Lagebild Ukraine Kiews Kräfte bilden Brückenkopf am östlichen Dnjepr-Ufer

Von Philipp Dahm

27.6.2023

Selenskyj besucht Front im Süden und dankt Soldaten

Selenskyj besucht Front im Süden und dankt Soldaten

Während Russland mit den Nachwirkungen des kurzen Aufstandes der Wagner-Söldner kämpft nutzt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Chance für einen Besuch der Front. Am Montag ging es zuerst in den äusserst schwer umkämpten Raum Bachmut. Dort zeichnete Selenskyj Soldaten aus und machte sich persönlich ein Bild von der Lage.

27.06.2023

Rund 70 Soldaten einer ukrainischen Spezialeinheit haben das Dorf Dachi am östlichen Dnejpr-Ufer eingenommen. Auch im Süden kommen Kiews Soldaten voran. In Donezk rücken beide Seiten vor.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Ukrainische Soldaten sind bei der zerstörten Antoniwkabrücke über den Dnjepr gesetzt und haben einen Brückenkipf auf der linken, östlichen Uferseite errichtet.
  • In West-Donezk konnte die ukrainische Armee endlich Rivnopil erobern.
  • In Donezk machen die Russen bei Marjinka Boden gut, während die Ukrainer im Süden von Bachmut vorrücken.
  • Wladmimir Putin behauptet, alleine bei Orichiw habe der Gegner in den letzten sieben Tagen 280 Fahrzeuge verloren.
  • Der britische Verteidigungsminister kontert, Kiew habe seit Beginn der Gegenoffensive schon 300 Quadratkilometer befreit.

Durch den Kachowka-Dammbruch hat die russische Seite jede Menge Überwachungsgeräte verloren. Kameras, die am Dnepr aufgestellt wurden, arbeiten nicht mehr.

Gleichzeitig hat Moskau Truppen aus Cherson nach Saporischschja verlegt. Das rächt sich nun: Ukrainische Streitkräfte haben auf der linken, östlichen Uferseite erneut einen Brückenkopf errichtet. Rund 70 Soldaten einer Spezialeinheit sollen mit Booten bei der zerstörten Antoniwkabrücke übergesetzt haben.

Artillerie-Unterstützung vom anderen Ufer: YouTuber Military Lab zeigt den Brückenkopf, den ukrainische Kräfte an der Antoniwkabrücke errichtet haben.
Artillerie-Unterstützung vom anderen Ufer: YouTuber Military Lab zeigt den Brückenkopf, den ukrainische Kräfte an der Antoniwkabrücke errichtet haben.
Bild: YouTube/Military Lab

Die Gruppe kann zwar kein schweres Gerät nachziehen, wird aber von Artillerie unterstützt, die etwaige russische Truppen unter Beschuss nehmen kann, die sich den Ukrainern nähern. Pro-russische Militärblogger bestätigen, dass der Gegner das Dorf Dachi vor den Toren von Oleschky eingenommen hat. Die Ukrainer «wollen ihren Brückenkopf ausbauen», warnen sie.

Ukrainische Armee erobert Rivnopil

Im Oblast Saporischschja gibt es durch die ukrainischen Angriffe, die von Kamjanske und Orichiw aus begonnen wurden, keine Veränderungen an der Front. Dafür ist es Kiews Kräften offenbar gelungen, endlich Rivnopil in West-Donezk einzunehmen. 

Rivnopil (hellblau) hat Druck von fast allen Seiten bekommen – nun ist das Dorf gefallen.
Rivnopil (hellblau) hat Druck von fast allen Seiten bekommen – nun ist das Dorf gefallen.
Bild: YouTube/Reporting from Ukraine

Weil die ukrainische Artillerie den Rückzugsweg unter Beschuss genommen hat, soll die russische Armee schwere Verluste eingefahren haben. Im Süden des Dorfes soll sie neu Position bezogen haben, doch in ihrem Rücken liegt eine Schlucht, die einen weiteren Rückzug erschwert.

