Analyse des grossen Kanzler-Schlagabtauschs«Warum soll man so doof sein» – und dann zückt Scholz die Kettensäge
Sven Ziegler
9.2.2025
Scholz und Merz machen in erstem TV-Duell Unterschiede deutlich
STORY: Hinweis: Dieser Beitrag wird Ihnen ohne Sprechertext gesendet. Friedrich Merz (CDU) / Kanzlerkanidat der Union «Industrieunternehmen gehen reihenweise ins Ausland, bringen das Geld ins Ausland. Und das Problem ist, das ist weg und kommt nicht wieder. Das zu stoppen, wird eine riesen Kraftanstrengung. Also, ich muss Ihnen einfach sagen, ich bin einigermassen erschüttert, mit welcher Wahrnehmung Sie hier heute Abend den Zustand unserer Wirtschaft beschreiben. Das hat mit der Realität da draussen ehrlich, Herr Scholz, gar nichts zu tun.» Olaf Scholz (SPD) / Kanzlerkandidat «Die Handelspolitik ist eine europäische Kompetenz und übrigens ein Grund, warum wir darauf bestehen sollten, dass wir als Europäer uns an unsere gemeinsamen Regeln halten. Wenn die USA Zollpolitik machen, wird es eine sehr exportstarke Nation geben, die darunter sehr zu leiden hat. Die lautet Deutschland. Und deshalb sind wir darauf angewiesen, dass die anderen uns als solidarischen Partner begreifen – bei der Zollpolitik, aber auch bei allen anderen Politiken. Um noch mal ein Thema vom Anfang ganz vorsichtig zu streifen.» Friedrich Merz (CDU) / Kanzlerkanidat der Union «Ich gehe davon aus, dass wir die Bundestagswahl gewinnen, und dass wir sie möglicherweise so gewinnen, dass wir nur einen Partner brauchen, vielleicht zwei haben. Dann werden wir selbstverständlich miteinander sprechen. Aber ich will schon mal eines sehr deutlich machen Das Problem, was hier im Raum steht und wir haben es zu Beginn angesprochen, ist die AfD. Die AfD war, als Herr Scholz angefangen hat, bei 10,3 %. Jetzt hört Herr Scholz auf. Sie liegt bei 20 %. Das ist eine ernsthafte Bedrohung für unsere Demokratie. Diese AfD muss wieder kleiner werden. Und Herr Scholz hat mit den Grünen zusammen versucht, in Deutschland eine linke Politik zu machen. Für linke Politik gibt es in diesem Lande schon lange keine Mehrheit mehr. Das heisst, alle diejenigen, die mit uns regieren wollen, werden sich bewegen müssen hin zur politischen Mitte.» Olaf Scholz (SPD) / Kanzlerkandidat «Und wir müssen in Deutschland vor dem Hintergrund unserer Geschichte alles dafür tun, dass die AfD keine Bedeutung hat. Deshalb gibt es mit denen keine Zusammenarbeit. Auf die Sozialdemokraten ist Verlass und auf mich.»
10.02.2025
Merz gegen Scholz, SPD gegen CDU. Am Sonntagabend kämpfen die beiden vielversprechendsten Kanzlerkandidaten im TV-Live-Duell um die Gunst der Wähler*innen. Die wichtigsten Punkte der Debatte.
Das Duell war mit Spannung erwartet worden. Am Sonntagabend treffen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) in Berlin aufeinander. Das Thema Migration beschäftigt die beiden Kandidaten, aber auch bei der Wirtschaft gibt es Redebedarf.
blue News fasst die wichtigsten Punkte der Debatte für dich zusammen.
Das Verhalten der Kandidaten
Nicht immer einig: Olaf Scholz (l.) und Friedrich Merz (r.)
Bild:Keystone
Kanzler Olaf Scholz reagierte bei den Attacken von Merz im Bundestag eher kühl, ging in den vergangenen Wochen kaum darauf ein. Nicht so am Sonntagabend: Der Kanzler schaltet voll in den Wahlkampf-Modus, geht immer wieder frontal auf Merz los. Scholz hinterlässt den Eindruck, als habe er nichts zu verlieren.
Merz hingegen wirkt souverän und abgeklärt und geht betont locker in das Duell. Ihm ist anzumerken, dass er als Favorit gilt.
