Lagebild Ukraine Erst bremst ein Dammbruch Putin aus, dann fällt ihm eine Frau in den Rücken

Von Philipp Dahm

27.2.2023

US-Regierung: Russische Annexion der Krim nie anerkennen

US-Regierung: Russische Annexion der Krim nie anerkennen

Die US-Regierung hat erneut deutlich gemacht, die Einverleibung der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim durch Russland niemals anzuerkennen.

27.02.2023

Einerseits ist dem Kreml bei Bachmut ein Vorstoss gelungen, bevor wärmeres Wetter den Boden in Matsch verwandelt. Andererseits haben die Verteidiger einen Damm gesprengt – um dann selbst zurückzuschlagen.

Von Philipp Dahm

Das Zeitfenster für grössere russische Offensiven schliesst sich: Nach einem ohnehin zu warmen Jahreswechsel steigen die Temperaturen in der Ukraine in den kommenden Wochen an – garniert mit viel Regen.

Wenn gleichzeitig der Schnee schmilzt, verwandeln sich die Böden in lehmige Sümpfe, die ein Vorankommen der Angreifer stark erschweren. Bisher hat Moskau nur bedingt Erfolge vorzuweisen: Den Donbass wie geplant im März vollständig zu erobern, dürfte aussichtslos sein.

Zumal es auch an allen Ecken und Enden an Nachschub fehlt. Das gilt nicht nur für Munition und Material, sondern auch für Truppen, analysiert das Institute for the Study of War. Die Washingtoner Denkfabrik rechnet damit, dass dem Kreml Ende Mai die Soldaten ausgehen: «Wladimir Putin wird gezwungen sein, sich zwischen einer Kampagne zur Rekrutierung von Freiwilligen oder dem unpopulären Befehl zur zwangsweisen Einberufung der Reserve zu entscheiden.»

Das «Gespenst des unbegrenzten russischen Personalpools» sei zwar ein Mythos, heisst es weiter. Aber: «Russland kann mehr Soldaten mobilisieren, und Putin wird das wahrscheinlich auch eher tun als aufzugeben. Aber die Kosten für Putin und Russland werden sich schnell erhöhen.»

Bachmut: Tödliche Umarmung

Im Norden will die ukrainische Seite russische Angriffe bei Kupjansk, Swatowe und Kreminna abgewehrt haben. Weiter südlich tobt weiterhin die Schlacht um Bachmut, in der es erst so schien, als würde Putins Armee endlich grössere Fortschritte machen, die den hohen Blutzoll bei der Eroberung der Stadt rechtfertigen könnten.

So konnten russische Kräfte nicht nur in den östlichen Vororten vorrücken, sondern auch im Süden der Stadt Boden gutmachen. Gleichzeitig schickten sich die Angreifer an, von Norden her die Umklammerung zu vollenden, nachdem die ukrainische Verteidigungslinie durchbrochen werden konnte.

Die Gruppe Wagner zeigt am 25. Februar auf Social Media ein Bild von Söldnern vor dem Ortsschild des Dorfes Yahidne kurz vor Bachmut. Viele Tausend Soldat*innen der Verteidiger könnten eingeschlossen werden, freuten sich russische Militärblogger. Doch die Angreifer haben die Kreativität von Leuten wie Olha Bihar, Rufname «Hexe», unterschätzt. Die angehende Anwältin – siehe obiger Tweet – kommandiert einen Mörserzug der Territorialverteidigung.

Eine Anwältin dreht den Spiess um

Ihre Kameraden haben erst im Norden von Bachmut den Damm des Sees Pivnichnyi gesprengt, um die russischen Angreifer mit den Wassermassen aufzuhalten. Schon wurde spekuliert, dass auch das grössere Berchiwske-Reservoir auf Putins Armee losgelassen werden könnte.

Nach der Eroberung von Berchiwka und Yahidne hat die ukrainische Artillerie einen Damm zerstört, um den russischen Vorstoss zu bremsen.
Nach der Eroberung von Berchiwka und Yahidne hat die ukrainische Artillerie einen Damm zerstört, um den russischen Vorstoss zu bremsen.

Stattdessen haben die ukrainischen Streitkräfte aber den Spiess umgedreht: Die 17. Panzerbrigade und die 3. Angriffsbrigade haben Gegenoffensiven gestartet und konnten der russischen Armee dabei in den Rücken fallen. Ob der Gegner eingekesselt wurde oder sich noch nach Norden oder Osten zurückziehen konnte, ist unklar.

