Tichanowskaja: Belarus würde Wagner-Chef jederzeit Putin ausliefern
Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin ist nach Ansicht der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja auch in Belarus nicht sicher.
09.07.2023
Nach dem Wagner-Aufstand ist die Verwirrung in Russland immer noch gross: Angeblich würde Wladimir Putin Söldner-Boss Jewgeni Prigoschin gerne loswerden. Doch der Zeitpunkt ist offenbar nicht der richtige.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Der abgebrochene Wagner-Aufstand verwirrt die Menschen in Russland.
- Jewgeni Prigoschins Zustimmungswerte sind rapide gesunken, doch 28 Prozent halten immer noch zum Wagner-Boss.
- Wladimir Putin würde Prigoschin angeblich gerne eliminieren, will aber keinen Märtyrer erschaffen.
- Kiew behauptet, der FSB habe den Auftrag erhalten, Prigoschin zu töten. Das Attentat müsse aber erst vorbereitet werden.
«Ich denke, dass wir die Schlüsse vom letzten Samstag noch nicht gezogen haben», sagt seufzend Wladimir Solowjow mit Blick auf den Aufstand der Gruppe Wagner auf dem russischen Staatssender «Rossija 1». «Nicht mal annähernd alle, die man ziehen sollte.»
Der 59-Jährige gibt Einblick in die russische Seele: «Wir sehen das alles und denken: ‹Wir lieben diese Jungs, wir schätzen und respektiere sie – was machen sie? Was muss in dem Kopf einer Person passieren, die alles, was sie hat, ihrem eigenen Land zu verdanken hat?›»
Gemeint ist natürlich Jewgeni Prigoschin, der «noch vor Wochen Zeit mit dem Präsidenten verbracht hat», klagt Solowjow. «Er wäre immer in der Lage gewesen, die Dinge mit ihm zu besprechen.» Dabei sei der Wagner-Boss doch so ein «charmanter, cleverer, sehr talentierter Mann». Der Moderator gibt zu: «Ich habe keine einfachen Antworten für euch.»
Solowjow kennt Prigoschin persönlich. «Ich habe versucht, ihn zu warnen: Das ist Verrat am Mutterland», sagt er, weil der Söldner-Chef immer so schlecht über das Militär redet. Vom Marsch auf Moskau habe er nichts gewusst. «Das ist eine schreckliche Tragödie, es ist ein Bürgerkrieg. Der Westen reibt sich die Hände», ärgert sich der Moderator.
Putin will jetzt keine Märtyrer erschaffen
Solowjows widersprüchliches Gefühl dürfte stellvertretend für das stehen, was viele im Land denken. Früher war Prigoschin der harte Hund, den man ruft, wenn es brennt. Dann hat der 62-Jährige angefangen, die Armee-Führung zu kritisieren, und sein Name fiel in den Staatsmedien immer seltener. Dennoch bringt er es einen Tag vor dem Aufstand in der Bevölkerung noch auf einen Zustimmungswert von 58 Prozent.
Nun sehen die Zahlen anders aus: Der Wert ist auf 28 Prozent gesunken. Andererseits ist die Tatsache, dass immer noch mehr als ein Viertel der Bevölkerung zu ihm hält, bemerkenswert. Sie zeigt, dass Putin Prigoschin nicht einfach kalt stellen kann, solange dessen Soldaten noch zahlreich vorhanden und schwer bewaffnet sind.
Ins selbe Horn stösst das Washingtoner Institute for the Study of War: «Putin hat wahrscheinlich entschieden, dass er Prigoschin jetzt nicht direkt eliminieren kann, ohne einen Märtyrer aus ihm zu machen.» Der Kreml müsse erst sicherstellen, dass sich seine Unterstützer von ihm abwendeten. Deshalb sei damit zu rechnen, dass zunächst bloss Moskaus Verbalangriffe weitergehen.
Kiew: FSB soll Prigoschin töten
Der ukrainische Militärgeheimdienst glaubt, dass der russische Geheimdienst FSB den Auftrag erhalten hat, den Wagner-Boss verschwinden zu lassen. «Wir wissen, dass der FSB mit der Tötung von Prigoschin beauftragt wurde», sagt Kyrylo Budanow. «Die Zeit wird zeigen, ob sie dabei erfolgreich sein werden. So oder so, kein potenzieller Attentatsversuch wird schnell gehen.»
Im April wurde in den Pentagon-Leaks noch berichtet, es gebe zwischen dem FSB und dem Verteidigungsministerium einen Konflikt, weil sich beide Seiten uneins seien, wie der Krieg in der Ukraine weitergehen soll. Insofern scheint es fraglich, ob der FSB den Auftrag wirklich ausfüllen würde, wenn es ihn denn gibt.
In der Ukraine wird Wagner keine grosse Rolle mehr spielen, prophezeit Budanow: «Wir erwarten nicht, dass Wagner in der Ukraine als eigenständige Einheit auftritt und eigene Operationen durchführt. Und ich glaube, dass dieser Faktor für uns sehr wichtig ist.»
War General Surowikin VIP-Mitglied bei Wagner?
Der Kreml hat angeblich auch Untersuchungen gegen Piloten eingeleitet, die sich geweigert haben sollen, gegen Wagner zu kämpfen. Ermittlungen sind demnach auch aufgenommen worden, um zu klären, wieso die Nationalgarde den Aufständischen nicht entgegengetreten ist.
Kaum Konkretes gibt es zum Verbleib von Sergei Surowikin. Der General ist wegen seiner Nähe zur Gruppe Wagner angeblich verhaftet worden: Er soll vorab über den Aufstand informiert gewesen sein. CNN will nun Dokumente erhalten haben, die belegen sollen, dass der 56-Jährige sogar ein VIP-Mitglied der Söldner-Truppe ist.
Neben ihm sollen 30 weitere hochrangige Militärs einen solchen VIP-Status haben, heisst es weiter. Bestätigungen gibt es dafür nicht, und es ist auch unklar, welcher Form die angebliche Mitgliedschaft ist.