Pandemie In Deutschland wird das öffentliche Leben heruntergefahren

SDA

2.11.2020 - 04:50

Zusammengestellte Tische stehen im Schanzenviertel in Hamburg vor einer Bar. Bund und Länder haben einen Teil-Lockdown beschlossen.
Zusammengestellte Tische stehen im Schanzenviertel in Hamburg vor einer Bar. Bund und Länder haben einen Teil-Lockdown beschlossen.
Source: Keystone/dpa/Daniel Bockwoldt

Seit Montag befindet sich Deutschland in einem Teil-Lockdown – und das für mindestens vier Wochen. Die Kritik daran reisst nicht ab. Doch vor allem aus den Kliniken kommen neue Argumente dafür.

Strenge Kontaktbeschränkungen, geschlossene Restaurants und Freizeiteinrichtungen: Seit Montag gilt in ganz Deutschland ein – vorerst auf vier Wochen beschränkter – Teil-Lockdown. Die um Mitternacht in Kraft getretenen Regelungen stehen nach wie vor in der Kritik. Gleichzeitig rechnen Krankenhäuser in Deutschland schon bald mit einem neuen Höchststand an Intensivpatienten in der Coronapandemie.

Bundesweit ist Gastronomen, Kultur- und Freizeiteinrichtungen die Öffnung ihrer Etablissements nun weitestgehend untersagt. Auch für persönliche Treffen gelten strengere Regeln: In den meisten Bundesländern dürfen nur noch zwei Haushalte zusammenkommen – teils gilt das sogar für Treffen in den eigenen vier Wänden. Die Kontaktbeschränkungen sollen verhindern, dass Gesundheitsämter und das gesamte Gesundheitssystem überlastet werden, insbesondere die Intensivstationen.

Die verwaiste Reeperbahn im Hamburger Stadtteil St. Pauli am Sonntagabend –  kurz vor dem Teil-Lockdown. 
Die verwaiste Reeperbahn im Hamburger Stadtteil St. Pauli am Sonntagabend –  kurz vor dem Teil-Lockdown. 
Bild: Keystone/Daniel Bockwoldt/dpa via AP

Anders als im Frühjahr bleiben dieses Mal Kitas und Schulen sowie Geschäfte generell geöffnet. Schliessen müssen dagegen Restaurants, Cafés, Bars und Kneipen, nur zum Mitnehmen dürfen sie noch Speisen und Getränke verkaufen. Auch für Kinos und Theater, Opern und Museen, Fitnessstudios, Schwimmbäder, Saunen und viele andere Einrichtungen gilt nun eine Zwangspause. Generell sollen die Menschen auf nicht unbedingt notwendige Reisen und Besuche verzichten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich am vergangenen Mittwoch angesichts der schnell steigenden Infektionszahlen mit den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer auf die drastischen Schritte verständigt. Sie sollen zunächst bis Ende November dauern, nach zwei Wochen wollen Bund und Länder gemeinsam eine Bestandsaufnahme machen und gegebenenfalls nachsteuern. Die Länder setzen die Einschränkungen per Verordnung um, daher gibt es regional Unterschiede.

Unmut in Kulturbranche und Gastronomie

In der von der Coronakrise besonders schwer getroffenen Veranstaltungs- und Kulturbranche sowie Gastronomie herrscht grosser Unmut über die neuen Regeln. Viele bangen um ihre Existenz. Neben den bereits laufenden Wirtschaftshilfen soll ein zusätzliches Paket von bis zu zehn Milliarden Euro Umfang den Betrieben und Selbstständigen helfen, die nun im November keinen Umsatz machen können. Juristen rechnen dennoch mit einer Klagewelle.



Der Tourismusexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Marcel Klinge, kritisierte die Schliessung von Gaststätten und Hotels. «Mit der pauschalen Schliessung der Gastronomie und dem Verbot von Übernachtungen im Inland wurde der Super-GAU für alle Anbieter von touristischen Leistungen wahr», sagte er der «Augsburger Allgemeinen» (Montag). Die neuen Corona-Hilfen von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) seien «nichts anderes als Schweigegeld», damit die betroffenen Unternehmen die neuen scharfen Regel mittragen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder verteidigte die strengeren Massnahmen hingegen. «Die Alternative wäre, es laufen zu lassen», sagte der CSU-Chef am Sonntagabend in der ARD-Sendung «Anne Will». Das würde aber einen enormen Anstieg der Infektionen und eine Überlastung der Krankenhäuser bedeuten, letztlich somit auch hohe Totenzahlen. «Es gibt auf der ganzen Welt kein anderes Konzept als das Reduzieren von Kontakten, um auf Corona zu reagieren», so Söder. «Wenn es ein besseres, leichteres gäbe, würden wir es ja sofort anwenden.» Ausserdem sei der jetzige Teil-Lockdown nicht ganz so umfassend wie im Frühjahr und in anderen europäischen Ländern.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schwor die Deutschen auf «Monate der Einschränkungen und des Verzichts» ein. Selbst wenn das öffentliche Leben in einigen Wochen wieder hochfahre, könnten danach erneut strenge Beschränkungen drohen. «Niemand kann ausschliessen, dass es nicht irgendwann in der Folge wieder dazu kommt», sagte der CDU-Politiker am Sonntagabend im ZDF-«heute-journal». Deutschland befinde sich wegen der Coronakrise in einer «Jahrhundert-Situation».



Kaum Hoffnung auf schnelle Entschärfung von Teil-Lockdown

Kanzleramtsminister Helge Braun liess wenig Hoffnung erkennen, dass der Teil-Lockdown schon in Kürze wieder entschärft werden könnte. «Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass wir in zwei Wochen schon Massnahmen lockern können», sagte der CDU-Politiker am Sonntagabend in der ARD-Sendung «Anne Will». «Ich gehe fest davon aus, dass sich das Infektionsgeschehen mit den Massnahmen, die wir jetzt beschlossen haben, wirklich deutlich bremst.» Aber der Gesamterfolg hänge vom Willen jedes Einzelnen ab. Den Geist, der im März geherrscht habe, brauche man auch in diesem Winter wieder.

Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gass, rechnet unterdessen mit einem neuen Höchststand an Intensivpatienten während der Coronapandemie. «In zwei bis drei Wochen werden wir die Höchstzahl der Intensivpatienten aus dem April übertreffen – und das können wir gar nicht mehr verhindern. Wer bei uns in drei Wochen ins Krankenhaus eingeliefert wird, ist heute schon infiziert», sagte er der «Bild»-Zeitung (Montag). Er kündigte an, auch Pflegepersonal aus nicht-intensivmedizinischen Bereichen auf den Intensivstationen einzusetzen. «Das ist natürlich nicht optimal, aber in einer solchen Ausnahmesituation zu rechtfertigen.»

Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, warnte vor dramatischen Entwicklungen. «Viele Intensivpfleger arbeiten schon heute am Limit, und zu Recht warnen sie vor einer Verschlimmerung», sagte er der «Bild»-Zeitung. Nur ein ganzes Bündel von Massnahmen könne «eine Katastrophe verhindern» – dazu gehöre zum Beispiel, planbare Operationen nötigenfalls zu verschieben.

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