Lagebild UkraineDie Front friert ein, doch eine türkische Waffe lässt Kiew hoffen
Von Philipp Dahm
25.11.2022
Selenskyj: «Russland kriegt uns nicht klein»
Die Einwohner von Kiew und Geflüchtete aus dem ganzen Land rücken zusammen. Und das gilt noch mehr, nachdem Russland seinen Raketenbeschuss verstärkt hat und vielerorts die Strom- und Wasserversorgung zusammengebrochen ist. Die ukrainischen Behörden haben sogenannte «Unbesiegbarkeitszentren» eingerichtet.
25.11.2022
Im Nordosten ist es so ruhig, dass Russen eine Offensive befürchten. Im Donbas gehen die schweren Gefechte weiter – und Cherson wird nun mit Artillerie eingedeckt. Dafür freut sich Kiew über eine neue türkische Waffe.
Von Philipp Dahm
25.11.2022, 14:24
25.11.2022, 14:33
Philipp Dahm
An der Grenze zwischen Charkiw und Luhansk hat sich die Front stabilisiert, aber erst nachdem Russland Spezialeinheiten nachgeschoben hat: Laut britischem Geheimdienst sind WDW-Luftlandeeinheiten, die zuvor in Cherson stationiert waren, hierher verlegt worden.
Es handelt sich um Elite-Truppen, die nach dem Rückzug aus Cherson aber nicht bei voller Stärke sein dürften. Sie werden ihren Anteil daran gehabt haben, dass ein erneuter ukrainischer Vorstoss auf das Dorf Novoselivske gescheitert ist. Gleichzeitig versuchen Kiews Soldat*innen die Strasse P07 zu bedrohen, die von Kupjansk über Novoselivske nach Swatowe führt.
Die gegnerischen Streitkräfte haben sich westlich von Swatowe eingegraben und Panzersperren errichtet. Russische Militärblogger spekulieren, es könnte bald eine grössere ukrainische Offensive geben, weil die Front derzeit relativ ruhig ist. Auch weiter nördlich um Kreminna herum sind die Kämpfe abgeflaut.
Weiter heftige Kämpfe im Donbas
Ganz anders sieht es dagegen um Bachmut herum aus. Nach wie vor liefern sich beide Parteien hier schwere Gefechte, wobei es schweren Artilleriebeschuss gibt. Hier kommen auch schwere Mörser und Mehrfach-Raketenwerfer zum Einsatz. Ukrainische Truppen haben angeblich erfolglos versucht, die Siedlung Optyne zurückzuerobern, die südlich vor den Toren der Stadt liegt.
Brennender Treibstoff-Zug: Ukraine Himars-Geschosse haben in Makijwka hinter der Front angeblich russische Nachschublinien getroffen.
Noch etwas weiter südlich versuchen russische Truppen vorzustossen. Die Idee ist wohl, Bachmut zu umgehen und dann mit einer Bewegung den Norden einzukesseln. Doch auch aus Soledar, das zehn Kilometer nordöstlich von Bachmut liegt, soll es heftige Kämpfe geben. In Spirne, das 25 Kilometer nordöstlich von Bachmut liegt, hat Russland Videos zufolge verbotene Brandmunition eingesetzt.
Ukrainische Kampfhelikopter im Einsatz bei Bachmut.
Ein zweiter Brennpunkt ist Awdijiwka, das 50 Kilometer im Süden von Bachmut liegt. Von hier aus sind es nur gut 4 Kilometer bis zum Flughafen von Donezk. Auch hier versuchen russische Truppen offenbar, die befestigten Stellungen im Norden und Süden von Awdijiwka zu umgehen, um die Stadt einzukesseln. Der Gegner hat seine Kräfte hier angeblich verstärkt, um den Vorstoss zu stoppen.
Artillerie-Duelle im Süden
Im Oblast Saporischschja gibt es keine Meldungen, die die Spekulation verdichten, die Ukraine könnte hier nach Melitopol vorstossen, um einen Keil in das russisch besetzte Gebiet zu treiben. Hier wird lediglich berichtet, russische Artillerie nehme Orte an der Kontaktlinie unter Beschuss. Namentlich geht es um Tschariwne, Olhiwske und Huliaipilske.
Генштаб ВСУ подтвердил результаты огневого поражения скоплений живой силы ВС РФ 18 ноября, в н.п. Васильевка, Новобогдановка, Михайловка и Камыш-Зоря. Потери оккупантов составили более 160 человек ранеными. Уничтожены около 10 ед. военной техники разных типов и склад БК. pic.twitter.com/MKYNOeVHdE
Der oben stehende Tweet beschreibt ukrainischen Artilleriebeschuss russischer Stellungen in Saporischschja am 23. November.
