Sorge vor Eskalation Warum sollte Nordkorea in den Ukraine-Krieg eingreifen?

dpa/tcar

24.10.2024 - 00:00

Kremlchef Wladimir Putin und Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un haben im Juni auch gegenseitigen militärischen Beistand vereinbart, wenn eines der beiden Länder angegriffen wird. 
Kremlchef Wladimir Putin und Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un haben im Juni auch gegenseitigen militärischen Beistand vereinbart, wenn eines der beiden Länder angegriffen wird. 
Bild: dpa (Archivbild)

Nach Angaben Südkoreas halten sich bereits Tausende nordkoreanische Soldaten in Russland auf. Auch die USA sind besorgt. Die Ukraine warnt vor einer neuen Eskalationsstufe im russischen Angriffskrieg.

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  • Den USA und Südkorea zufolge befinden sich erste Truppen aus Nordkorea in Russland.
  • Moskau und Pjöngjang streiten ab, dass nordkoreanische Soldaten für einen Kriegseinsatz in der Ukraine eingesetzt werden.
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnt vor einer neuen Eskalationsstufe im Krieg gegen Russland.

Werden künftig auch Soldaten aus Nordkorea an der Seite des russischen Militärs gegen die Ukraine kämpfen? Den USA und Südkorea zufolge befinden sich erste Truppen Pjöngjangs bereits in Russland. Bei der Führung in Kiew herrscht höchste Alarmstimmung. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnt vor einer neuen Eskalationsstufe, wenn nun Nordkoreaner in moderner Kriegsführung Erfahrung sammeln. Doch welche Interessen könnte Kim jong-un überhaupt verfolgen? Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Warum könnte Russland nordkoreanische Soldaten im Ukraine-Krieg einsetzen?

Bisher streiten Moskau und Pjöngjang ab, dass nordkoreanische Soldaten für einen Kriegseinsatz in der Ukraine oder auch im russischen Grenzgebiet Kursk vorbereitet werden. Aber Russland und Nordkorea haben einen gegenseitigen militärischen Beistand vereinbart, sollte einer von beiden von einem anderen Staat angegriffen werden. Weil die Ukraine Anfang August in der Grenzregion Kursk einmarschiert ist und dort Dutzende Ortschaften besetzt hat, könnte Moskau diese Option ziehen. 

An diesem Donnerstag soll der Vertrag über die allumfassende strategische Partnerschaft beider Länder in der Duma, dem russischen Parlament, ratifiziert werden. Aussenministeriumssprecherin Maria Sacharowa betonte, dass die militärische Zusammenarbeit beider Länder keine Gesetze verletzte.

Auch Moskauer Medien haben schon über Nordkoreaner auf dem russischen Truppenübungsplatz Sergejewka an der Grenze zu China und Nordkorea berichtet. Zitiert werden auch Experten in Moskau, die einen Kampfeinsatz zwar für möglich, aber die Auswirkungen auf den Krieg für begrenzt halten. Sie meinen, dass Russland sich vielmehr nur weitere Komplikationen einhandle. Ins Gewicht fiele auch der internationale Gesichtsverlust für Russland, Schwäche einzugestehen, wenn es aus Not im Krieg auf fremde Truppen zurückgreifen müsste.

Was hätte Nordkorea davon?

Das nordkoreanische Militär könnte vor allem Interesse am Sammeln direkter Kampferfahrung in einem modernen Grosskrieg mit einem massiven Einsatz von Drohnen und weitreichenden Raketen haben. Laut ukrainischen Angaben sollen nordkoreanische Experten bereits seit längerer Zeit unter anderem in Verbindung mit angeblich gelieferter nordkoreanischer Raketentechnik im besetzten ostukrainischen Gebiet aktiv sein. Anfang Oktober sollen demnach bereits mehrere Nordkoreaner bei einem ukrainischen Raketenschlag getötet worden sein. 

Nordkorea, dem die USA schon jetzt Munitions- und Waffenlieferungen an Russland vorwerfen, könnte Moskau durch weitere Militärhilfe stärker an sich binden und vor allem für eine mögliche Gegenleistung in der Zukunft vorbauen. Der ukrainische Militärgeheimdienstchef Kyrylo Budanow behauptete im Gespräch mit dem britischen «The Economist», dass es Nordkorea neben Geld um die Umgehung von Sanktionen und den Erhalt russischer Technologien für taktische Atomwaffen und U-Boot-Raketensysteme gehe.

Was bedeutet das für die Ukraine?

Nordkorea soll nach Angaben des südkoreanischen Geheimdienstes insgesamt bereits 3.000 Soldaten nach Russland geschickt haben, bis Ende Dezember sollen es insgesamt 10'000 sein. Angesichts des grossen russischen Kontingents dürfte die Zahl kaum ins Gewicht fallen. Russland soll aktuell 600'000 bis 700'000 Soldaten in der Ukraine und dem Grenzgebiet Kursk im Kampfeinsatz haben. Allerdings könnte eine nordkoreanische Interventionsarmee von zum Beispiel 100'000 Mann oder mehr die ohnehin von den Ukrainern nur noch mit Mühen gehaltene Front zum Zusammenbruch führen. 

