Russland Nawalny prangert unmenschliche Haftbedingungen an

SDA

17.3.2021 - 13:52

Alexei Navalny  bei einem Gerichtsprozess in Moskau. 
Alexei Navalny  bei einem Gerichtsprozess in Moskau. 
Bild: Babuskinsky District Court Press Service via AP

Zwei Monate nach seiner Rückkehr nach Russland sitzt der bekannteste Gegner von Kremlchef Wladimir Putin im Straflager. Alexej Nawalny sitze in einer echten «Gefängnis-Hölle», kritisiert die Opposition.

Mit kahl geschorenem Kopf zeigt sich Alexej Nawalny in den sozialen Netzwerken. «Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass man 100 Kilometer von Moskau entfernt ein echtes Konzentrationslager errichten kann», meint der Kremlkritiker bei Instagram. Er spricht damit die Architektur des Gefangenenlagers in Pokrow mit ihren barackenähnlichen Gebäuden an.

Angesichts der gespannten Haltung der Mitgefangenen glaube er sofort den vielen Geschichten, dass in Pokrow bis vor kurzem «Menschen halb totgeschlagen wurden».

Seine Mitarbeiter warnen: Nawalny, der einen Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok überlebte, sei in grösster Gefahr. «Er ist nicht da, weil er ein Verbrechen begangen hat, sondern weil er Putin nicht gefällt», sagt Nawalnys Mitarbeiter Dmitri Nisowzew in einem Video mit dem Titel «Gefängnis-Hölle für Putins grössten Feind», das am Mittwoch schon mehr als fünf Millionen Mal aufgerufenen wurde. Die Kolonie IK-2 sei für rund 800 Insassen ausgelegt, die aber nicht einmal miteinander reden und sich nur einmal die Woche waschen dürften, heisst es in dem Film.

Nawalny macht den russischen Präsident Wladimir Putin für den Giftanschlag auf ihn im August verantwortlich. Als der 44-Jährige nach seiner Behandlung in Deutschland vor zwei Monaten nach Russland zurückkehrte, wurde er noch am Flughafen in Moskau verhaftet.

Die Justiz wirft Nawalny vor, gegen Meldeauflagen bei Behörden nach einem früheren umstrittenen Strafverfahren von 2014 verstossen zu haben. Deshalb verurteilte ihn ein Moskauer Gericht zu Straflager, rund zweieinhalb Jahre soll er absitzen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, die EU-Kommission, die deutsche Regierung und die USA hatten Nawalnys Freilassung gefordert. Doch Moskau weist das zurück.

Nawalny werde bestraft dafür, dass er es gewagt habe, das Attentat zu überleben, sagt Nisowzew. Die Lagerhaft sei aber auch die Rache Putins dafür, dass Nawalny in seinen Filmen die verbreitete Korruption unter dem Kremlchef öffentlich gemacht habe. Das bislang erfolgreichste Video «Ein Palast für Putin» kam bei Youtube bisher auf mehr als 110 Millionen Aufrufe. Der Präsident weist zurück, etwas mit dem «Zarenreich» am Schwarzen Meer zu tun zu haben.

In dem Straflager im Gebiet Wladimir östlich von Moskau solle Nawalny nun erniedrigt und psychisch gebrochen werden, beklagt sein Team. «Erziehung durch Entmenschlichung», nennt das Nawalny bei Instagram. Überall gebe es Videokameras, um kleinste Verstösse gegen die «unendlichen Regeln» zu ahnden. «Nachts wache ich immer nach einer Stunde auf, weil neben meinem Bett ein Mann in Uniformjacke steht: Er filmt mich und sagt: «2 Uhr 30 Minuten, der Verurteilte Nawalny.» Begründet werde das mit einer Fluchtgefahr des Gefangenen.

Humor als Überlebensstrategie

Nawalnys Anwalt Wadim Kobsew sagte der Nachrichtenagentur dpa, dass das auf Instagram gepostete Foto Nawalnys mit dem kahlen Kopf schon älter sei, aber alles, was sein Mandant sonst über das Lager schreibe, sei zutreffend. «Wenn man das alles mit Humor nimmt, dann kann man damit leben. Im Grossen und Ganzen geht es mir gut», meint Nawalny dem Instagram-Post zufolge.

Sie hoffe, dass Nawalnys Humor ihm helfe, die Bedingungen in Pokrow möglichst lange zu ertragen, sagt die Menschenrechtlerin Marina Litwinowitsch. «Es ist aber nicht klar, wie lange er sich so hält, weil sie ihm natürlich seinen Humor mit allen möglichen Mitteln austreiben werden.» In dem Film von Nawalnys Team bestätigen Augenzeugen menschenunwürdige Bedingungen in Schlafsälen mit bis zu 60 Mitgefangenen und null Privatsphäre. Mitgefangene würden zudem als Denunzianten und Aufpasser eingesetzt, um sich selbst Vorteile zu verdienen. «Das ist Folter», heisst es in dem Video.

Russlands Straflager sind nach unzähligen Berichten von Augenzeugen berüchtigt für rohe Gewalt. Rund eine halbe Million Menschen sind nach Behördenangaben inhaftiert in dem Riesenreich. Immer wieder werden Gegner des Kreml als politische Gefangene für ihr anderes Denken eingesperrt, wie Menschenrechtler beklagen. Ein prominentes Beispiel ist der Putin-Kritiker Michail Chodorkowski – der frühere Ölmanager und Milliardär kämpft nach seiner Entlassung aus dem Straflager heute aus dem Exil im Westen für politische Veränderung.



Die Aktionskünstlerin Nadeschda Tolokonnikowa von der Moskauer Punkband Pussy Riot berichtete von «Folter, Schlägen und Todesfällen». Sie wurde mit ihrer Bandkollegin Maria Aljochina 2012 zu zwei Jahren Straflager verurteilt, weil sie in einem Punkgebet in einer Kirche gegen Putin protestiert hatte. Systematischer Schlafmangel, schlechtes Essen, kalte und schmutzige Zellen sollten die Gefangenen möglichst rasch brechen, erzählte Tolokonnikowa.

«Wir suchen keinen Ersatz»

So oder so kommen auf den Putin-Gegner Nawalny harte Zeiten zu – er ist von seiner Frau Julia und den beiden Kindern auf Jahre getrennt. Das Strafvollzugsrecht erlaubt ihm zwar in einem «Lager allgemeinen Regimes» etwa sechs kurze und vier längere Besuche pro Jahr. Doch wegen der Coronavirus-Pandemie gab es aus vielen Lagern zuletzt Berichte über Einschränkungen dieser Besuchsrechte.

Nawalnys Mitarbeiter Leonid Wolkow weist derweil die vor allem von der Kremlpropaganda gestellte Frage zurück, wer nach Nawalnys Inhaftierung nun nächster Oppositionsführer in Russland werde. «Wir suchen keinen Ersatz», sagt Wolkow in einem Video. Nawalny sei Anführer der Bewegung und das Symbol für den Widerstand gegen Putin. Die Haft unterstreiche diese Rolle nur und vereine die Gegner des Kremlchefs.

Nawalny sei bei seiner Rückkehr am 17. Januar klar gewesen, dass der Weg, Putin loszuwerden, kein einfacher sei.

SDA