Proteste im Iran: Polizei will noch härter durchgreifen
Knapp zwei Wochen nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini dauern die Proteste im Iran unvermindert an. Die Polizei will nun noch härter gegen Demonstrierende vorgehen. Exil-Iraner sehen die Proteste als Anfang vom Ende der Islamischen Regierung i
28.09.2022
Der Iran kommt nicht zur Ruhe: Mindestens 83 Menschen sind bisher bei den Protesten ums Leben gekommen – wie die 23-jährige Hadis Najafi aus Karadsch. Die US Air Force greift in den Konflikt ein.
Das Mullah-Regime greift mit aller Härte durch. Nicht nur gegen die eigene Bevölkerung, sondern auch gegen Kurden im Nachbarland Irak. Iranische Drohnen-Angriffe auf die 65 Kilometer östlich von Erbil gelegene Stadt Koja haben mindestens neun Menschen getötet und 32 weitere verletzt, so das Gesundheitsministerium in der autonomen Region.
Der Vorfall hat sogar die US Air Force auf den Plan gerufen: Laut CNN hat Washington eine F-15 Eagle aufsteigen lassen, um über dem Irak eine iranische Drohne abzuschiessen. Sie habe die Position von US-Soldaten in Erbil angesteuert, weshalb die Kampfdrohne vom Typ Mohajer-6 zerstört worden sei.
Der Mord an Masha Amini, die aus Saqqez in der iranischen Provinz Kurdistan stammt, führt auch im Iran selbst weiter zu Gewalt. Mindestens 83 Menschen sind im Land gestorben, seit die Proteste vor zwei Wochen begonnen haben, berichtet die Nachrichtenagentur «Reuters» unter Berufung auf die norwegische Organisation Iran Human Rights.
Trotz des Blutzolls versichert das Regime in Teheran, weiter gegen die Demonstranten vorgehen zu wollen. Der Tod Aminis «macht alle traurig», vergiesst der iranische Präsident zwar einige Krokodilstränen. Doch dann betont Ebrahim Raisi, die Regierung könne «den Leuten nicht erlauben, durch Aufstände den sozialen Frieden zu stören».
Prominenter Protest
Und weiter: «Mit denjenigen, die an den Aufständen teilgenommen haben, muss man entschieden umgehen. Das fordern die Leute», tönt Raisi, der ausserdem mal wieder die USA beschuldigt, die Menschen aufzustacheln.
Ungeachtet dessen stellen sich zunehmend mehr Prominente auf die Seite der Demonstrierenden – und müssen mit den Konsequenzen leben.
Die prominente Sängerin Mona Borzouei wird am 29. September verhaftet, nachdem sie ein Gedicht gepostet hat, das den Mullahs nicht gefällt. Irans Fussballer zeigen beim Spiel gegen Senegal in Wien Flagge: Die Kicker lassen beim Antreten zur Nationalhymne ihre schwarzen Trainingsjacken an, um ein Zeichen zu setzen. Auch Ali Karimi, früher Captain des Nationalteams, spricht sich in Dubai dafür aus, das «Blutvergiessen Unschuldiger» zu beenden.
Unter den getöteten Demonstrierenden ist auch Hadis Najafi. Die 23-Jährige sei keine Aktivisten, sondern bloss TikTokerin gewesen, die in Karadsch erschossen worden sei, berichtet «Sky News». Dabei habe sie sich nicht explizit für Frauen eingesetzt, wohl aber Bilder und Videos gepostet, die zeigen, wie sie ohne Kopftuch ihr Leben geniesst.
Kugeln in Magen, Herz und Nacken
Sie stehe für die Generation Z, die mit dem Internet aufgewachsen sei, so der britische Sender. «Sie ging zur Demonstration und wurde getötet», klagt ihre Mutter an. «Sie wurde von Kugeln getroffen – ins Herz, in den Magen, in ihren Nacken.» Die Leiche sei mit blauen Flecken übersät gewesen. «Meine liebe Hadis war der Apfel meines Auges.»
Die Familie habe die Tochter im Spital nicht besuchen dürfen. Ihr Leichnam wurde ihnen nicht übergeben, heisst es weiter. «Ihre Familie, ihre Freunde und ich wollen, dass jeder den Namen Hadis hört und weiss, dass [sie] tapfer hinausgegangen ist und zur Märtyrerin geworden ist», sagt ein Freund der Ermordeten zu «Sky News».
Ein Ende der Unruhen ist weiterhin nicht abzusehen, doch das Regime gerät zunehmend mehr unter Druck. Zum Beispiel ökonomisch: Die Internetzensur hat bisher schon eine Million Iraner arbeitslos gemacht. Das gab die nationale Gemeinschaft der Online-Unternehmen bekannt. Es seien «fast alle Online-Geschäfte betroffen», erklärte die Vereinigung nach Angaben des Nachrichtenportals Khabarfoori.
Angst vor Streiks und Deserteuren
«Alleine die Sperre der Instagram App hat in den letzten Tagen 400'000 Online-Unternehmen lahmgelegt und über eine Million Menschen wurden arbeitslos», heisst es weiter. Als Reaktion auf die Proteste hatte die Regierung vergangene Woche den Zugang zum Internet stark eingeschränkt und einige Apps ganz gesperrt. Insbesondere mobile Funknetze funktionieren kaum.
Unterstützung bekommen die Demonstrierenden auch von Arbeitenden in der Öl-Branche: Sollte die Regierung nicht mit ihrem harten Vorgehen aufhören, würden die Arbeitenden streiken und somit die Ölförderung lahmlegen. Diese Massnahme würde Teheran empfindlich treffen, das auf die Deviseneinnahmen dringend angewiesen ist.
Angeblich regt sich nun aber auch im Sicherheitsapparat erster Widerstand. Laut «Iran Wire» weigerten sich Hilfspolizisten der Miliz Bassidsch, sich in die Planung der Regierung einbinden zu lassen. Zudem kommen keine weiblichen Freiwilligen mehr, um die Moralpolizei zu unterstützen, deren Einheiten sich aus zwei männlichen und einer weiblichen Beamten sowie einer Freiwilligen aus einer religiösen Organisation zusammensetzen.
«Die Frage für viele in den Militär- und Sicherheitskräften ist: ‹Wofür? Für diese Regierung, die von oben bis unten korrupt ist?›», wird ein anonymer Insider zitiert. Die Erschöpfung der staatlichen Einheiten und potenzielles Desertieren sei derzeit die grösste Sorge – für «die Kommandeure der Iranischen Revolutionsgarde bis hin zum Gesundheitsminister».