Angriff auf Einkaufszentrum«Ich sah viele Verwundete, Verbrannte»
SDA
28.6.2022 - 15:56
Retter suchen weiter nach Vermissten in ukrainischem Einkaufszentrum
Nach dem russischen Raketenangriff in der zentralukrainischen Stadt Krementschuk suchen Rettungsteams weiter nach Vermissten in den Trümmern eines Einkaufszentrums. Den Behörden zufolge wurden am Dienstag noch mehr als 35 Menschen vermisst.
28.06.2022
Die Zahl der Todesopfer in Krementschuk steigt weiter, die Bergungsarbeiten dauern an. Die ukrainische Staatsanwaltschaft ermittelt nicht nur gegen Moskau, sondern auch gegen das Management des Einkaufzentrums.
28.06.2022, 15:56
28.06.2022, 16:42
SDA/AP/uri
Nach dem Raketenangriff im zentralukrainischen Krementschuk dauern die Aufräumarbeiten in dem völlig zerstörten Einkaufszentrum an. «Mehr als 60 Prozent der Trümmer sind geräumt», schrieb der Gouverneur des Gebiets Poltawa, Dmytro Lunin, am Dienstag im Nachrichtendienst Telegram. Nach jüngsten Angaben der ukrainischen Behörden stieg die Zahl der Todesopfer erneut – auf inzwischen mehr als 20. Zudem wurde eine dreitägige Trauer ausgerufen.
Rettungsteams suchen unterdessen weiter zwischen zerstörtem Metall und Beton nach Opfern, Augenzeuge schildern drastische Szenen: «Ich sah viele Verwundete, Verbrannte, einige waren blutüberströmt. Ein Mädchen fiel hin und wir halfen sie zu ziehen. Sie fiel immer wieder hin und verlor das Bewusstsein, aber wir versuchten, ihr zu helfen», sagte ein Mann, der beim Angriff selbst verletzt wurde, der Nachrichtenagentur Reuters.
Die Staatsanwaltschaft nahm indes Ermittlungen wegen eines möglichen russischen Kriegsverbrechens auf. Nach Angaben des Bürgermeisters von Krementschuk, Witalij Malezkyj, wird zudem gegen das Management des Zentrums ermittelt. Dieses habe angeordnet, den Luftalarm zu ignorieren – weswegen das Gebäude nicht geräumt worden sei.
UNO-Sicherheitsrat soll beraten
Bei dem Angriff vom Vortag sind nach jüngsten Behördenangaben 59 Menschen verletzt worden. Mehrere Dutzend werden weiter vermisst. Moskau behauptet, das eigentliche Ziel des Angriffs sei ein etwas weiter nördlich gelegenes Lager mit westlichen Waffen gewesen.
Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem der dreistesten Terroranschläge der europäischen Geschichte. Auf Antrag der Ukraine sollte in New York der UNO-Sicherheitsrat über das Geschehen in Krementschuk beraten. Selenskyj sagte weiter, viele der mehr als 1000 Kunden und Angestellten in dem Einkaufszentrum seien entkommen.
In einer ersten Reaktion auf den Raketenangriff bezeichnete ein Vertreter der russischen Regierung den Zwischenfall als Provokation durch die Ukraine. Der stellvertretende UN-Botschafter Russlands, Dmitry Poljanski, erklärte, es gebe Unstimmigkeiten, ohne dies näher zu erklären. Russland hat wiederholt bestritten, zivile Infrastruktur anzugreifen – obwohl russische Bomben und Raketen andere Einkaufszentren, Theater, Spitäler, Kindergärten und Wohngebäude trafen.
G7 sprechen von «Kriegsverbrechen»
Der Raketenangriff auf Krementschuk ereignete sich, als die Staats- und Regierungschefs der G7 auf Schloss Elmau in Bayern ihr langfristiges Engagement für die Ukraine unterstrichen. «Willkürliche Angriffe auf unschuldige Zivilisten stellen ein Kriegsverbrechen dar», hiess es in einer Stellungnahme der G7 zu dem Angriff in Krementschuk. Zudem bereiteten sie neue Sanktionen gegen Russland vor, einschließlich einer Preisobergrenze für russisches Öl und der Erhöhung von Zöllen auf russische Waren. Die USA schienen unterdessen bereit, auf Selenskyjs Forderung nach weiteren Luftverteidigungssystemen zu reagieren und die Nato plante die Aufstockung ihrer schnellen Eingreifkräfte auf 300'000 Soldaten.
Selenskyj sagte, das Einkaufszentrum habe «keine Bedrohung für die russische Armee» dargestellt und «keine strategische Bedeutung» gehabt. Es habe den Anschein, dass die russischen Streitkräfte absichtlich angegriffen hätten, sagte er und sprach von Terror. Russland «ist zur grössten Terrororganisation der Welt geworden», sagte er in seiner nächtlichen Videoansprache.
Ukraine: Rakete wurde über russischem Kursk abgefeuert
Das ukrainische Militär erklärte, das Einkaufszentrum sei von einer Rakete getroffen worden, die russische Langstreckenbomber vom Typ Tu-22M3 über der westrussischen Region Kursk abgefeuert hätten. Der Sekretär das Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Oleksij Danilow, teilte mit, eine weitere Rakete habe eine Sportarena in der Stadt getroffen. Die Vereinten Nationen verurteilten den Angriff. Zivile Infrastruktur dürfe niemals zum Ziel gemacht werden, sagte UN-Sprecher Stéphane Dujarric.
Der Angriff fiel zeitlich mit dem umfassenden russischen Versuch zusammen, das letzte ukrainische Bollwerk in der östlichen Provinz Luhansk im Donbass einzunehmen, die Stadt Lyssytschansk. Dort gab es mindestens acht Tote und mehr als 20 Verletzte, als russische Raketen ein Gebiet trafen, in dem eine Menschenmenge sich versammelt hatte, um Wasser aus einem Tank zu erhalten, wie der Gouverneur der Region, Serhij Hajdaj, mitteilte.