Spannend: Normalerweise sind beide Kandidaten eher für gegenteilige Emotionen bekannt. Während sich der Kanzler öffentlich gern als kühler Staatsmann gibt, wird Merz oft nachgesagt, seine Emotionen nicht im Griff zu haben. Das wirkt an diesem Abend eher umgekehrt, auch wenn Scholz trotz allen Angriffen stets beherrscht bleibt.
Rhetorisch laufen beide Kandidaten zur Höchstform auf. Scholz ist dennoch im Nachteil: Häufig muss er seine Entscheide der vergangenen Jahre erklären, die auf komplizierten, teilweise internationalen Abkommen beruhen, etwa beim Thema Migration (siehe unten). Merz hingegen kann die Kanzler-Politik konsequent angreifen und dabei auf eine für den Normalbürger deutlich verständlichere Sprache zurückgreifen, ohne auf komplexe politische Beschlüsse eingehen zu müssen.
Auffallend: Beide Kandidaten setzen viel auf Zahlen, Prozente und Daten. Eine emotionale, direkte Ansprache an die Bürger*innen gibt es kaum. Beide scheinen zu wissen, dass an diesem Abend viel auf dem Spiel steht – niemand will sich einen Fehltritt erlauben.
Scholz bleibt auch am Sonntag dabei. «Es ist meine ernste Sorge, dass man mit der AfD zusammenarbeitet. Es ist ein Tabubruch, was letzte Woche passiert ist. Friedrich Merz hat stets beteuert, dass er nicht mit der AfD zusammenarbeitet, und daran hat er sich nicht gehalten. Ich glaube Herrn Merz auch jetzt nicht mehr, auch wenn er das Gegenteil beteuert.»
Merz widerspricht: «Uns trennen in den Ansichten Welten. Es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen AfD und Union. Wir werden nicht zusammenarbeiten, das kommt nicht infrage.» Dann zückt Merz plötzlich einen Zettel, liest ein Zitat von Scholz vor. «Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt», liest Merz ein Zitat von Scholz vor. «Das war auf kommunaler Ebene. Das sind unterschiedliche Ebenen», widerspricht dieser.
«Schönen Dank auch» bei der Migration – dann folgt der grosse Zoff
Bei der Debatte ging es zeitweise emotional zur Sache.
Bild:Keystone
Auch das Thema Migration spielt am Sonntagabend eine grosse Rolle. Aufhänger ist das Attentat in Aschaffenburg. «Mich schmerzt, dass wir Demonstrationen für den Kampf gegen Rechts haben, aber kaum jemand noch an die Opfer denkt», sagt Merz. Bei dem Attentat war ein zweijähriges Kind von einem 28-jährigen Mann getötet, der sich eigentlich nicht mehr im Land hätte aufhalten dürfen.
Scholz lobt die Erfolge seiner Partei. Unter ihm seien die Abschiebungen um 70 Prozent gestiegen. Ausserdem habe er Grenzkontrollen an den Aussengrenzen eingeführt. Merz sagt, in den drei Jahren unter Scholz habe es über zwei Millionen illegale Migranten gegeben. «Aber Sie haben ja nicht nichts gemacht», sagt Merz an Scholz gewandt. Dieser erwidert mit einem leichten Grinsen: «Schönen Dank auch.»
Scholz weist das entschieden zurück. «Es gab nie strengere Abschiebungsgesetze als heute. Sie, Herr Merz, versuchen hier, eine Show zu machen.» Dann wird die Debatte emotionaler. Als Scholz die Zusammenhänge auf europäischer Ebene erklärt, spottet Merz. «Ich verstehe nicht, was der Kanzler meint.»
Merz kritisiert SPD und Grüne scharf und wirft ihnen vor, nicht genug gegen irreguläre Migration zu unternehmen. Statt aktiv zu handeln, würden sie sich hinter dem EU-Recht verstecken. Er verweist darauf, dass andere Länder durchaus in der Lage seien, Migranten an ihren Grenzen zurückzuweisen. Bundeskanzler Scholz widerspricht entschieden: «Das, was Sie sagen, verstösst gegen europäisches Recht.»
Deutschland könne sich als grösstes EU-Land nicht erlauben, gegen die gemeinsamen Regeln zu verstossen, insbesondere jetzt, da die EU eine Einigung auf ein gemeinsames Asylrecht erzielt habe. «Warum soll man so doof sein?», entgegnet Scholz direkt an Merz gewandt.
