Ein Merkel-Kind sagt TschüssNun geht sie also und mit ihr meine Jugend
Von Franziska Wenzlick
5.9.2021
Unsere deutsche Autorin ist 25. Sie kann sich nach 16 Jahren Angela Merkel kaum einen Mann im Kanzleramt vorstellen. Nun aber muss sie Abschied nehmen von der Frau, die einen Grossteil ihres Lebens geprägt hat.
Von Franziska Wenzlick
05.09.2021, 00:00
07.12.2021, 10:03
Franziska Wenzlick
Als Angela Merkel zum ersten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt wurde, war ich neun. Seitdem ist so einiges passiert – in Deutschland selbst, aber vor allem auch im Rest der Welt. Wirtschaftskrise, Atomausstieg, Donald Trump, die Corona-Pandemie, um nur ein paar wenige Hürden der vergangenen Jahre zu nennen. Angela Merkel, ich – wir alle – haben so einiges mitgemacht in 16 Jahren Kanzlerschaft.
Heute bin ich 25, und den Grossteil meines Lebens hat Angela Merkel Deutschland regiert. Um genau zu sein: 64 Prozent meines Lebens, fast zwei Drittel. Was das bedeutet, wird mir vor allem jetzt bewusst: Schon bald wird mit Olaf Scholz ein Mann ins Kanzleramt ziehen. Für mich wäre das so etwas wie eine Premiere – an Gerhard Schröder, Merkels Vorgänger, kann ich mich schliesslich kaum noch erinnern, ich war zu jung.
«Für ein Land, in dem auch ein Mann Bundeskanzlerin werden kann», hiess es vor der Bundestagswahl in einer Anzeige der CDU, der Partei von des damaligen Kanzlerkandidaten Armin Laschet, in der feministischen Zeitschrift «Emma». Die Konkurrenz von der SPD konterte diese Werbung nur wenige Seiten weiter mit einem Bild ihres Kandidaten Olaf Scholz, zusammen mit dem Slogan: «Er kann Kanzlerin». Sollte witzig sein, klar.
— Rapha (Raphael Brinkert) 🇪🇺🇩🇪🇨🇭 (@RaphaelBrinkert) August 26, 2021
Angela Merkel war Teil meiner Jugend
Für mich und für viele andere junge Deutsche stellt sich dabei quasi automatisch die Frage: Kann wirklich ein Mann die Nachfolge unserer Kanzlerin antreten?
Meine gesamte Teenagerzeit über sah ich Angela Merkel in den Medien. Zu Krisenzeiten, bei Ansprachen. Vor Bundestagswahlen, nach Bundestagswahlen. Immer wieder Merkel. Als ich anfing zu studieren, war Merkel Kanzlerin. Als ich mein Studium einige Jahre später abschloss, war sie es immer noch. «Eine Ära geht zu Ende», hörte man in den vergangenen Monaten immer wieder. Es stimmt, und das vielleicht sogar in doppelter Hinsicht: Für mich und für viele andere Menschen in meinem Alter geht mit der Ära Merkel auch ein Stückchen Jugend zu Ende.
Interessanterweise scheint ausgerechnet die Generation, die in Angela Merkels Regierungsjahren gross geworden ist, besonders politisch geworden zu sein. Schaue ich mich in meinem Umfeld um, sind 20-Jährige oft deutlich besser informiert als 30-Jährige, 25-Jährige engagierter als 35-Jährige. Haben wir das Angela Merkel zu verdanken? Einer Politikerin, die jahrelang vor allem damit auffiel, wenig Haltung zu zeigen?
Merkel hat eine ganze Generation politisiert
Mich persönlich hat zwar sicherlich nicht die Tatsache zu einem politischen Menschen gemacht, dass 16 Jahre lang eine Frau an der Spitze der Regierung stand. Eine grosse Frauenrechtlerin war Angela Merkel noch nie. Sie war nie ein Vorbild für mich. Auch nicht für die meisten anderen jungen Menschen, die ich kenne, selbst, wenn diese eine gewisse Sympathie für unsere scheidende Kanzlerin hegen.
Vielmehr war es die oft fast schon schmerzhafte Zurückhaltung von Merkel, die mich und meine Freunde als Jugendliche politisiert hat. Die uns hoffen liess, die Regierung würde entschiedener auftreten, etwa im Kampf gegen den Klimawandel. Bewegungen wie «Fridays for Future» sind schliesslich auch eine direkte Antwort auf eine Politik, die Probleme lieber aussitzt, als sich ihnen zu stellen.
Bleibt abzuwarten, ob ich und Tausende andere junge Menschen ab Herbst zum ersten Mal eine Regierung erleben werden, die handelt, statt abzuwarten. Ob dabei mit Olaf Scholz wirklich ein Mann Kanzlerin kann, wird dabei fast zur Nebensache.
Hinweis: Der Artikel erschien erstmals am 5. September 2021 und wird nun in aktualisierter Fassung nochmals veröffentlicht.