Ukraine: Nordkoreanische Soldaten verstärken russische Armee

Ukraine: Nordkoreanische Soldaten verstärken russische Armee

Kiew, 14.01.2024: Nordkoreanische Soldaten in den Reihen der russischen Besatzungstruppen – Laut der ukrainischen Staatsführung existiert eine gestärkte Allianz zwischen Moskau und dem Regime von Machthaber Kim Jong Un in Pjöngjang. «Es geht jetzt nicht mehr nur um Waffenlieferungen, sondern um die Eingliederung von Nordkoreanern in die Besatzungstruppen», erklärt Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. Selenskyj nutzt diese Entwicklung, um weiter mit Nachdruck Forderungen an den Westen zu stellen. Er will den Druck auf Moskau so weit zu erhöhen, dass es ihm nicht mehr standhalten könne. Es geht darum, einen grösseren Krieg zu verhindern.

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Für Kiew liefert diese Gefahr zusätzliche Argumente, von den westlichen Verbündeten ähnliche Schritte zu verlangen. Zumindest ein auch vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron bereits in die Diskussion eingebrachter Vorschlag der Stationierung westlicher Truppen beispielsweise entlang der belarussischen Grenze, um frei werdende ukrainische Verbände an die Ostfront zu verlegen, dürfte so neuen Auftrieb bekommen.

Würde Nordkorea durch einen Einsatz seiner Soldaten zur Kriegspartei?

Um diese Frage eindeutig mit Ja zu beantworten, müssten laut Völkerrechtler Claus Kress zwei Bedingungen erfüllt sein: Erstens müssten die Soldaten unter nordkoreanischem Kommando handeln und zweitens müssten sie sich «unmittelbar an Feindseligkeiten mit der Ukraine beteiligen», also zum Beispiel selbst schiessen, sagte der Professor für Völkerrecht der Universität zu Köln. 

«Wenn Soldaten Nordkoreas unter nordkoreanischem Kommando sich unmittelbar an Feindseligkeiten mit der Ukraine beteiligen, so würde Nordkorea hierdurch zur Partei eines internationalen bewaffneten Konflikts mit der Ukraine», erklärte Kress. Ob sie das von russischem oder ukrainischem Boden aus täten, sei dafür unerheblich.

Wie reagiert der Westen?

Der Westen würde ein Eingreifen nordkoreanischer Soldaten in den Krieg als erhebliche Eskalation mit Auswirkungen über die Ukraine hinaus werten. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin warnte vor einem «sehr, sehr ernsten Problem» mit Folgen nicht nur für Europa, sondern auch für die ohnehin angespannte Lage im Indopazifik. Genauer wurde er aber nicht. Auch das Auswärtige Amt in Berlin fand klare Worte: «Die Unterstützung des russischen Angriffskriegs durch Nordkorea bedroht auch die Sicherheit Deutschlands und die europäische Friedensordnung unmittelbar.» 

USA im UN-Sicherheitsrat: «Entsendung nordkoreanischer Soldaten in Ukraine-Krieg wäre gefährlich und besorgniserregend»

USA im UN-Sicherheitsrat: «Entsendung nordkoreanischer Soldaten in Ukraine-Krieg wäre gefährlich und besorgniserregend»

STORY: Die USA haben Nordkorea vor einer Beteiligung seiner Streitkräfte am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gewarnt. Der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Robert Wood, sagte bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats in New York am Montag, ein solches Vorgehen würde eine gefährliche und äusserst besorgniserregende Entwicklung bedeuten. Man berate mit den Alliierten und Partnern über die möglichen Folgen. Zuvor hatte Nato-Generalsekretär Mark Rutte erklärt, sollten sich die Berichte über nordkoreanische Truppen aufseiten Russlands bestätigen, würde dies den Konflikt eskalieren. Nach Erkenntnissen des südkoreanischen Geheimdienstes hat Nordkorea bereits rund 1.500 seiner Soldaten in die von Russland besetzten ukrainischen Gebiete entsandt. Tausende könnten noch folgen, hiess es. Die Regierung in Moskau äusserte sich nicht konkret zu den Berichten. Dort hiess es lediglich, es sei das souveräne Recht Russlands, in allen Bereichen Beziehungen zur Führung in Pjöngjang aufzubauen.

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Das Ministerium bestellte den nordkoreanischen Geschäftsträger ein, um Besorgnis über eine Truppenentsendung zum Ausdruck zu bringen. Die westlichen Staaten versuchen nun also zunächst diplomatischen Druck auszuüben, um Nordkorea zu einem Verzicht auf ein militärisches Eingreifen zu bewegen. Auch der deutsche Botschafter Alexander Graf Lambsdorff protestierte im russischen Aussenministerium gegen diese Entwicklung.

Was machen die Nato-Staaten, wenn Nordkorea trotzdem ernst macht?

Das ist unklar, und die Mittel sind begrenzt. Wegen Nordkoreas Streben nach Atomwaffen und der schon erfolgten Unterstützung des russischen Angriffskriegs wurden bereits in der Vergangenheit zahlreiche Sanktionen verhängt. Eine signifikante Verschärfung ist kaum mehr möglich. Es bliebe dann noch die Option, im Gegenzug die militärische Unterstützung für die Ukraine deutlich auszubauen. 

Eine Nato-Entscheidung zur Entsendung von Kampftruppen gilt dagegen derzeit als ausgeschlossen, weil Bündnismitglieder wie Deutschland und die USA befürchten, dass dadurch ein Dritter Weltkrieg ausgelöst werden könnte. Dieses Szenario hat auch der ukrainische Präsident Selenskyj in der vergangenen Woche in einer Pressekonferenz in Brüssel bereits offen angesprochen. «Das ist der erste Schritt zu einem Weltkrieg», sagte er zu einem möglichen Eingreifen Nordkoreas.

dpa/tcar