Closeup US-Wahlen Kampfzone Vorgarten: Biden-Wähler greifen zu Hundekot und Glitter

Von René Sollberger, Las Vegas

26.9.2020

Mary Gonzales in Merritt Island, Florida, lässt sich nicht einschüchtern, obwohl sie von Trump-Anhängern oft mit bösen Worten angefeindet wird. Auch ihr Briefkasten wurde zertrümmert, und nun sind ihre zwei Werbeplakate für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden aus dem Vorgarten verschwunden. Jetzt macht sie auf einem neuen Schild eine klare Ansage an den Dieb: «Du magst unsere Schilder gestohlen haben, aber unsere Stimme kannst du nicht stehlen!» Damit brachte sie es sogar in den lokalen TV-Sender News13.
Mary Gonzales in Merritt Island, Florida, lässt sich nicht einschüchtern, obwohl sie von Trump-Anhängern oft mit bösen Worten angefeindet wird. Auch ihr Briefkasten wurde zertrümmert, und nun sind ihre zwei Werbeplakate für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden aus dem Vorgarten verschwunden. Jetzt macht sie auf einem neuen Schild eine klare Ansage an den Dieb: «Du magst unsere Schilder gestohlen haben, aber unsere Stimme kannst du nicht stehlen!» Damit brachte sie es sogar in den lokalen TV-Sender News13.
Bild: Screenshot News13

Wahlplakate für Joe Biden verschwinden zu Tausenden aus den Vorgärten seiner Anhänger. «Yard Signs» für Donald Trump dagegen bleiben meist unangetastet. Der US-Wahlkampf nimmt kriegerische Züge an. 

Nancy Holschuh lebt mitten im Trump-Gebiet, in der Kleinstadt Kaukauna in Wisconsin, gut 300 Kilometer nördlich von Chicago. Die fast 70-Jährige hilft mit, Wahlplakate für Joe Biden, den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, herzustellen und zu verteilen.

«Von zehn Schildern, die ich abgegeben habe, sind fünf verschwunden, am helllichten Tag», sagt sie. Kinder könnten es nicht gewesen sein, da ist sie sich sicher, denn in dieser Strasse gibt es keine Kinder. «Es ist wie ein Krieg für die Trump-Anhänger. Sie denken, dass alles erlaubt ist, um zu gewinnen, auch Betrug.»

Im Fokus: US-Wahlen 2020

Amerika wählt: «blue News» begleitet die heisse Phase des Duells um das Weisse Haus nicht nur mit dem Blick aus der Schweiz, sondern auch mit Berichten von Schweizer Journalisten, die in den USA leben. Trump oder Biden? Am 3. November wird gewählt – nicht nur der Präsident, sondern auch ein Drittel des Senats, das komplette Repräsentantenhaus sowie in elf  Staaten der Gouverneur.

Die «Yard Signs» in den amerikanischen Vorgärten galten bisher als heilig. Man liess jedem seine Meinung, auch wenn man anders dachte. Einzelne Schilder sind im Wahlkampf schon in früheren Jahren weggekommen. Aber noch nie in diesem Ausmass. Donald Trump hat alles verändert. Das rüpelhafte Auftreten des Präsidenten ermutigt Anhänger, es ihm gleichzutun. Alles ist erlaubt.

Eine neue Entwicklung

«Die politische Landschaft ist derart zweigeteilt, dass manche Leute keine andere Meinung mehr tolerieren», sagt Erin Shifflett, eine 46-jährige Englischlehrerin aus dem Südwesten von Pennsylvania. Auch bei ihr sind Biden-Plakate aus dem Vorgarten verschwunden. Es waren zwei, und sie waren beleuchtet. «Diese Leute fühlen sich berufen, alles zu zerstören, womit sie nicht einverstanden sind.»

Noch nie wurden bisher bei Shifflett Schilder gestohlen. Auch früher nicht, als sie in den republikanisch beherrschten Staaten Texas und Alabama lebte und Werbung für die Demokraten machte.

