Abschluss-Fotos im Krieg Ihr Traum lebt, der Rest liegt in Trümmern

phi

13.6.2022

Jugendliche in Tschernihiw machen Fotos ihrer Abschlussklasse vor dem Hintergrund des Krieges.
Jugendliche in Tschernihiw machen Fotos ihrer Abschlussklasse vor dem Hintergrund des Krieges.
Stanislav Senyak

Ukrainischen Schülern, die vor dem Abschluss stehen, steht Anfang des Jahres noch die Welt offen. Nun maschen sie ihre Abschluss-Fotos vor dem, was von ihrer Heimat übrig geblieben ist.

phi

Valerie und die anderen aus ihrer Klasse freuen sich auf den Abschluss des Schuljahres, das ihr letztes ist: Die ukrainischen Schüler*innen beginnen schon früh mit der Planung des Abschlussballs und denken bereits über Choreografien für den Ball nach. Am 22. Ferbuar kauft die junge Frau das Kleid für den Abend, den sie so herbeisehnt: Es ist ein Traum in Rot.

Doch zwei Tage später bricht ihre Welt zusammen – und drei Tage nach Beginn der russischen Invasion auch der Ort, an dem das grosse Fest standfinden sollte: die Schule Nummer 134 in Charkiw. Der Krieg ist über das Land getzogen und verdüstert den Ausblick in Valeries Zukunft.

Doch ihre Mutter Nadia will das nicht hinnehmen. Sie überredet ihre Tochter, am 6. Juni an den Ort zurückzukehren – und doch noch ein Abschluss-Foto zu machen. Die Tante stellt das Bild bei Facebook online: «Danke, liebe Valerie, dass du so stark und tapfer bist», schreibt sie dazu. «Ich bin so stolz auf dich und liebe dich so sehr.»

Die Aufnahme dieses unendlichen Kontrasts macht im Internet schnell die Runde – und wird etwa von Grössen wie dem politischen Berater Anton Herashchenko aufgegriffen und thematisiert. Valerie ist nicht die Einzige, die nicht auf den Schulabschluss verzichtet.

Mitschüler*innen der elften Klasse verlegen den Abschlussball auf ein Basketball-Feld. Nur drei Schüler sind da, um mit den Mädchen vor der zerstörten Schule zu tanzen, während im Hintergrund Soldaten zuschauen. Sie gehören zur Einheit Kraken des Regiments Asow, die die Schule zurückerobert hat.

Die Schüler*innen der Schule Nummer 134 haben mit ihren Bilderm Zeichen gesetzt – auch wenn ihnen das Shooting schwergefallen ist. «Ich habe elf Jahre dort verbracht», erklärt Valerie. «Als ich die Schule gesehen habe, hätte ich heulen könnnen. Es war die beste Schule, es stecken viele Erinnerungen darin.»

Ein weiteres unheinmliches Foto aus Tschernihiw.
Ein weiteres unheinmliches Foto aus Tschernihiw.
Stanislav Senyak

Valeriers Tante Anna ist froh, dass ihre Nichte den Schritt gewagt hat. «Ich denke, dass Foto hat so viel Kraft, weil es alle Jugendlichen repräsentiert, die in der Ukraine die Schule abschliessen.» Und diese Gruppe hat an dem Krieg schwer zu knabbern: «Es zerreisst allen das Herz.» Und das Beispiel hat offenbar Schule gemacht – wie weitere Abschluss-Bilder aus Tschernihiw zeigen, die beeindrucken.

Eine letzte Szene aus Tschernihiw.
Eine letzte Szene aus Tschernihiw.
Stanislav Senyak