Und dann holt Scholz die Kettensäge hervor
Der Mann mit der Kettensäge: Javier Milei auf einer Wahlkampfveranstaltung.
Bild:Keystone/AP/Natacha Pisarenko
Auch das Thema Inflation beschäftigt an diesem Abend. «Die Menschen in Deutschland sind ärmer geworden», sagt Merz. «Sag ich ja, aber die Ampel ist nicht daran schuld», so Scholz.
Überraschen kann Scholz beim Thema Bürokratie. Als er von Moderatorin Maybrit Ilner gebeten wird, den Satz «Man braucht für den Abbau der Bürokratie eine Kettensäge» zu vervollständigen, äussert er sich mit genau einem Wort. «Stimmt.»
Sogar Merz ist für einen Moment baff, schaut Scholz ungläubig an. Und stimmt seinem Kontrahenten dann im Grundsatz zu, betont aber, er spreche lieber von «Rückbau». Die Kettensäge-Rhetorik stammt vom rechten argentinischen Präsidenten Javier Milei, der mit einer ebensolchen im Wahlkampf posierte und sein Versprechen untermauerte, den Staatsapparat massiv schrumpfen lassen zu wollen.
Merz zeigt seine konservative Seite
Von links nach rechts: ARD-Fernsehmoderatorin Sandra Maischberger, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Friedrich Merz, ZDF-Moderatorin Maybrit Illner.
Bild:Keystone
Scholz hält Merz immer wieder auch seine konservative Seite vor. Merz kaschiert diese nicht. Als es etwa um das Thema Gendern geht, sagt Merz: «Behörden haben sich an den Rat der deutschen Rechtschreibung zu halten und sind keine Volkserziehungsanstalt» Scholz hingegen sagt: «Jeder soll so machen, wie er möchte.»
Als die Moderation die Kanzlerkandidaten auf Donald Trumps Vorstoss gegen transgenderfreundliche Gesetze anspricht, nutzt Merz die Gelegenheit, sich als der konservativere der beiden zu positionieren. Auf die Frage «Sollte es nur zwei Geschlechter geben?» antwortet er knapp, dass er diese Auffassung nachvollziehen könne. Scholz widerspricht und betont, es sei unangemessen, Menschen etwas zu nehmen, das sie glücklich mache. Er spricht sich klar für die Beibehaltung der rechtlichen Anerkennung eines dritten Geschlechts aus, das seit 2018 in Deutschland unter der Bezeichnung «divers» möglich ist.
Bei der Frage zum Verbleib auf der Plattform X von Elon Musk bringt Scholz Merz dann auch noch zum Lachen: «Ja, ich bleibe. Ich gebe auch Zeitungen, die mich nicht mögen, Interviews.»
Am Schluss tritt Scholz mit breiter Brust auf
Bei einem Thema kann Olaf Scholz richtig auftrumpfen. Als es gegen Ende der Debatte um die Aussenpolitik geht, tritt der Kanzler mit breiter Brust auf. Er betont, mit wie vielen Personen er in den vergangenen Wochen gesprochen habe, wie die Europäische Union etwa gegen die Drohung Trumps, Zölle zu verhängen, als Einheit auftreten wolle.
Zu Trumps Grönlands-Ambitionen sagt Scholz entschieden: «Man muss einfach sagen: no.»
Anders Merz. Beim Thema Aussenpolitik gibt er sich eher defensiv. Er setzt in Sachen Trump etwa auf Sätze wie «Er ist berechenbar unberechenbar» und «Vieles bei Trump dürfte wohl vor allem Rhetorik sein.» Anders als bei der Debatte um die innenpolitischen Punkte will sich Merz hier nicht in die Offensive wagen.
Das Spitzenduell der beiden Kandidaten vom Sonntag bleibt das einzige direkte Aufeinandertreffen bis zu den Wahlen in zwei Wochen. Aber: Schon nächsten Sonntag, 16. Februar, steht ein weiteres Kanzler-Duell auf dem Programm. Dann jedoch in einem breiteren Kreis. Neben Scholz und Merz stehen dann auch Alice Weidel (AfD) und Robert Habeck (Grüne) Red und Antwort.
Das Duell startet um 20.15 Uhr und wird auf RTL gezeigt.