Lagebild Ukraine Kiews «kleine Überraschung» für Putin in Bachmut 

Von Philipp Dahm

3.5.2023

Kiew: Vorbereitung der Frühjahrsoffensive in Endphase

Kiew: Vorbereitung der Frühjahrsoffensive in Endphase

Die Vorbereitungen der Ukraine für die erwartete Frühjahrsoffensive sind «in der Endphase» Verteidigungsminister Olexij Resnikow sagt: «Ich glaube an sie. Es ist viel für ihren Erfolg getan worden» RÜCKEROBERUNG RUSSISCH BESETZTER GEBIETE «Ich glaube, dass wir ab heute auf die Zielgerade einbiegen und sagen können: Ja, alles ist bereit» Er sei ebenso wie die internationalen Partner der Ukraine vom Erfolg der Offensive überzeugt ERFOLG IM INTERESSE EUROPAS Schliesslich verstünden die Partner Kiews, dass ein Erfolg «im Sicherheitsinteresse ihrer Länder und ihrer Völker liegt» «Es muss ein Urteil eines internationalen Tribunals für die militärischen Verbrecher des Kreml und dieser Mafia-Bande geben»

03.05.2023

In Erwartung der ukrainischen Offensive halten sich russische Truppen zurück. Nur in Bachmut legt Moskau nach, um die Stadt bis zum 9. Mai einzunehmen. Kiew weiss jedoch mit dem Ansturm umzugehen.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • «Nur sehr wenige Leute» sind in der Ukraine darüber informiert, wann die Offensive startet.
  • Der ukrainische Verteidigungsminister glaubt, Russland überlege bereits, wie die kommende Niederlage gerechtfertigt werden kann.
  • In Bachmut haben die Verteidiger die Angreifer in einen Korridor gelockt, um dann mit Artillerie zuzuschlagen.
  • Die Ukrainer halten hohe Häuser, von denen aus der westliche Stadtteil verteidigt wird.
  • Die «kleine Überraschung» für die Russen könnte eine ukrainische Sprengung von Gebäuden im grossen Stil sein.

Eigentlich ist die Rechnung ganz einfach: Je länger das Wetter gut ist und der Boden trocknet, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass die lang erwartete ukrainische Offensive beginnt. Derzeit ist es sonnig – und es soll so bleiben. Wagner-Boss Jewgeni Prigoschin rechnet nicht vor dem 9. Mai mit einer Attacke, wenn Russland den Tag des Sieges feiert.

Der ukrainische Innenminister Ihor Klymenko verrät, dass acht spezielle Offensiv-Brigaden aufgestellt worden seien – und weitere ausgebildet und neu ausgerüstet würden. Diese rekrutieren sich demnach aus Freiwilligen der Polizei, Grenzwacht und Nationalgarde und sollen später dem Verteidigungsministerium unterstellt werden.

Doch darüber hinaus hält sich Kiew mit Informationen bedeckt – angeblich auch den Alliierten gegenüber. «Es gibt nur sehr wenige Leute in diesem Land, die den Plan kennen», sagt ein anonymer Abgeordneter «Politico». Das sei nicht erst seit den jüngsten Pentagon-Leaks so: «Sie waren seit Beginn kleinlich mit Informationen», wird ein US-Beamter zitiert.

Resnikow: Putin sucht schon nach Ausreden

Oleksij Resnikow kennt die Pläne – und der Verteidigungsminister glaubt, der Kreml suche bereits nach Rechtfertigungen für die kommende Niederlage. Es seien in Russland bereits Sätze zu hören wie «Wir müssen die [Operation] definitiv beenden», «Wir müssen zur Verteidigung übergehen» und «Wir müssen unsere neu eroberten Gebiete halten», sagt er im Interview mit der ukrainischen Agentur Interfax.

Er könne sich auch vorstellen, dass Moskau eine Katastrophe auf eigenem Boden fabriziert – etwa bei einem Kraftwerk. «Und so werden sie den Menschen angeblich erklären können, warum sie die aktiven Feindseligkeiten in der Ukraine beenden.» Wladimir Putin könnte das dann als «Geste des guten Willens» verkaufen.

