Merkels CDU Kopflos in den Richtungskampf – eine Volkspartei sucht ihre Mitte

Von Philipp Dahm

10.2.2020

Annegret Kramp-Karrenbauer war angeschlagen, der Thüringen-Eklat lässt sie resignieren. Der steht auch für einen Richtungsstreit innerhalb der CDU, die nun so dringend Führung bräuchte. Ein letzter Fall für Merkel.

Im Grunde hat Angela Merkel am 7. Dezember 2018 für ein Schisma in der CDU gesorgt. Bis dahin waren Kanzlerschaft beziehungsweise -kandidatur und der Vorsitz der Partei unteilbar miteinander verknüpft gewesen.

Doch als die Kanzlerin damals den CDU-Chefposten an Annegret Kramp-Karrenbauer abgab, obwohl noch gar nicht feststand, ob jene bei der nächsten Wahl wirklich auch das Zugpferd sein würde, betrat sie christdemokratisches Neuland. Merkel wollte eben ihre Nachfolge regeln, ihr Erbe.

Aber nun, gut ein Jahr später, steht die CDU vor einem Scherbenhaufen.

Annegret Kamp-Karrenbauer unterrichtete heute Morgen den Bundesvorstand über ihren bevorstehenden Rückzug von der CDU-Spitze. Auf den Grund für diesen Entscheid kam die 57-Jährige gleich zu Beginn der Pressekonferenz in Berlin zu sprechen: der Polit-Eklat in Thüringen.

Mehr Stärke für die CDU: Kramp-Karrenbauer am Montag bei der Ankündigung ihres Rückzugs aus der Parteispitze.
Mehr Stärke für die CDU: Kramp-Karrenbauer am Montag bei der Ankündigung ihres Rückzugs aus der Parteispitze.
Boild: Keystone

Die Wahl von FDP-Kandidat Thomas Kemmerich mit den Stimmen von FDP, AfD und CDU hat für viel Kritik auch an ihrer Führungsstärke gesorgt – und das Fass lief bald über. Doch fast trotzig erklärte Kamp-Karrenbauer, der CDU-Vorstand habe den von ihr vorgegebenen Kurs für die Regierungsbildung in Erfurt einstimmig unterstützt.

«Wir müssen stark sein. Stärker als heute»

Er lautete: «Keine Annäherung oder Zusammenarbeit mit der AfD und der Linken.» Die AfD stünde gegen alles, was die CDU vertrete. Auf die Rechtsaussen zuzugehen, «schwächt die CDU», warnte die Politikerin, sie forderte gleichzeitig: Eine Kooperation «mit der Linken kann es nicht geben». Das hatte auch Merkel schon so gehandhabt. 

Als die Regierungskrise in Erfurt ihren Lauf nahm, gelang es «AKK» nicht, den Thüringer Landesverband auf Kurs zu bringen. Und im fernen Pretoria, Südafrika, musste sich Angela Merkel auf einer Pressekonferenz mit dem Staatspräsidenten zu Erfurter Angelegenheiten äussern ­– ein Unding. Und dann stiess das in Erfurt auch noch auf taube Ohren.

Berlin und erst recht Pretoria sind buchstäblich weit weg von den Befindlichkeiten ostdeutscher Politiker. Kramp-Karrenbauer äusserte sich so: «Wir spüren derzeit starke Fliehkräfte in unserer Gesellschaft und in unserer Volkspartei CDU», sagte sie auf der Pressekonferenz.

Ihre Schlussfolgerung: «Wir müssen stark sein. Stärker als heute.» Und Stärke zu zeigen, das sei vor allem auch Aufgabe jener Person, die den CDU-Vorsitz inne habe, so die frühere saarländische Ministerpräsidentin. AKK hat diese Autorität in den eigenen Reihen offensichtlich gefehlt, sie hat sie wohl auch mehr und mehr verspielt.

Rücktrittsgedanken «seit geraumer Zeit»

Kramp-Karrenbauer will nun zumindest das Verfahren mitgestalten, durch das der CDU-Spitzenkandidat gekürt wird. «Mit dem Verzicht auf meine eigene Kandidatur kann ich diesen Prozess freier gestalten», erklärte sie. Wenn ein Parteitag das Prozedere festgelegt und sich ein Bewerber durchgesetzt habe, dann wolle sie den CDU-Chefposten endgültig räumen. Sie betonte: «Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur müssen aus meiner Sicht am Ende in einer Hand liegen.»

Jens Spahn, «AKK» und Friedrich Merz bei der vergangenen Suche eines CDU-Vorsitzenden in Dezember 2018.
Jens Spahn, «AKK» und Friedrich Merz bei der vergangenen Suche eines CDU-Vorsitzenden in Dezember 2018.
Bild: Keystone

Verteidigungsministerin wolle sie bleiben, ergänzte Kramp-Karrenbauer – Angela Merkel muss es sich ausdrücklich so gewünscht haben. Zuvor hatte sich AKK  für den Verbleib im Ministerium noch grünes Licht von der Partei geben lassen – ebenfalls ein Zeichen dafür, wie verunsichert die Vorsitzende auf Zeit ist. Dazu passt, dass sie zugab, schon seit «geraumer Zeit» über ihren Rücktritt nachgedacht zu haben.

