Boris Johnson Sprücheklopfer, Selbstdarsteller – und auf dem Weg zum Premier 

Von Gil Bieler

24.6.2019

Boris Johnson ist im Verlauf seiner Karriere in unzählige Fettnäpfchen getreten. Und dennoch gilt er als Favorit auf das Amt des Premierministers – wenn er sich nicht selbst noch ein Bein stellt.

Man liebt oder hasst ihn in Grossbritannien, doch ein Weg führt an Boris Johnson nicht vorbei. Der ehrgeizige Konservative mit der Wuschelfrisur will die scheidende Premierministerin Theresa May beerben und strebt zielstrebig den Einzug in die Downing Street 10 an. Er gilt als klarer Favorit im parteiinternen Tories-Rennen mit seinem letzten verbliebenen Rivalen, dem Aussenminister Jeremy Hunt. Dies trotz all der Pannen, Lügen und Peinlichkeiten, die der 55-Jährige im Laufe seiner Karriere angehäuft hat.

Mit seinen Frauengeschichten und verbalen Fehltritten lassen sich ganze Seiten füllen: Erst in ihrer jüngsten Wochenendbeilage hat die «Times» 60 denkwürdige Zitate von Johnson zusammengetragen. Darunter finden sich Sätze wie: «Die Tories zu wählen, das wird die Brüste Ihrer Frau vergrössern und erhöht Ihre Chancen, einen BMW M3 zu besitzen.» Oder: Hillary Clinton, einst immerhin Aussenministerin der USA, erinnere ihn an «eine sadistische Krankenschwester in einer Nervenheilsanstalt».

Unmittelbar vor einer Debatte zwischen den beiden Kontrahenten in Birmingham sorgte in der Nacht auf den letzten Freitag auch noch ein heftiger, lautstarker Streit zwischen Johnson und seiner Freundin Carrie Symonds für Wirbel. Besorgte Nachbarn alarmierten die Polizei, das Thema dominierte landesweit die Schlagzeilen.

Dennoch sollte man Johnson nicht unterschätzen. «Er wird gewinnen», sagt Ralf Sotscheck, langjähriger Grossbritannien- und Irland-Korrespondent der deutschen «Tageszeitung» (TAZ), auf Anfrage von «Bluewin». Er meint zwar: «Der einzige, der ihn stoppen könnte, ist Johnson selbst.» Der Beziehungsstreit werde ihn aber nicht zu Fall bringen.

Zitat erfunden, Job verloren

Das Amt des Regierungschefs hat Johnson schon seit Langem im Auge. Immerhin hat er in jungen Jahren im Eliteinternat Eton die Schulbank gedrückt, das schon viele Premierminister hervorgebracht hat. Später studierte Johnson in Oxford und war als Journalist tätig. Weil aufflog, dass er ein Zitat erfunden hatte, verlor er eine Stelle bei der «Times», wurde aber EU-Korrespondent für den «Daily Telegraph».

In Brüssel machte er sich als EU-kritischer Schreiber mit – natürlich – pointierten Formulierungen einen Namen. Eine Seite, die er Jahre später im Brexit-Dauerstreit wieder herauskehren sollte: Johnson zählt zu den lautesten Brexit-Befürwortern in der konservativen Tory-Partei.

Als Bürgermeister zum Weltruhm

Weltweit berühmt wurde er als Bürgermeister von London. Diese Ära dauerte von 2008 bis 2016. Dass die Olympischen Sommerspiele 2012 in diese Zeit fielen, bot dem exzentrischen Selbstdarsteller eine Bühne, die er zu nutzen wusste. Zumindest meistens: Eine misslungene PR-Aktion, bei der Johnson hoch in der Luft an einem Drahtseil hängen blieb, ging ebenso um die Welt.

Was man aber auch sagen muss: Als Aussenminister unter Theresa May gab Johnson zuletzt keine glückliche Figur ab. Er soll schlecht vorbereitet zu Verhandlungen erschienen sein, und wegen seines losen Mundwerks schimpfte ihn der TV-Comedian John Oliver den «undiplomatischsten Diplomaten aller Zeiten».

Da ist etwas dran: Johnson hatte zuvor von «Papua-Neuguinea-mässigen Kannibalismus-Orgien» gesprochen und davon, dass die Chinesen in der Geschichte keinerlei kulturellen Einfluss gehabt hätten.

Im Juli 2018 kam es schliesslich zum Bruch: Johnson warf den Bettel hin, weil ihm Mays Pläne für einen EU-Austritt «im Halse stecken» geblieben seien, wie er es in seinem Rücktrittsschreiben erklärte.

Kann er es besser als May?

Doch in der Tat: Wenn er sich nicht selbst noch ein Bein stellt, dann dürfte Johnson bald die Chance haben, zu beweisen, dass er es besser kann. Der neue Vorsitzende der Tories soll bis Ende Juli gekürt sein – er wird von den rund 160'000 Parteimitgliedern gewählt und automatisch zum neuen Regierungschef.

Würde er gewählt, werde Johnson die Partei noch weiter spalten, sagt «TAZ»-Korrespondent Ralf Sotscheck. «Viele haben bereits angekündigt, die Partei zu verlassen, sollte er Premierminister werden.» Was den Rückhalt in der Bevölkerung betreffe, so sei es ähnlich wie bei Donald Trump in den USA: «Viele lieben ihn, genauso viele hassen ihn und lehnen ihn ab. Dazwischen gibt es kaum etwas. Johnson polarisiert.»

Johnsons Chancen, das Brexit-Drama zu einem Abschluss zu führen, sieht Sotscheck als nicht allzu gut an. Dieser verspreche, die Verhandlungen von vorne zu beginnen, doch die EU lehne das ja ab.

Überhaupt habe Johnson im internen Tory-Wahlkampf bereits wieder so viele Versprechen abgegeben, die unmöglich einzuhalten seien. Nicht zuletzt sei da Johnsons «dusselige Behauptung», man könne die Backstop-Klausel – einen der Knackpunkte bei den Verhandlungen zwischen Brüssel und London über die künftige Grenze zwischen Nordirland und Irland –, «genau wie die Londoner City-Maut handhaben – das zeugt von seiner Ahnungslosigkeit», so Sotscheck.

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