Erdbeben und Bürgerkrieg Die kleine Aya hat eine düstere Zukunft vor sich

tjnj

8.2.2023

Szene der Verwüstung: Die syrische Stadt Aleppo wird besonders stark vom gegenwärtigen Erdbeben heimgesucht.
Szene der Verwüstung: Die syrische Stadt Aleppo wird besonders stark vom gegenwärtigen Erdbeben heimgesucht.
Bild: SANA/dpa

Die Meldung ist berührend und erschütternd zugleich: Retter bergen ein Neugeborenes aus den Trümmern von Afrin in der syrischen Provinz Aleppo. Was erwartet die kleine Aya in ihrer kriegsversehrten Heimat?

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Besondere Aufmerksamkeit erfuhr am heutigen Mittwoch die Nachricht eines neugeborenen Mädchens, das, noch mit einer Nabelschnur mit der toten Mutter verbunden, aus den Trümmern eines Hauses gerettet werden konnte. Doch in was für Zustände wurde die Kleine überhaupt geboren?

Seit 2011 herrscht in dem Land an der Levante ein blutiger Bürgerkrieg.

Erst 2014, als Terrorgruppen wie der «Islamische Staat» (IS) die chaotischen Zustände nutzen, um Einfluss zu gewinnen und sich nach und nach internationale Parteien wie die USA, Russland und die Türkei an dem Konflikt beteiligen, wird das Thema allgegenwärtig.

2019 wurde der IS offiziell für besiegt erklärt. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist das Thema weitgehend aus den Medien verschwunden. Der Bürgerkrieg jedoch wütet weiter.

Seit Anfang Woche ist das Land wieder zurück in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Neben der Türkei ist Syrien das am stärksten vom Erdbeben im Nahen Osten betroffene Land. Mindestens 11'000 Menschen sollen bei der Katastrophe in den beiden Ländern ihr Leben verloren haben.

Militärische Konflikte

Als wäre die Erdbeben-Katastrophe nicht schon unübersichtlich genug, wird Syrien immer noch von einem Bürgerkrieg zwischen Assads Regierungstruppen und aufständischen Kräften verwüstet. Dabei haben unterschiedliche Gruppierungen verschiedene Unterstützer. So geht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan gegen kurdische Kämpfer in Nordsyrien vor.

Die kleine Aya ist bereits Vollwaise: Retter haben das Mädchen aus den Trümmern der syrischen Stadt Afrin geborgen. Es war noch über die Nabelschnur mit seiner toten Mutter verbunden. 
Die kleine Aya ist bereits Vollwaise: Retter haben das Mädchen aus den Trümmern der syrischen Stadt Afrin geborgen. Es war noch über die Nabelschnur mit seiner toten Mutter verbunden. 
KEYSTONE

Die kurdisch geführten demokratischen Kräfte Syriens (SDF) setzen sich für ein säkulares, demokratisches Syrien ein und waren lange Verbündete der USA und deren Verbündete im Kampf gegen den IS.

Nach dem Abzug der USA ging Erdoğan verstärkt gegen die Kurden vor, 2022 tat sich die SDF mit Assads Armee zusammen. Die Türkei betrachtet die SDF als terroristische Organisation, die der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nahesteht.

Vergangenen November bombardierte die Türkei Stellungen der SDF, der PKK und syrischer Regierungstruppen als Vergeltung für einen Bombenanschlag in Istanbul, für den Ankara kurdische Nationalisten verantwortlich macht. Auch mit den Überresten des IS gibt es nach wie vor Kämpfe.

Humanitäre Hilfe läuft nur schleppend an

Die verzwickte Kriegslage erschwert auch die dringend benötigte Hilfe nach den Erdbeben im weitestgehend von Rebellen kontrollierten Norden Syriens. Besonders betroffen sind Aleppo und Umgebung – kontrolliert von Assads Regime – und die Provinz Idlib im nördlichen Westen des Landes.

Dass die beiden Parteien zusammenarbeiten, ist undenkbar. In den von Rebellen kontrollierten Regionen sind Hilfsorganisationen auf die Unterstützung der Türkei angewiesen, weil von der syrischen Regierung keine Hilfe zu erwarten ist.

In den von der Regierung kontrollierten Gebieten hingegen stehen die im Zuge der Menschenrechtsverletzungen des Regimes verhängten US-Sanktionen im Weg. Die meisten Staaten verweigern ausserdem jegliche Kooperation mit Assads Regierung.

Völlig verarmt und verzweifelt

Armut ist in Syrien weit verbreitet. Die meisten Menschen in den Rebellengebieten leben unterhalb der Armutsgrenze, auch in den unter Verwaltung der Regierung stehenden Regionen leben laut dem UNO-Büro für humanitäre Angelegenheiten 90 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze.

Die desaströse wirtschaftliche Lage ist auch einer der Gründe für die hohe Selbstmordrate des Landes. Vor allem unter jungen Menschen ist diese im vergangenen Jahr extrem angestiegen. Die Aussichtslosigkeit der Situation wird dabei als häufiger Grund angegeben.

Unter Mädchen ist die Suizidrate besonders hoch. Neben dem Krieg und der desolaten wirtschaftlichen Lage kommen hier weitere geschlechtsspezifische Faktoren ins Spiel: sexuelle Belästigung, häusliche Gewalt und Verheiratung im Kindesalter. Letztere wird durch die Armut gefördert: Es gibt Berichte über Familien, die ihre Töchter gewinnbringend verheiraten, um Geld für Nahrung zu bekommen.

Im Westen kann man es sich leisten, all das auszublenden: aus den Augen, aus dem Sinn. Durch das katastrophale Erdbeben wird Europa einmal mehr daran erinnert: In einem Land wie Syrien könnte die Lage kaum düsterer sein.