Dazu passt ein ukrainischer Bericht, laut dem russische Soldaten in den Regionen Brjansk und Kursk ukrainische Uniformen erhalten haben sollen. Das könnte im Zusammenhang mit vorgetäuschten Angriffen auf russisches Gebiet stehen, wird spekuliert. Die Angaben lassen sich nicht überprüfen. Tatsächlich gibt es auch Stimmen in der Ukraine, die solche Attacken fordern, aber in der Minderheit sind.

Warum Russland erneut hohe Verluste in Bachmut erleidet

In Erwartung der ukrainischen Offensive halten sich russische Truppen an vielen Frontabschnitten zurück, doch für Bachmut gilt das nicht. Eine vollständige Eroberung bis zum 9. Mai, dem Tag des Sieges gegen Nazideutschland, würde Wladimir Putin nach Langem mal wieder einen militärischen Erfolg bescheren.

«Trotz signifikanter Verluste werden laufend neue Angriffsgruppen von Wagner-Kämpfern, Söldnern anderer Gruppen und Fallschirmjägern in die Schlacht geworfen», teilt Generalobert Oleksandr Syrskyj, Chef des Heeres, auf Telegram mit. Die Verteidiger wissen jedoch mit diesem Sturm umzugehen.

Die Kaserne in der Stadtmitte ist eingeebnet worden (weiss): Die Verteidiger können das Gebiet aus den hohen Gebäuden (gelb) gut verteidigen. Für russische Vorstösse bleibt damit nur ein Korridor, der unter Artilleriefeuer genommen wird.
Die Kaserne in der Stadtmitte ist eingeebnet worden (weiss): Die Verteidiger können das Gebiet aus den hohen Gebäuden (gelb) gut verteidigen. Für russische Vorstösse bleibt damit nur ein Korridor, der unter Artilleriefeuer genommen wird.
YouTube/Reporting from Ukraine

Denn es ist klar, woher die Russen im Norden kommen. Weil die Ukrainer im Westen der Stadt ein Viertel mit hohen Häusern halten und das Gelände davor aus einer eingeebneten Kaserne besteht, bleibt den Angreifern nur der Weg parallel zum Wasser-Reservoir. Der Vorteil: Ein Erfolg würde den ukrainischen Nachschub über Khromove verunmöglichen.

Was ist die «kleine Überraschung» in Bachmut?

Der Nachteil: Die ukrainischen Kommandeure wissen auch darum und nehmen die Truppen-Konzentrationen unter Artilleriefeuer, bevor sie einen begrenzten Gegenvorstoss durchführen. Die Folge: Russland ist in Bachmut nicht weitergekommen, und die Ukraine hält weiter Gebiete mit hohen Häusern im Westen.

Gebiete mit hohen Häusern (gelb), die die Ukraine weiterhin hält.
Gebiete mit hohen Häusern (gelb), die die Ukraine weiterhin hält.
YouTube/Reporting from Ukraine

Bleibt abzuwarten, was die «kleine Überraschung» ist, die Kiew angeblich für Moskau in Bachmut parat hält. Reporting from Ukraine glaubt, eine Antwort zu haben: Videos zeigen ukrainische Sprengversuche an Gebäuden weit im Westen, also abseits der Front. Das könnten Tests sein: Demnach könnte Kiew in Bachmut einen ganzen Ring aus Gebäuden sprengen, bevor sich die eigenen Truppen zurückziehen.

Nach einem Rückzug wird das Leben für russische Soldaten aber auch nicht leichter, versichert die 46. Luftbewegliche Brigade auf Telegram: «Es werden sich nur die Bedingungen ändern. Direkt hinter Bachmut werden die Orks auf neue Grenzen unserer Verteidigung stossen. Der Krieg wird sich von den städtischen Bedingungen auf das Feld verlagern.»

Waffen-Update

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