Angst um Israels Demokratie Knesset billigt entscheidendes Gesetz zu Justizumbau

dpa/tpfi

24.7.2023 - 19:12

Israels Parlament verabschiedet Teil der umstrittenen Justizreform

Israels Parlament verabschiedet Teil der umstrittenen Justizreform

Trotz massiven Widerstands hat Israels Parlament ein Kernelement der umstrittenen Justizreform verabschiedet. 64 von 120 Abgeordneten stimmten nach tagelanger Debatte am Montag für den Gesetzentwurf.

24.07.2023

Israels Regierung bringt einen wichtigen Teil ihrer umstrittenen Justizreform durchs Parlament. Seit Monaten kommt es wegen des Vorhabens zu heftigen Protesten. Gegner warnen: Der Kampf hat erst begonnen.

DPA, dpa/tpfi

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  • Das israelische Parlament hat für einen zentralen Teil der umstrittenen Justizreform gestimmt.
  • Über die umstrittene Reform der rechts-religiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte die Knesset nach einer Marathon-Debatte entschieden.
  • Sie heizt so die angespannte Lage im Land weiter an.

Trotz massiven Widerstands hat Israels Regierung ein Kernelement ihrer umstrittenen Justizreform durchs Parlament gebracht. 64 von 120 Abgeordneten stimmten nach tagelanger Debatte für einen Gesetzentwurf, der die Handlungsmöglichkeiten des Höchsten Gerichts einschränkt.

Die Opposition boykottierte die Abstimmung. Das Gesetz ist Teil eines grösseren Pakets. Kritiker stufen es als Gefahr für Israels Demokratie ein und warnen sogar vor der Einführung einer Diktatur. Israels Justizminister Jariv Levin sprach dagegen von einer «Korrektur des Justizsystems».

Warnungen vor Korruption

Mit dem neuen Gesetz ist es dem Höchsten Gericht künftig nicht mehr möglich, eine Entscheidung der Regierung oder einzelner Minister als «unangemessen» zu bewerten. Zahlreiche Experten befürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung wichtiger Posten oder aber Entlassungen begünstigen könnte.

«Das Gericht verliert ein zentrales Werkzeug zur Kontrolle von Regierungspolitikern», sagte der Präsident des israelischen Demokratieinstituts, Johanan Plesner. Wichtige Positionen im Land könnten mit «Ja-Sagern» besetzt, die Generalstaatsanwältin entlassen werden. Auch die Zuweisungen von Finanzmitteln oder die Erteilung von Lizenzen für Unternehmen seien nicht mehr kontrollierbar.

Befürworter der Reform argumentieren, Richter seien anders als Abgeordnete oder Minister nicht direkt vom Volk gewählt. Sie seien jetzt unabhängiger von den Richtern und könnten Interessen ihrer Wähler leichter durchsetzen. Zudem werfen sie dem Höchsten Gericht immer wieder vor, eher «linke» Ansichten zu vertreten.

Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fusst stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Höchsten Gericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.

Warnung vor Staatskrise

Unklar ist noch, wie sich das Höchste Gericht nach der Verabschiedung des Gesetzes verhalten wird. Unter anderem Israels Rechtsanwaltskammer kündigte an, dort gegen das neue Gesetz vorgehen zu wollen. Laut Plesner wäre ein Eingreifen des Gerichts jedoch ein Präzedenzfall. «Das Gericht hat noch nie eine vergleichbare Änderung aufgehoben», sagte er. Falls es sich dazu entschliessen sollte, könnte dies zu einer «Staatskrise» führen.

Verhandlungen über Kompromiss gescheitert

Seit mehr als einem halben Jahr spaltet das Vorhaben weite Teile der israelischen Gesellschaft. Während der Sitzung protestierten vor der Knesset Zehntausende Menschen. Einige Demonstranten versuchten Medienberichten zufolge das Plenum zu stürmen. Die Protestbewegung kündigte an, ihren Protest «bis zum Ende» weiterzuführen. «Wir haben gerade erst begonnen», hiess es von den Organisatoren.

Verhandlungen über einen Kompromiss, die bis zur letzten Minute andauerten, blieben erfolglos. «Mit dieser Regierung ist es unmöglich, Vereinbarungen zu treffen, die die israelische Demokratie bewahren», sagte Oppositionsführer Jair Lapid. Die Regierung wolle «den Staat auseinanderreissen, die Demokratie zerstören, die Sicherheit Israels, die Einheit des Volkes Israel und unsere internationalen Beziehungen zerstören».

Alle Augen aufs Militär

Zuletzt nahm auch der Widerstand innerhalb des Militärs zu. Mehr als Zehntausend Reservisten kündigten an, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, sollte ein Teil der umstrittenen Pläne verabschiedet werden. Die Einsatzfähigkeit könnte damit massiv eingeschränkt werden. «Die Drohungen der Reservisten werden sicher zum Teil verwirklicht, weitere werden sich vielleicht anschliessen», sagte Plesner. Dies könne sich zu einer ernsten «Sicherheitskrise» entwickeln. Auch aus der Wirtschaft gab es solche Drohungen.

Kritik kam zuletzt auch vermehrt von Israels engstem Bündnispartner, den USA. US-Präsident Joe Biden sprach sich noch am Morgen vor der Abstimmung gegen die Pläne aus. Der jüdische Staat sei derzeit mit vielen Bedrohungen und Herausforderungen konfrontiert. Das Land solle sich deshalb darauf fokussieren, «die Menschen zusammenzubringen und einen Konsens zu finden», sagte Biden der Nachrichtenseite «Axios».

Der Kurs der Regierung Netanjahus ist in den vergangenen Monaten zur Belastungsprobe für die israelisch-amerikanischen Beziehungen geworden, wie israelische und US-Medien übereinstimmend berichteten. Die USA unterstützen Israel jährlich im Verteidigungsbereich mit Milliarden US-Dollar.

Erst der Anfang

Netanjahus Koalitionspartner fühlten sich unterdessen vom Ergebnis der Abstimmung bestärkt. Minister lagen sich im Plenum in den Armen, schlugen ihre Hände ein, machten Selfies und gaben zu verstehen: Dies ist erst der Anfang. Ein weiteres Kernstück der Reform – eine Änderung bei der Richterbesetzung – soll nach ihrem Willen bereits in der nächsten Sitzungsperiode im Herbst auf die Agenda rücken.

Die Gesetzesänderungen erfolgen auch auf Druck von Netanjahus strengreligiösen Koalitionspartnern. Sie könnten Netanjahu laut Experten jedoch auch in einem schon länger gegen ihn laufenden Korruptionsprozess in die Hände spielen.

Oppositionsführer Lapid sprach von einer «beispiellosen Schwächedemonstration» des Regierungschefs. Benjamin Netanjahu sei «zur Marionette einer Reihe messianischer Extremisten geworden».