Im westlichsten Frontabschnitt in Cherson hat die Stunde der Artillerie geschlagen: Vom östlichen Ufer des Dnjepr aus nimmt Russland in Cherson-Stadt um die Umgebung ins Visier, während die Bodentruppen ihre defensiven Stellungen entlang der Autobahn E97 ausbauen, die von Cherson zur Krim führt. Am 23. November wurden angeblich auch hier Brandbomben eingesetzt. Das Dauerfeuer setzt der Bevölkerung zu.
«Ich habe Angst», sagt Ludmilla Bonder aus der kleinen Ortschaft Kyseliwka der Nachrichtenagentur AP. «Ich schlafe immer noch vollständig bekleidet im Keller.» Andere verlassen die Region, wie Tetjana Stadnik aus Cherson: «Wir gehen jetzt, weil wir hier jeden Abend mit Angst ins Bett gehen. Geschosse fliegen über unsere Köpfe und explodieren. Es ist zu viel. Wir werden warten, bis die Situation besser wird. Und dann werden wir nach Hause zurückkehren.»
Nächster Raketen-Angriff frühestens in einer Woche
Das ukrainische Militär feuert zurück: Seine Artillerie hat den Feind angeblich in Melitopol und nahe von Wessele getroffen. In der Siedlung, die rund 50 Kilometer südlich des AKW Saporischschja liegt, seien S-300-Batterien zerstört worden, die angeblich für den Beschuss einer Geburtenklinik in Wilnjansk verantwortlich waren.
Russian occupied Nova Kakhovka and Oleshky are getting hammered by Ukrainian artillery.
Ein Vorstoss über den Dnjepr ist nicht zu erwarten – auch wenn die Kinburn-Halbinsel ein Dorn in Kiews Fleisch ist, weil von hier aus Mikolajew weiter beschossen werden kann: «Das hat russische Versorgungslinien unterbrochen und wird auch einen weiteren ukrainischen Vormarsch über das linke Flussufer hinaus erschweren», sagt Mario Bikarski vom Forschungsunternehmen Economist Intelligence Unit.
Ob der fehlenden neuen Offensiven bleibt der Krieg aktuell von den russischen Angriffen auf die zivile Infrastruktur geprägt. «Sie wollen uns brechen», sagt Andrij Jusow, Sprecher des Militär-Geheimdienstes. «Sie wollen uns in Dunkelheit und Kälte stürzen, um uns zu zwingen, zu verhandeln. Es wird nicht funktionieren.»
Waffen-Update
Laut Jusow brauche Moskau mindestens eine Woche Zeit, um solche massiven Raketenangriffe vorzubereiten. Weil der Vorrat an Präzisionswaffen verbraucht sei, würden nun vermehrt ungenaue Systeme wie die Flugabwehr-Rakete S-300 für die Attacken genutzt. Auch der Bestand an iranischen Shahed-136-Drohnen ist offenbar schon erschöpft.
"Ukrainians themselves will become our weapon when so many of them go to Europe and will need to be upkept there".
Nachdem Iraner, die russische Soldaten trainieren sollten, angeblich an der Front in der Ukraine getötet worden sind, gab es seit dem 17. November keine Sichtungen mehr. Weil die iranischen Kapazitäten für den Bau begrenzt sind, baut Russland laut «Washington Post» nun eine eigene Produktion auf.
Russia using Luna-M missile developed the 1960s - "Freedom for Russia" legion which fights for Ukraine
Eine deutlich potentere Waffe hat dagegen nun die Ukraine im Arsenal: Ankara hat Kiew offenbar mit Raketen vom Typ TRLG-230 ausgestattet. Diese können von Raketenwerfern wie Himars und MLRS verschossen werden und haben eine Reichweite von 150 Kilometern. Das erweitert den Wirkungskreis der ukrainischen Artillerie erheblich.
BIG DEVELOPMENT: Per @IsmailDemirSSB, Pres of 🇹🇷 Defence Industry Agency, TRLG 230 can actually hit targets 150km away. Today @DefMon3 posted this map showing what the provision of GLSDBs (also with a 150km range) would look like. I think we now know what 🇺🇦 hit Dzhankoi with. https://t.co/iTc2xl2COHpic.twitter.com/tYPtMSJ4h0
Auch andere Länder halten weiter zu Kiew: Kroatien will im eigenen Land ukrainische Truppen ausbilden, Kanada trainiert neu in Polen ukrainische Pioniere und Grossbritannien schickt Flugabwehr-Kanonen und weiteres Zubehör für die Luftabwehr. Washington will Kiew durch Flugabwehr-Raketen vom Typ NASAMS und Munition unterstützen.
#Ukraine: The first photo of German-donated Dingo MRAP infantry fighting vehicles 🇩🇪 in service with the Ukrainian Air Assault Forces along with T-80BV and very interesting BMP-2 with BMD-2 turrets. 30 Dingos were already delivered to Ukraine with 20 more to be transferred soon. pic.twitter.com/5CxgsV5AJV