über mehr als 1000 Kilometer. Das würde die wenigen Zufahrtswege zur Halbinsel Kola bedrohen, die durch tiefe Wälder führen und von Russland schwer zu beschützen wären.
Erklärt: Putins Problem mit der Nato
Die Ukraine verlangt Russlands Armee mehr ab als vom Kreml erwartet. Doch das eigentliche Ziel Wladimir Putins ist das Zurückdrängen der Nato: Die europäische Tiefebene ist der Schlüssel zu Moskaus Sicherheit.
14.06.2022
Norwegen stellt für Russland auch deshalb ein Problem dar, weil die Nordeuropäer die Speerspitze der Nato im Kampf um die Vorherrschaft im Polarmeer sind. Das wird umso wichtiger, je mehr die Klimaerwärmung die Schiffsrouten nach Asien freischmilzt, die nördlich von Russland in den Pazifik führt und deutlich schneller ist als die herkömmlichen Handelsrouten.
Dass die Nato das erkannt hat, zeigt das Manöver Cold Response im März und April. Das findet zwar bereits seit 40 Jahren statt, doch es war mit 27 teilnehmenden Nationen und rund 30'000 Soldat*innen noch nie so gross wie im Jahr 2022.
Ein Video des norwegischen Militärs zum jüngsten Cold-Repsonse-Manöver der NATO.
«Seit zehn, zwölf Jahren remilitarisiert Russland die Arktis deutlich», weiss Joachim Weber von der Universität Bonn, «und die Nato hat so gut wie nichts dagegen getan. Sie sind erst vor Kurzem aufgewacht und signalisieren nun der Gegenseite: Wir sind bereit und werden einsetzen, was wir haben, um euch in dieser Region etwas entgegenzusetzen.»
Nachhilfe beim Kampf in der Kälte: US Marines beim Cold-Response-Manöver.