In dieser «Phase, in der Deutschland auf eine starke CDU angewiesen ist», sieht sie sich nicht mehr als durchsetzungsfähige Steuerfrau. Mit ihrem Abgang ist das Problem jedoch nicht gelöst, sondern es dürfte gerade erst seinen Anfang nehmen.

Von Merkel «entkernt»

Die ostdeutschen CDU-Fraktionen dürften mit den Vorgaben der Parteispitze nicht glücklich sein: Wenn Linke und AfD als potenzielle Partner wegfallen, gibt es im Osten kaum noch Spielraum für Regierungsbeteiligungen. Doch auch im Westen tobt der Richtungsstreit, der die Partei lähmt.

So musste etwa Christian Hirte seinen Rücktritt als Ostbeauftragter der Bundesregierung erklären, weil er Kemmerich per Tweet zur Wahl gratuliert hatte. Mark Hauptmann, Vorsitzender der Gruppe aller jungen Unionsabgeordneten, twitterte daraufhin über «Denkverbote» aus der «Machtzentrale», wie die «Süddeutsche Zeitung» berichtet, sie hält zudem fest: «Die CDU steckt in der grössten Krise seit der Parteispendenaffäre 1999/2000.»

Parteivorsitz: Friedrich Merz würde dem rechten CDU-Flügel mehr Macht verschaffen.
Parteivorsitz: Friedrich Merz würde dem rechten CDU-Flügel mehr Macht verschaffen.
Bild: Keystone

Ein Handicap bei dem Ruf nach einem durchsetzungsfähigen Vorsitzenden ist die starke Amtsvorgängerin: «Nach mehr als 14 Regierungsjahren unter Angela Merkel ist die Partei inhaltlich entkernt», analysiert die «SZ». Unter diesen Vorzeichen macht sich die Partei nun daran, Kramp-Karrenbauers Nachfolger(in) zu finden – diese Person soll die CDU auch in den nächsten Bundestagswahlkampf führen.

Wer sich als Nachfolger in Stellung bringt

Es zeichnet sich bereits ab, worauf es hinauslaufen wird. Friedrich Merz wird sich etwa wieder in Stellung bringen, er war AKK im Kampf um die CDU-Spitze im Dezember 2018 noch unterlegen. Merz vertritt den rechten Parteiflügel – Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maassen von der erzkonservativen Werteunion nannte AKKs Rückzug dann auch die «richtige Entscheidung». Er twitterte: «Die CDU braucht jetzt einen Vorsitzenden, der Probleme löst und nicht Teil des Problems ist.»

Neben jenen konservativen Kreisen geniesst Merz auch die Unterstützung des wirtschaftsnahen Kreises der CDU und jene der Jungen Union, sie alle wollen der Partei gern ein schärferes Profil verpassen. Während Merz mit einer Kandidatur nichts zu verlieren hätte, wird es sich ein Konservativer wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zweimal überlegen, seinen Hut in den Ring zu werfen: Verliesse er München für Berlin und verlöre dann, bliebe ihm keine Machtposition übrig.

Auch Armin Laschet wird sich in Position bringen. Der Parteivize und Vorsitzende des grossen nordrhein-westfälischen Landesverbandes hat Kramp-Karrenbauer in der Krise die Rückendeckung verwehrt – wohl ein Indiz für seine Ambitionen.

Mächtiger CDU-Landesverband Nordrhein-Westfalen: Kramp Karrenbauer mit Armin Laschet.
Mächtiger CDU-Landesverband Nordrhein-Westfalen: Kramp Karrenbauer mit Armin Laschet.
Bild:  Keystone

«Jetzt muss Laschet den Vorsitz beanspruchen, sonst ist er ein Papiertiger», unkte der SPD-Politiker Thomas Oppermann. Für den jungen Jens Spahn, der als Gesundheitsminister punkten konnte und dem grosse Ambitionen nachgesagt werden, dürfte die Vorsitz-Frage noch zu früh kommen.

Merkels Finale

Angela Merkel dürfte sich diese jüngsten Geschehnisse so nicht vorgestellt haben: Ihre Partei droht, sich in einem Richtungsstreit von politischen «Fliehkräften» aufzureiben und hat ausgerechnet jetzt ein Führungsproblem, das sie auch noch mit verursacht hat.

Annegret Kramp-Karrenbauer und Angela Merkel: Die CDU steckt in der (Führungs-)Krise.
Annegret Kramp-Karrenbauer und Angela Merkel: Die CDU steckt in der (Führungs-)Krise.
Bild: Keystone

Die Kanzlerin wird noch einmal alle Kraft aufbieten müssen, um aus der CDU bestenfalls eine Union zu schmieden, die für einen klaren Kurs steht. Es wird für sie selbst keine Option sein, daran zu scheitern.

Ob sie es schafft, der CDU jenes Schicksal zu ersparen, das der einstigen Volkspartei SPD widerfahren ist, zeigt sich spätestens im Oktober 2021. Dann ist Bundestagswahl.

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