99 Tage im Amt Spendierfreudiger Biden platziert einen Seitenhieb auf die Schweiz

Von Philipp Dahm

29.4.2021

Joe Biden zieht Bilanz – und präsentiert weitere ehrgeizige Ziele. Der Ausbau des Wohlfahrtsstaates dürfte teuer werden. Gleichzeitig sagt er «Steueroasen» wie der Schweiz den Kampf an.

Von Philipp Dahm

Statt 1600 Zuhörern im Kapitol durften nur 200 Abgeordnete dabei sein, die per Los ausgewählt worden sind. Die Sitzung wird traditionell vom Vizepräsidenten und dem Sprecher des Repräsentantenhauses geführt – beziehungsweise der Vizepräsidentin und der Sprecherin: Mit Kamala Harris und Nancy Pelosi sind erstmal ausschliesslich Frauen in der Verantwortung.

«Kein Präsident hat von diesem Podium jemals diese Worte gesagt», hält Joe Biden dann auch bei der Begrüssung der beiden fest. Und der Demokrat kündigt an: «Ich bin gekommen, um heute Abend über Krisen und Chancen zu sprechen.» Die Botschaft: «Das Leben kann einen niederschlagen. Aber in Amerika bleiben wir niemals am Boden.»

Biden zieht Bilanz. Der 78-Jährige spricht über seine Erfolge bei der Corona-Impfung, die unbestritten sind. Er erinnert an die Corona-Hilfe in Höhe von 1400 Dollar, die bereits 160 Millionen Mal ausgestellt worden sei. Er berichtet von der Alleinerziehenden aus Texas, die deswegen die Räumung abwenden konnte und der Grossmutter aus Virginia, die mit dem Geld endlich ihre Enkelin zum Augenarzt bringen konnte.

800'000 Amerikaner seien durch neue Massnahmen in den ersten 99 Tagen seiner Amtszeit krankenversichert, und insgesamt seien 1,3 Millionen neue Jobs entstanden – «mehr als bei jedem anderen Präsidenten in der Geschichte». Der Lohn: Ein prognostiziertes Wirtschaftswachstum von sechs Prozent in diesem Jahr. «Amerika bewegt sich, geht vorwärts, und wir können jetzt nicht aufhören.»

Wer soll das bezahlen?

Was Biden vorhat? Investieren. In Infrastruktur, in Bildung, in Wissenschaft. Er nennt das den «American Jobs Plan». Strassen, Eisenbahnen und Häfen sollen ausgebaut werden. Konkreter will sich seine Administration um Blei-Wasserleitungen kümmern, die es zu ersetzen gilt, um schnelles Internet, das grossflächig ausgebaut werden soll, und die Erneuerung des Stromnetzes und der Aufbau von 500'000 Lade-Stationen an den Highways.

Joe Biden am 28. April während seiner Ansprache im Repräsentantenhaus. Im Hintergrund: Vize-Präsidentin Kamala Harris (links) und Sprecherin Nancy Pelosi.
Joe Biden am 28. April während seiner Ansprache im Repräsentantenhaus. Im Hintergrund: Vize-Präsidentin Kamala Harris (links) und Sprecherin Nancy Pelosi.
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Ein anderes grosses Vorhaben ist der «American Families Plan»: Kinder sollen gratis in die Vorschule geschickt werden und auch später länger lernen. Kostenfreie Colleges, höhere Steuerfreibeträge für Kinder, Hilfen für mittellose Familien und günstigere Gesundheitsangebote, verspricht Biden.

Das klingt alles schön und gut – nur wer soll das bezahlen? «Es ist an der Zeit für das unternehmerische Amerika und das reichste ein Prozent, ihren fairen Anteil zu bezahlen», sagt Biden. 55 der grössten Unternehmen würden Gewinne von mehr als 40 Milliarden machen, ohne Steuern zu bezahlen.

«Steueroase Schweiz»

«Viele Firmen vermeiden Abgaben dank Steueroasen von der Schweiz über Bermuda bis zu den Cayman Islands», weiss Biden. Damit müsse Schluss sein. Der Spitzensteuersatz solle gleichzeitig wieder auf das Niveau steigen, auf dem es unter George W. Bush war, der von 2001 bis 2009 im Amt war: 39,6 Prozent sollen fällig werden.

Der Präsident bekräftigt sein Engagement fürs Klima, gegen Gewalt gegen Frauen, gegen Diskriminierung und Waffen-Gewalt. «Diese Art von vernünftigen Reformen finden eine überwältigende Unterstützung  – inklusive vieler Waffenbesitzer», sagt er. Der Sturm aufs Kapitol sei ein Test gewesen, ob die Demokratie überleben kann. «Sie hat es», so Biden.

Mit Blick auf Russland und China versicherte der US-Präsident, er werde Einmischungen nicht dulden und Menschenrechte und Bündnispartner verteidigen. Doch die Botschaft seiner Rede richtet sich vor allem an das Volk. An den Mittelstand, den er so oft erwähnt, und für den er Mal ums Mal das Wort «Jobs» in den Mund nimmt.

Biden will Aufbruchstimmung verbreiten – ob seine Botschaft angekommen ist, werden die kommenden Wochen und Monate zeigen.