Nach dem Urteil Familien der NSU-Mordopfer: «Trauer wird bleiben»

11.7.2018

Ayse Yozgat und Ismail Yozkat, Eltern eines der NSU-Mordopfers, verfolgen die Urteilsverkündung in München. Foto: Peter Kneffel
Ayse Yozgat und Ismail Yozkat, Eltern eines der NSU-Mordopfers, verfolgen die Urteilsverkündung in München. Foto: Peter Kneffel
Source: Peter Kneffel

Jahrelang haben die Familien der NSU-Mordopfer auf diesen Tag gewartet. Nun ist das Urteil gefallen, mit dem die Taten der rechtextremistischen Terrorgruppe gesühnt werden sollen. Ein schwerer Tag für die Angehörigen.

Der Vater von Halit Yozkat schreit auf, als es in der Urteilsverkündung im NSU-Prozess um den Mord an seinem Sohn geht. Gerichtsdiener versuchen, den verzweifelten Mann zu beruhigen.

Andere bleiben äusserlich gefasst, auch wenn ihre Liebsten ebenfalls von der rechtextremistischen Terrorgruppe NSU ermordet wurden. In einem Punkt sind sich die Familien einig: Einen Schlussstrich unter diese Taten darf es noch nicht geben. Viele Fragen bleiben offen.

Mehr als fünf Jahre hat der Mordprozess gegen Beate Zschäpe und vier Helfer des «Nationalsozialistischen Untergrunds» gedauert. Das Urteil gegen Zschäpe als Mittäterin der beiden toten NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos: lebenslang. Andere Verurteilte, insbesondere Andre E. aber auch Ralf Wohlleben, kämen dagegen mit zu milden Strafen davon, beklagen Angehörige.

«Was für ein Leid wir erlitten haben, darauf ist man gar nicht heute eingegangen, das hat niemand interessiert und das hat uns sehr weh getan», sagt Semiya Simsek, die Tochter des ersten Mordopfers. Der Nürnberger Blumenhändler Enver Simsek wurde 2000 erschossen.

Auch Halit Yoskats Vater Ismail fühlt sich nicht ausreichend gehört. «Wir als Familie Yozgat erkennen das Urteil unabhängig von seinem Ergebnis nicht an. Es ist für uns gegenstandslos und nichtig», sagt er laut einem Übersetzer. Das Gericht habe sie nicht gehört und auch nicht hören wollen. «Das Urteil, das Sie und Ihr Senat treffen, bleibt ein schwarzer Fleck in unseren Herzen», sagt er an die Adresse des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl.

Etwas verloren steht Mustafa Turgut vor dem Gerichtsgebäude in München. Sein Bruder Mehmet wurde in Rostock an einem Dönerstand erschossen. Sein Anwalt übersetzt: «Wir haben Respekt vor dem Urteil, aber wir haben noch viele Fragen, die nicht beantwortet sind.» Nämlich nach möglichen Helfern, nach Hintermännern, nach der Rolle der Behörden und vor allem des Verfassungsschutzes.

Das ist die Hauptforderung auch der Anwälte, die die als Nebenkläger beteiligten Familien vertreten, so wie Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler: «Die Aufklärung endet nicht heute, wir müssen davon ausgehen, dass es weitere Mittäter gibt und Helfershelfer, die auf freiem Fuss sind.» In der Tat laufen laut Bundesanwaltschaft noch Ermittlungen gegen neun Beschuldigte, ausserdem werden weitere Hinweise geprüft.

Der Sohn des im Juni 2005 in Nürnberg getöteten Imbissinhabers Ismail Yasar ringt um Fassung. «Da wurde auch vorhin geschildert, wie er hingerichtet wurde. Da kommt alles wieder hoch», sagt Abdulkerim Yasar, der damals 15 Jahre alt war. Auch er hätte sich für einige Mitangeklagten höhere Strafen gewünscht. «Nachdem sie draussen sind, werden sie weiterleben mit ihren Kindern und ihrer Familie. Wir sind die Leute, die dastehen ohne Vater.»

Gamze Kubasik, Tochter des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik, die sonst stets öffentlich Stellung nahm, wirkt nach dem Urteil wie versteinert. In der Mittagspause läuft sie an der Seite ihres Anwalts über den Platz vor dem Gericht, den Blick starr geradeaus gerichtet. Kein mündliches Statement, sie wendet sich mit einer Mitteilung an die Presse: «Heute sind fünf Menschen verurteilt worden, die jeder für sich verantwortlich für den Mord an meinem Vater sind. Das ist kein Trost. Mein Vater wird dadurch nicht wieder lebendig.» Und: «Wenn das Gericht ehrlich ist, wird es auch noch sagen, dass Lücken geblieben sind. Solange diese Lücken bleiben, können meine Familie und ich nicht abschliessen.»

Ihre Mutter Elif lässt über den Anwalt Carsten Ilius eine Erklärung verlesen: Sie sei noch nicht in der Lage, selbst zu sprechen. Sie nehme das Urteil mit Entsetzen und Unverständnis auf. In den milden Urteilen insbesondere gegen Andre E. und Ralf Wohlleben sehe sie «eine weitere Ermutigung» der Neonazi-Szene.

Die Juristin Gül Pinar, die Angehörige des Hamburger Gemüsehändlers Süleyman Tasköprü vertritt, fühlt mit den Angehörigen mit. Die meisten hätten die Entscheidung sehr diszipliniert aufgenommen. Gefasst sei zu positiv ausgedrückt. «Allerdings konnte ich in den Gesichtern lesen: Das Urteil ist zum Teil zu milde.»

Mehrere Anwälte haben schon Revision angekündigt, so dass das Thema juristisch noch nicht abgeschlossen ist. Auch persönlich werden die Angehörigen die Erinnerungen an die schlimmen Erlebnisse immer mit sich tragen, so wie Abdulkerim Yasar. «Das war schon schwer damals, ohne Vater dazustehen», sagt der heute 28-Jährige. «Auf jeden Fall: Trauer wird bleiben.»

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