Prozessbeginn in RusslandNawalny ruft zu Protesten gegen Putin auf: «Kampf um die Herzen und Köpfe»
AP / tchs
19.6.2023
Der aktuelle Prozess könnte für den russischen Oppositionsführer 30 weitere Jahre Haft bedeuten. Alexej Nawalny kündigt den Beginn einer Kampagne gegen die Entsendung russischer Truppen in die Ukraine an.
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19.06.2023, 20:26
19.06.2023, 21:17
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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Der inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny steht erneut vor Gericht.
Der Vorwurf lautet Extremismus, ihm drohen weitere 30 Jahre Gefängnis.
In einer Erklärung spricht er sich gegen Russlands Krieg in der Ukraine und Proteste gegen Präsident Putin aus.
Der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny hat zu Beginn eines neuen Prozesses gegen ihn eine Kampagne gegen die Entsendung russischer Truppen in die Ukraine angekündigt. Die gegen ihn erhobenen Extremismus-Vorwürfe können dem bereits eine neunjährige Gefängnisstrafe verbüssenden 47-Jährigen weitere 30 Jahre Gefängnis bringen. Eingeschüchtert zeigte er sich davon nicht.
In seiner von seinen Verbündeten auf sozialen Medien veröffentlichten Erklärung bezeichnete er den nach wenigen Statements erfolgten Ausschluss der Öffentlichkeit als Zeichen der Furcht des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zum Start der Kampagne gegen die vom Kreml so bezeichnete militärische Spezialoperation in der Ukraine erklärte Nawalny, es müssten Millionen Menschen erreicht werden, um die verheerenden Auswirkungen der Kämpfe zu erklären und «Putins Lügen und die Heuchelei des Kremls» zu bekämpfen.
«Niemand ausser uns könnte diesen Kampf um die Herzen und Köpfe beginnen, also müssen wir es machen und gewinnen», schrieb Nawalny.
Keine Medien im Verhandlungsraum zugelassen
Das Moskauer Stadtgericht, das den Prozess im Gefängnis IK-6 führt, liess Medien im Verhandlungsraum nicht zu. Auch Nawalnys Eltern wurde der Zugang verwehrt. Die Eröffnung wurde per Video in einen separaten Raum übertragen. Nawalny trug Gefängniskleidung und wirkte abgemagert, sprach aber nachdrücklich und energisch bei Beginn des Verfahrens.
Nawalny und seine Anwälte baten das Gericht dringend um eine öffentliche Verhandlung. Die Behörden wollten Details des Verfahrens unterdrücken, um die Schwäche ihres Falls zu verdecken, argumentierten sie. «Die Ermittler, die Staatsanwälte und die Behörden im Allgemeinen wollen nicht, dass die Öffentlichkeit von dem Prozess erfährt», sagte Nawalny.
Staatsanwältin Nadeschda Tichonowa beantragte dagegen den Ausschluss der Öffentlichkeit aus Sicherheitsgründen. Danach wurde die Videoübertragung abgebrochen. Der Richter folgte dem Antrag der Staatsanwältin und forderte Reporter auf, das Gelände zu verlassen.
Nawalny hat den Vorwurf des Extremismus als absurd zurückgewiesen. Er sagte dazu Anfang des Monats auch, ein Ermittler habe ihm gesagt, er könnte in einem separaten Prozess vor einem Militärgericht des Terrorismus beschuldigt werden, was eine lebenslange Haft zur Folge haben könnte.
Die Anklage beruht auf Aktivitäten von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung und Erklärungen seiner engsten Mitarbeiter. Die sagen, die Vorwürfe kriminalisierten im Nachhinein alle Aktivitäten der Stiftung seit ihrer Gründung 2011. Einer der Vertrauten, Daniel Cholodny, wurde von einem anderen Gefängnis nach Melechowo verlegt, um mit Nawalny vor Gericht zu stehen.
Harte Haftbedingungen für Kremlgegner
Nawalny hat Korruption enthüllt und grosse Demonstrationen gegen den Kreml organisiert. Er wurde im Januar 2021 verhaftet, als er aus Deutschland zurückkehrte, wo er wegen einer Vergiftung mit einem Nervenkampfstoff behandelt worden war. Nawalny hat erklärt, der Kreml habe den Giftanschlag auf ihn veranlasst.
Nawalnys Haftbedingungen sind hart. Monate verbrachte er ein einer kleinen Einzelzelle, auch als «Strafzelle» bezeichnet, begründet mit disziplinarischen Vergehen. Dazu zählten das nicht vorschriftsmässige zuknöpfen der Häftlingskleidung, eine nicht ordnungsgemässe Vorstellung gegenüber einem Aufseher und das Versäumnis, das Gesicht zu einer festgelegten Zeit zu waschen. Nawalnys Unterstützer haben den Gefängnisbehörden vorgeworfen, ihm keine angemessene medizinische Versorgung zukommen zu lassen.