USA-Expertin im Interview «Die Mehrheit der Trump-Wähler ist erschrocken»

Von Anna Kappeler

7.1.2021

Anhänger von US-Präsident Trump haben sich gewaltsam Zugang ins Kapitol verschafft. Solche Bilder schockieren und erzürnen das Gros der amerikanischen Bevölkerung, sagt US-Expertin Claudia-Franziska Brühwiler.
Anhänger von US-Präsident Trump haben sich gewaltsam Zugang ins Kapitol verschafft. Solche Bilder schockieren und erzürnen das Gros der amerikanischen Bevölkerung, sagt US-Expertin Claudia-Franziska Brühwiler.
Bild: KEYSTONE

Nach dem Sturm aufs Kapitol müssen die US-Republikaner hart mit sich selber ins Gericht gehen, sagt Claudia-Franziska Brühwiler. Die USA-Expertin der Uni St. Gallen über Trumps Anteil an den Ausschreitungen und die Zerbrechlichkeit von Demokratien.

Frau Brühwiler, wie konnte es so weit kommen?

Das ist nicht einfach zu beantworten. Es gilt zwei Ebenen zu unterscheiden. Erstens diejenige der Sicherheit: Warum war das Kapitol nicht besser geschützt? Warum konnte die Capitol Police – die Polizei des Kapitols – so leicht überrumpelt werden? Antworten hierzu sind verfrüht. Eine andere Ebene ist die politische: Warum wurde eine Masse derart aufgewiegelt? Eine Erklärung hierfür ist, dass der US-Präsident seit vier Jahren gezielt den Frust und die daraus resultierende Gewaltbereitschaft einiger seiner Anhänger befeuert hat.

Zur Person
zVg

Claudia-Franziska Brühwiler ist Lehrbeauftragte für Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen amerikanischer Konservatismus und amerikanische politische Kultur.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Statt dass Trump die rassistisch motivierten Ausschreitungen von Charlottesville verurteilt hätte, sagte er: Es habe gute Leute auf beiden Seiten gegeben. Hier ahnte ich das erste Mal: Es könnte noch schlimmer kommen. Gleichzeitig hat niemand damit gerechnet, dass es tatsächlich so kommt. Jetzt müssen wir erst mal verdauen, was für Bilder wir gestern gesehen haben.

Was bedeutet der Sturm auf das Kapitol – der ja von Präsident Trump angestachelt wurde – für die republikanische Partei?

Die Partei muss jetzt hart mit sich selber ins Gericht gehen. Ich traue ihnen zu, dass sie das auch wirklich tun. Gewisse Loyalisten haben sich bereits von Trump abgewendet. Senator Lindsey Graham etwa will nicht mehr Teil einer Partei sein, welche die Wahlresultate weiter infrage stellt. Auch moderate Stimmen werden lauter, die sagen, dass der Präsident die Feuer entfacht habe. Vielleicht werden die Republikaner vermehrt willens sein, auch mit der anderen Seite zusammenzuarbeiten.

Meinen Sie?

Die Zeichen sind da. Natürlich erleben wir keine «Friede, Freude, Eierkuchen»-Situation, aber wir werden gerade von den moderaten Republikanern mehr Selbstbewusstsein erleben. Die gestrigen Bilder schockieren und erzürnen das Gros der Amerikaner. Milizen werden zwar immer wieder in der Geschichte Amerikas von einem beachtlichen Teil der US-Bevölkerung unterstützt. Kippt aber die Stimmung wie letzte Nacht, fällt diese Unterstützung weg. Wird ein Symbol der amerikanischen Geschichte wie das Kapitol angegriffen, fehlt das Verständnis bei einer Mehrheit der Bevölkerung.



Könnte der Sturm auf das Kapitol eine Zeitenwende bedeuten, wo sich auch Anhänger von Trump vom Präsidenten distanzieren?