Trotz des ukrainischen Teilerfolgs ist eine russische Präsenz in Yahidne ein Problem: Sie bedroht die letzte Verbindungsstrasse nach Bachmut. Und wenn wir schon beim Thema Rückzug sind: Die ukrainische Armee hat den Ostteil der Stadt hinter dem Fluss Bachmutka nun offenbar geräumt.

Dauerfeuer in Donezk

Auch westlich von Donezk stehen die ukrainischen Verteidiger unter Druck: Im Norden steht Awdijwka unter russischem Dauerfeuer, weiter südlich stehen Truppen vor den Toren von Krasnogorowka und wieder weiter südlich rückt Moskaus Armee auf Kostyantnivka vor.

Russisches Artilleriefeuer westlich der Grossstadt Dionezk.
Russisches Artilleriefeuer westlich der Grossstadt Dionezk.
Screenshot: LiveUAMap

Kostyantnivka liegt an einer Strasse, die im Südwesten nach Wuhledar führt: Von hier aus könnte der Kreml die Bergarbeiter-Siedlung, die sich beharrlich einer Eroberung widersetzt, aus einer neuen Richtung angreifen.

Dass Moskau in Wuhledar nicht vorankommt, ist der Artillerie geschuldet. Zum einen der ukrainischen, die weiterhin Depots und Kasernen im Hinterland ins Visier nimmt. Seit dem 21. Ferbuar hat es mindestens 14 schwere Treffer gegeben, attestiert der britische MI6.

Wuhledar: Russland versucht, Truppen zusammenzuziehen

Die Angreifer können deshalb offenbar ihre Truppen nicht auffüllen, die in Wuhledar heftige Verluste erlitten haben, wie eine neue Analyse des britischen Verteidigungsministeriums zeigt. Demnach ist die einst zur Elite zählende 155. Marineinfanterie-Brigade aus Wladiwostok extrem geschwächt worden.

Spannend: Mariupol ist von der Frontlinie 80 Kilometer entfernt – und liegt damit ausser Reichweite der aktuellen Himars-Munition der ukrainischen Artillerie. Warum Kiew dennoch Ziele in dieser Entfernung treffen konnte, muss die Zeit zeigen – es ist denkbar, dass das das Werk der Ground Launched Small Diameter Bomb (GLSDB) ist.

Auch weiter westlich hält die ukrainische Verteidigungslinie. Die Schlüsselstadt im Oblast Saporischschja ist Orichiw, wo der Amerikaner Greg Terry für eine Organisation unterwegs ist, die an der Front die Menschen mit dem Nötigsten versorgt. Sein Videobericht zeigt, dass auch in diesen ruhigeren Frontabschnitten die Zerstörung gross ist.

Waffen-Update

Der Krieg in der Ukraine zeigt klar, wie wichtig Wartung und Nachschub sind. In dieser Hinsicht gibt es eine gute Nachricht für Kiew: Wie die «New York Times» berichtet, haben mehrere kleine Fabriken in Bulgarien wieder damit begonnen, Munition im sowjetischen Format zu produzieren, um die Ukraine damit zu versorgen.

Nachschub aus Sowjetzeiten kommt auch aus dem Balkan: Kroatien will Kiew 12 Helikopter vom Typ Mi-8MTB-1 sowie 2 Mi-8T überlassen. Die Lücke will Zagreb angeblich mit amerikanischen Black Hawks füllen. Unterstützung erhält die Ukraine auch aus Saudi-Arabien, das offenbar Öl-Produkte im Wert von 300 Millionen Dollar und weitere 100 Millionen Dollar Aufbauhilfe übergeben will.

Das kleine Litauen, das neben Estland und Lettland der Ukraine am meisten hilft, wenn man Hilfen auf das Bruttoinlandprodukt herunterbricht, zeigt sich mal wieder mit den Angegriffenen solidarisch: In nur einem Monat hat eine private Initiative 14,7 Millionen Dollar für ein neues Luftverteidigungsradar gesammelt.

Ein schönes Geschenk für Kiew hält auch Stockholm bereit: Wie die schwedische Regierung mitgeteilt hat, soll die Ukraine bis zu zehn Leopard 2 sowie das Flugabwehrsystem Hawk erhalten. Ausserdem soll zusammen mit Deutschland Nachschub bei der sehr erfolgreichen Luftabwehr Iris-T organisiert werden.