Aber aufgeben mag sie nicht. Im Gegenteil: Die beiden abhandengekommenen Plakate will sie gleich durch sechs neue ersetzen. Und ihr Auto ist mit Biden-Klebern zugepflastert, genau wie das Auto ihres Mannes. Schon bestellt ist eine riesige Fahne, die sie ganz weit oben am Haus befestigen will. «Um diese zu klauen, müsste schon einer kommen und wie Spiderman am Haus hochklettern.» Selbst wenn sie alle Schilder hoch oben am Haus befestigen muss: «Wir sind fest entschlossen, sicherzustellen, dass auch unsere Stimme gehört wird.»

Angst vor Trump-Anhängern

Die Beispiele aus Wisconsin und Pennsylvania sind keine Einzelfälle. Landauf, landab klagen Biden-Anhänger über das massenhafte Verschwinden von Plakaten, meist in der Nacht. Inzwischen sind viele – vor allem ältere – demokratische Wählerinnen und Wähler verunsichert. Aus Angst vor Attacken durch Trump-Fans stellen sie schon gar keine Schilder mehr auf und spenden bloss Geld, anonym.

Manche möchten zu ihrer politischen Überzeugung stehen, wagen es aber nicht, weil sie um die Sicherheit ihrer Familie und ihres Hauses fürchten.

Ganz anders Ankur Marwaha, die sich nicht verstecken will und in den sozialen Medien dazu aufruft, Flagge zu zeigen. Selbst in ihr Profilbild hat sie einen Sticker der Demokraten eingebaut. «Wir sind in unserem Quartier von alten Trump-Wählern umgeben», sagt sie. Ihre US-Fahne hänge daher verkehrt herum, «um unsere Verzweiflung auszudrücken».



Unter der US-Fahne hängt aber auch eine Fahne mit den Namen von Joe Biden und Kamala Harris, die für die Demokraten als Vizepräsidentin kandidiert. «Wir haben zudem mehrere Plakate für Biden und für lokale demokratische Kandidaten im Garten, und jede Woche stelle ich ein neues auf, bloss um die [Trump-Anhänger] zu ärgern.»

Paula Kellog berichtet von einem Haus ganz in ihrer Nähe, wo mindestens 40 Trump-Schilder im Vorgarten stehen, dazu zehn Fahnen und zwei Pick-up-Trucks voller Trump-Werbung. «Das ist ein Angriff auf die Sinne, selbst für Trump-Anhänger.» Und Kelley Shawn erzählt, dass ihr viele Leute für die Biden-Schilder in ihrem Garten danken und jetzt endlich den Mut aufbringen, auch in deren Garten Farbe zu bekennen. «Wir dürfen uns nicht im Dunkeln verstecken.»

Hundekot mit Glitter

Bereits machen Tipps die Runde, wie den Dieben das Handwerk gelegt werden könnte. Am einfachsten ist es, die Plakate ins Fenster zu stellen oder hoch am Haus zu befestigen. Manche installieren Kameras. Eine ältere Frau hat ihr Schild mit Drähten am Veranda-Geländer verankert, eine andere hat es mitten in den giftigen Efeu gesetzt.

Und dann gibt es zahllose Vorschläge, was man auf die Plakate schmieren oder sprayen könnte, um Diebe abzuhalten: gemahlene Chilischoten, eine Mischung aus Pfefferminzöl und Vicks, Urin von Fuchs, Kojote oder Reh, den es in Jagdläden zu kaufen gibt. Aber es geht auch einfacher: Olivenöl oder Schmierfett oder Vaseline mit Cayenne-Pfeffer und Glitter. Oder Tabasco-Sauce mit Glitter. Honig und Glitter. Hundekot mit Glitter.

Glitter ist das Wichtigste, heisst es in einer Facebook-Gruppe. Einmal an den Händen oder im Auto, bleibt Glitter für Wochen, vielleicht Monate. Eine Frau schreibt: «Glitter ist für Bastler wie Herpes.»


René Sollberger lebt seit 2013 in den USA, zuerst zwei Jahre in Boston, danach fünf Jahre in San Francisco, seit 2020 in Las Vegas. Er ist mit einer Amerikanerin verheiratet und arbeitet als Journalist mit Fokus auf Wirtschaft und Politik, früher u.a. bei «Cash», «Berner Zeitung» und «Handelszeitung».

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