Von den über 70 Millionen Menschen, die Trump gewählt haben, sind nicht alle glühende Verfechter seiner Person oder seiner Politik. Viele entschieden sich wegen sachpolitischen Gründen für Trump. Oder auch schlicht deshalb, weil sie seit Jahrzehnten republikanisch wählen. Eine Minderheit der Trump-Wähler ist gewaltbereit. Hier muss man differenzieren. Es wird aber natürlich laute Stimmen geben, welche die gestrigen Vorfälle begrüssen. Das liegt auch daran, dass solche Leute am Rand aussen via soziale Medien gut gehört werden. Die Mehrheit der Trump-Wähler, die ironischerweise ja für Recht und Ordnung stehen, ist gestern erschrocken.

Kongressmitglieder fordern Trumps sofortige Absetzung. Wie realistisch ist es, dass Trump noch vor dem 20. Januar aus dem Weissen Haus fliegt?

Es gibt unbestätigte Verlautbarungen, dass Mike Pence mit dem Kabinett darüber beraten soll, den 25. Verfassungszusatz zu nutzen. Und so zu erreichen, dass Trump nicht mehr in der Lage ist, seine Amtsgeschäfte zu erledigen. Das wäre eine historische Sensation, das ist noch nie passiert.

Dieser 25. Verfassungszusatz beschreibt, was mit einem Präsidenten im Falle einer Amtsunfähigkeit passiert.

Genau. Vorgesehen war dieser Zusatz für den Fall einer körperlichen Amtsunfähigkeit, er könnte aber auch bei einer geistigen Krankheit angewendet werden. Bestätigt ist dieser Weg aber nicht. Die andere Option wäre das Amtsenthebungsverfahren, also ein Impeachment. Dafür aber reicht die Zeit bis zum 20. Januar schlicht nicht.

Das bedeutet?

Es gibt noch eine dritte Möglichkeit. Das Impeachment könnte auch erst nach Trumps regulärer Amtszeit angewendet werden. Dies, um zu verhindern, dass Trump im Jahr 2024 noch einmal zur Wahl antreten kann.

Halten Sie das für wahrscheinlich?

Wahrscheinlich wird Joe Biden als neuer Präsident nicht so weit gehen wollen. Bidens Kurs beinhaltet Versöhnung und Heilung. Mit einem Impeachment aber würde erneut die Frustration von Trumps Anhängern befeuert, auch würde sich die ganze Aufmerksamkeit erneut auf Trump konzentrieren. Oft will mit einem Präsidenten auch einfach abgeschlossen werden. Präsident Nixon wurde von seinem Nachfolger damals ja auch begnadigt, obwohl man ihn weiter strafrechtlich hätte verfolgen können.



Es ist die x-te Grenzüberschreitung von Trump. Spätestens sein Anruf beim Staatssekretär in Georgia hätte doch rechtliche Konsequenzen haben müssen. Wie illegitim kann es noch werden?

Trump war und ist umgeben von politischen Kräften, die in seinem Fahrwasser mitschwimmen. Trumps Normbrüche wurden von diesen entsprechend toleriert. Und vielleicht wurde von diesen nicht wahrgenommen, was das langfristig für Konsequenzen hat. Viele mochten Trumps Stil nicht, sehr wohl aber, was sein politischer Kurs zustande brachte. Der konstant alarmistische Ton von Trumps Gegnern bestärkte zudem seine Anhänger darin, an Trump festzuhalten. Verharmlosung versus Überdramatisierung ist eine gefährliche Mischung. Und so wurden die echten Warnzeichen zu wenig gewichtet.

Mit dem Kapitol wurde die Wiege der westlichen Demokratien angegriffen. Welches Zeichen wird damit an alle Demokratien ausgesendet?

Der Mob hatte wohl kein internationales Publikum vor Augen. Der Mob ging aufs Kapitol los, weil er die Wahlbestätigung aufhalten wollte. Aber natürlich: Der Angriff zeigt, wie fragil demokratische Institutionen sind. Wir müssen den freiheitlichen Institutionen Sorge tragen. Sie sind nicht selbstverständlich.

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