HochwasserWenn die Katastrophe den Weg ins Kanzleramt ebnet – oder verbaut
Von Sven Hauberg
19.7.2021
Armin Laschet lacht in die Kameras, Olaf Scholz verspricht Geld, Annalena Baerbock will «zuhören und auch trösten»: Die Auftritte der deutschen Kanzlerkandidaten im Hochwassergebiet könnten über ihre politische Zukunft entscheiden.
Von Sven Hauberg
19.07.2021, 16:05
19.07.2021, 16:44
Von Sven Hauberg
Zwei Wege führen ins deutsche Kanzleramt. Der eine ist steinig und mühsam, er geht durch die Bierzelte und Vororte, verlangt Reden auf Stadtplätzen und Anbiederungsversuche mit dem gemeinen Volk an Wahlkampfständen in der Provinz.
Der andere Weg ist feucht und schlammig, er führt in Gummistiefeln und mit Pressetross im Schlepptau durch die Hochwassergebiete der Republik. Begehbar ist er – zum Glück! – nur sehr selten.
In diesem Jahr aber, da der Westen des Landes von einer Flutkatastrophe bislang ungekannten Ausmasses heimgesucht wird und sich die Parteien gleichzeitig auf die Bundestagswahl im September vorbereiten, wird dieser Weg wieder von Politikerinnen und Politikern jeglicher Couleur platt getreten.
Man kennt das.
Gerhard Schröder, der 2005 von Angela Merkel aus dem Kanzleramt vertrieben worden war, ist vielen Deutschen noch als Gummistiefelkanzler in Erinnerung. 2002 wurde Deutschland schon einmal von einer Flutkatastrophe gebeutelt, der die Medien das Wörtchen «Jahrhundert» voranstellten.
Im August jenes Jahres stiegen an Elbe und Donau die Pegel auf erschreckende Höhen, und im sächsischen Grimma trat die Mulde über die Ufer und zerstörte Teil der Altstadt.
Laschet lacht
Durch jenes Grimma marschierte Schröder am 14. August 2002, TV-Bilder zeigten den sonst meist in Anzug gekleideten SPD-Mann in Regenjacke und Gummistiefeln beim Waten durch den Matsch. Im Gepäck hatte Schröder nicht nur 100 Millionen Euro Soforthilfe, sondern auch ein Dutzend Journalisten. Ein paar Wochen später gewann Schröder, der zuvor in den Umfragen hinter seinem CSU-Herausforderer Edmund Stoiber gelegen hatte, erneut die Wahlen.
Gut möglich, dass auch Armin Laschet, der Kanzlerkandidat der CDU, an jenen Schröder-Moment dachte, als er sich zusammen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die Hochwassergebiete in Nordrhein-Westfalen begab. Gut möglich aber auch, dass er es als Ministerpräsident jenes Bundeslandes schlichtweg für seine Pflicht hielt, Präsenz zu zeigen.
Denn kaum hatte der Politikertross das schwer beschädigte Erftstadt wieder verlassen, zeigte «das Netz» seine ganze Gnadenlosigkeit: Auf Twitter verbreitete sich in Windeseile ein Videoschnipsel, auf dem Laschet fröhlich feixend lacht, während – ein paar Meter vor ihm stehend – der Bundespräsident versucht, die richtigen Worte für das unermessliche Leid der Betroffenen zu finden. Dass auch Steinmeier während einer Rede kurz gelacht hatte, interessierte das Netz nicht.
Für den politischen Gegner jedenfalls ein gefundenes Fressen. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil nannte Laschets Verhalten «ohne Anstand und empörend», wenig später sah sich der CDU-Mann zu einer Entschuldigunggenötigt.
«Es ging mir darum, wirklich zuhören zu können»
Überhaupt stellt die Flut den Kanzlerkandidaten der Konservativen vor ein Dilemma. Dass der Klimawandel eine Mitschuld trägt an der Flut-Katastrophe, bestreiten in Deutschland nur die wenigsten. Nur war es ausgerechnet Laschets Partei, die in den vergangenen Jahren auf die Klimaschutz-Bremse trat. Was also tun? Den Fehler eingestehen und Besserung geloben? Oder die Rolle des Klimawandels für die aktuelle Katastrophe herunterspielen?
Beides dürfte Annalena Baerbock in die Karten spielen, jener zuletzt heftig angeschlagenen Kanzlerkandidatin der Grünen. Auch Baerbock war in den Hochwassergebieten unterwegs, zwei Tage hat sie sich Zeit genommen für ihre Tour durch Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Pressevertreter hatte sie nicht dabei.
«Es ging mir darum, wirklich zuhören und auch trösten zu können. Da macht es einen Unterschied, ob Kameras laufen oder nicht», sagte sie nach ihrer Rückkehr dem «Spiegel». Ein paar Fragen später war die 40-Jährige dann aber doch im Wahlkampfmodus, sprach über den Klimawandel und was sie dagegen zu tun gedenke («Ich will in den ersten hundert Tagen einer neuen Regierung ein Klimaschutz-Sofortprogramm auf den Weg bringen»).
Betont nüchtern
Bereits am Donnertag, als erster der drei Kanzlerkandidaten, war Olaf Scholz ins Katastrophengebiet gereist. Der Bundesfinanzminister und SPD-Politiker, dem Umfragen nur geringe Chancen auf das Kanzleramt einräumen, versprach grosszügigen Hilfen aus Berlin und überbrachte eine Solidaritätsadresse der Bundesregierung. Es war ein Auftritt mit nur geringem Medienecho, dafür aber auch ohne Feixen im Hintergrund.
Ob Scholz mit seinen Finanzspritzen auf eine Art Schröder-Effekt hofft, mag man ihm angesichts des betont nüchternen Auftritts nur ungern unterstellen. Aber es fällt schon auf, dass es vor allem SPD-Männer waren, denen beherztes Handeln in Hochwasserzeiten politisch auf die Sprünge half.
Matthias Platzeck etwa war 1997, als die Oder über die Ufer trat und Teile Ostdeutschlands überflutete, noch einfacher Minister. Sein hemdsärmeliger Einsatz an der Hochwasserfront aber machte ihn schlagartig bundesweit bekannt, die Medien tauften ihn den «Deichgrafen». Fünf Jahre später war Platzeck Ministerpräsident von Brandenburg.
Und dann ist da noch ein Senator aus Hamburg, der sich 1962, als eine Sturmflut die Hansestadt unter Wasser setzte, als durchsetzungsstarker Krisenmanager bewährte. Aus dem Senator wurde bald ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages, dann ein Bundesminister und schliesslich, zwölf Jahre nach jener verheerenden Flut, ein Bundeskanzler. Sein Name: Helmut Schmidt.