Wenn ukrainische Truppen von Lwadne aus Pryjutne einnehmen und weiter nach Osten ziehen, könnten sie das rot eingekreiste Gebiet mit starken Defensivlinien einkesseln.
Wenn ukrainische Truppen von Lwadne aus Pryjutne einnehmen und weiter nach Osten ziehen, könnten sie das rot eingekreiste Gebiet mit starken Defensivlinien einkesseln.
Bild: YouTube/Reporting from Ukraine

Gefährlich ist für diese Truppe auch, dass ukrainische Soldaten von Lewadne aus nach Osten Richtung Pryjutne vorrücken. Reporting from Ukraine zeigt auf, dass diese Stossichtung auf einer Anhöhe entlang führt: Sollte das gelingen, könnte die ukrainische Armee russische Soldaten einschliessen und ihre starken Verteidigungsstellungen umgehen.

Russen rücken bei Marjinka und Ukrainer bei Bachmut vor

Kämpfe in Donezk: In Marjinka rücken angeblich die Russen vor, etwas weiter nördlich bei Krasnohoriwka angeblich die Ukrainer.
Kämpfe in Donezk: In Marjinka rücken angeblich die Russen vor, etwas weiter nördlich bei Krasnohoriwka angeblich die Ukrainer.
Karte: Military Land

Russische Einheiten machen dagegen bei Marjinka ein wenig Boden gut, schreibt das Washingtoner Institute for the Study of War (ISW). Der britische Geheimdienst meldet hingegen, die Ukraine hätte bei Krasnohoriwka gleich um die Ecke «kleine Fortschritte» gemacht und Gebiete zurückerobert, die seit 2014 besetzt seien.

Bei Bachmut will die ukrainische Armee den Gegner zurückgeschlagen haben, als der im Süden einen Brückenkopf hinter dem Siwerskyj-Donez-Kanal errichten wollte. Russische Militärblogger schreiben, ukrainische Truppen seien weiter auf Klischtschijiwka vorgerückt.

Wer verteidigt Bachmut eigentlich heute? Laut ISW halten russische Luftlandetruppen (WDW), BARS-Kampfreserven, Soldaten der selbsternannten Volksrepubliken und Einheiten der dem Verteidigungsminister Sergej Schoigu unterstellten Privatarmeen Patriot und Veterany sowie der Gazprom-Armee Fakel die Stadt.

Widersprüchliche Resümees

Wie läuft denn nun die ukrainische Gegenoffensive? Es ist mühsam, zeigt ein Video von ukrainischen Soldaten, nachdem sie Blahodatne im Oblast Donezk befreit haben. Das Dorf liegt 30 Kilometer südwestlich von Donezk. «Es gab Minen überall», erklärt ein Kämpfer. Schritt für Schritt habe sich die Armee vorgearbeitet – und keinen Mann verloren. Das Dorf ist dafür zerstört.

Die Gegenseite sagt, dass Kiews Offensive scheitert – und zwar grandios, wenn man Wladimir Putin glauben möchte. Der sagt: «Alleine in der Richtung [Orichiw], der Hauptangriffsrichtung, hat der Feind bloss in den letzten sieben Tagen 280 Fahrzeuge verloren, davon 41 Panzer und 102 gepanzerte Fahrzeuge.»

Das unabhängige Portal Oryx kann bisher visuell belegen, dass ein Leopard 2A4 und ein Leopard 2A6 zerstört worden sind. Ein 2A4 wurde beschädigt, drei weitere 2A6 wurden aufgegeben. Das gilt auch für drei französische AMX-10. Hinzu kommen 25 beschädigte, verlassene oder zerstörte US-Schützenpanzer vom Typ Bradley, 9 französische VAB sowie 5 deutsche Dingo. Auch 3 Minenräumer vom Typ Leopard 2R und einen deutschen Wisent hat es demnach erwischt.