Unsichtbarer Kandidat Joe Biden ringt um Aufmerksamkeit der US-Wähler

Von Alexandra Jaffe, AP/uri

2.6.2020

Joe Biden, designierter Präsidentschaftskandidat der Demokraten, beim Besuch einer Kirche im US-Bundesstaat Delaware
Joe Biden, designierter Präsidentschaftskandidat der Demokraten, beim Besuch einer Kirche im US-Bundesstaat Delaware
Bild: AP/dpa

Der demokratische Rivale von Präsident Trump bekleidet kein Amt und kann wegen der Coronakrise kaum öffentlich auftreten. Er versucht, mit Sachlichkeit und Ruhe gegen den lautstarken Amtsinhaber zu punkten.

US-Präsident Donald Trump hat am Wochenende erneut über sein Megafon Twitter lautstarke Forderungen erhoben, wie die Unruhen im Land unter Kontrolle gebracht werden sollten. Er verlangte ein härteres Vorgehen der Polizei gegen gewaltbereite Demonstranten im ganzen Land und überhaupt müsse wieder «Law and Order» herrschen, also Recht und Ordnung. Und Joe Biden? Der voraussichtliche demokratische Präsidentschaftskandidat traf sich in seiner Heimatstadt Wilmington in Delaware mit Demonstranten und sprach in einer schwarzen Kirchengemeinde über «institutionalisierten Rassismus».

Dieser massvolle und bodenständige Ansatz zeigt möglicherweise, wie Biden sich in den fünf Monaten bis zur Wahl den Amerikanern präsentieren will: als ruhiger und kompetenter Kandidat im Kontrast zu einem erratischen Präsidenten. Dieser Weg bringt allerdings das Risiko mit sich, vom lauten und beständigen Getöse des Amtsinhabers übertönt zu werden. An einem der aufreibendsten Wochenenden des Landes seit Jahrzehnten, mit gewaltsamen Ausschreitungen in Dutzenden Städten, war Biden für eine breitere Öffentlichkeit unsichtbar.



«Er bekleidet kein Amt und er hat sicherlich kein Megafon, wie die Person, die derzeit im Weissen Haus sitzt», räumt die Abgeordnete Val Demings aus Florida ein, die als mögliche Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin unter Biden gilt. Aber sie sei sicher, dass sich die Menschen jemanden wünschten, der sie durch diese schweren Zeiten führe. «Amerika braucht die Rückversicherung, dass es jemanden gibt, der versteht, jemanden, der sagt "Ja, wir haben Probleme" und jemanden, der bereit ist, diese anzugehen.»

Biden sucht wieder aktivere Rolle

Wer eine solche Vergewisserung übermitteln will, muss aber auch sichtbar sein. Das stellt eine Hürde für den Ex-Vizepräsidenten dar, der wegen der Corona-Pandemie - wie auch der Präsident – nicht öffentlich vor Massen von Anhängern auftreten kann. Biden muss auf die Plattform eines öffentlichen Amtes verzichten und arbeitet noch daran, stattdessen die Macht der sozialen Medien für sich zu nutzen.

Bidens Ansprache vom Freitag, in der er weisse Mitbürger aufforderte, Verantwortung für ein Ende des Rassismus in den USA zu übernehmen, wurde allgemein positiv aufgenommen. Auch in der Bethel AME Curch in Wilmington am Montag gab er sich besonnen. Doch einer breiteren Öffentlichkeit blieb er am Wochenende weitgehend verborgen. Seine Familie beging auch den fünften Todestag seines Sohnes Beau Biden.

Mit der Lockerung der Corona-Beschränkungen sucht aber auch Biden wieder eine aktivere Rolle für sich. Am Sonntag veröffentlichte sein Wahlkampf-Team ein Foto von ihm, wie er in Wilmington unterwegs war. Auf dem Bild trug er eine Gesichtsmaske zum Schutz vor dem Coronavirus und kniete, um mit einem Mann und einem kleinen Kind zu sprechen. «Der einzige Weg, mit diesem Schmerz fertig zu werden, besteht darin, all der Qual einen Sinn zu geben», schrieb Bidens Team zu dem Foto. «Als Präsident werde ich dabei helfen, dieses Gespräch zu führen – und noch wichtiger, ich werde zuhören.»

Kampf um die Seele der Nation

Die Abgeordnete Demings sagte, sie habe dem Biden-Team Gespräche über eine Justizreform angeboten. Sie drängt seit Jahren auf eine umfassende Reform und will die Bundesregierung in Washington dabei einbinden, um landesweite Standards für die Ausbildung, Bezahlung und soziale Absicherung der Polizeibeamten in den einzelnen Staaten durchzusetzen. «Wir werden Ideen diskutieren und Vorschläge machen», kündigte Demings an. Biden legte im vergangenen Juli einen Plan für eine Justizreform vor, äusserte sich aber seitdem nicht zu Details. Anfang Mai präsentierte er seinen «Plan für das Schwarze Amerika», eine auf Bildung und Wirtschaft ausgerichtete Agenda, die zum Beispiel die Legalisierung von Marihuana umfasst.



Ein Grossteil der Strategie des wahrscheinlichen Kandidaten ist darauf ausgerichtet, einen Kontrast zu Trump zu betonen, sowohl, was die Werte, als auch das Temperament betrifft. Er hat den Wettlauf um das Weisse Haus als einen Kampf um die Seele der Nation beschrieben und besonders scharf Trumps Umgang mit Konflikten zwischen Schwarzen und Weissen kritisiert.

Die Demokraten hoffen, dass solche Momente dem ehemaligen Vizepräsidenten in die Hände spielen. Sie verweisen darauf, dass Biden zwar das gesamte Wochenende nicht im Fernsehen zu sehen war, aber trotzdem noch vor Trump über den Tod von George Floyd bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis gesprochen und Verständnis für die Proteste geäussert habe. Trump sprach in seinen Tweets abwechselnd der Familie des Toten sein Mitgefühl aus, zeigte sich alarmiert über den Tod des Mannes in der Gewalt der Polizei, heizte die Spannungen weiter an und beleidigte den politischen Gegner. Verständlich, dass aus den Reihen von Bidens Beratern unter vier Augen zu hören ist, der Demokrat müsse Trump vielleicht einfach machen lassen.

Allerdings ist auch den Demokraten klar, dass ihr Kandidat nicht einfach auf die Wähler warten kann, die sich von Trump abwenden.

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