Eskalation in Nahost «Tit for tat» – wie reagiert der Iran auf Israels Angriff? 

Stefan Michel

19.4.2024

Business as usual in Isfahan: Iranische Staatsmedien zeigen, dass die Region, auf die der israelische Angriff gerichtet war, keine Schäden erlitten hat.
Business as usual in Isfahan: Iranische Staatsmedien zeigen, dass die Region, auf die der israelische Angriff gerichtet war, keine Schäden erlitten hat.
KEYSTONE

Wie reagiert der Iran auf den Angriff Israels? Eskaliert die Situation vollends, oder kehren die beiden Staaten zum Schattenkrieg zurück? Expert*innen interpretieren die Situation und die jüngsten Äusserungen.

Stefan Michel

19.4.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Expert*innen der politischen Situation im Nahen Osten schätzen ein, dass Israel mit dem Angriff auf den Iran keine Eskalation sucht.
  • Indem Teheran den israelischen Angriff herunterspielt, könnte die Regierung sich dem Druck entziehen, hart antworten zu müssen.
  • Israel könnte laut einem pensionierten US-Generalmajor mit dem begrenzten Angriff auf eine zentrale Provinz Irans demonstrieren wollen, dass es die Möglichkeit hätte, den Gegner schwer zu treffen.

Es scheint inzwischen klar: In der Nacht auf den heutigen Freitag hat Israel den seit Tagen erwarteten Vergeltungsschlag gegen den Iran ausgeführt. Dieser lässt verschiedene Interpretationen zu, wie ein Blick auf internationale Medien zeigt.

Einig sind sich die Expert*innen darin, dass die Situation äusserst gefährlich sei, dass sich Angriffe und Gegenangriffe hochschaukeln könnten. Zugleich betont etwa die australische Politologie-Professorin Dara Conduit: «Beiden Seiten ist klar, dass es bei einem direkten Konflikt zwischen den beiden Staaten keine Gewinner geben würde.»

Zur Erinnerung: Teheran hat seinen Drohnen- und Raketen-Angriff auf Israel als Vergeltung dafür bezeichnet, dass Israel die iranische Botschaft im syrischen Damaskus beschossen und dabei mehrere hochrangige Militär- und Geheimdienst-Offiziere getötet haben soll.

Israel hat nie die Verantwortung für die Attacke übernommen. Es gilt aber als gesichert, dass dies eine staatliche Aktion war. Iran hat Vergeltung angekündigt – und diese folgen lassen. Daraufhin hat das israelische Kriegskabinett während Tagen beraten, wie sein Land darauf reagieren soll.

Die Botschaft hinter dem Angriff

Die politische Wissenschaft nennt das, was jetzt abläuft «Tit for tat»: Auf den Zug der einen Seite folgt der Zug der anderen. Die Frage ist nun, was Israel mit dem – bisherigen Berichten nach – nicht allzu massiven Angriff für eine Botschaft aussenden will und wie Iran diese interpretiert. 

Dabei kommunizieren die beiden Regierungen nicht nur miteinander, sondern auch mit ihrer Bevölkerung. Dara Conduit beschreibt: «Beide sind in einer schwierigen Situation und müssen der Öffentlichkeit in ihren Ländern zeigen, dass sie auf die Taten der anderen Seite reagieren.» Das treffe ganz besonders auf Premier Netanjahu zu, der sich in einer schwierigen politischen Situation befinde und Stärke zeigen müsse.

Die Nordamerika-Korrespondentin von ABC News bezeichnet den Angriff als «begrenzte Aktion». Sie äussert die Hoffnung, dass nach diesem Angriff, der Iran «einen Strich zieht», also die Sache bei sich bewenden lässt. 

Zurück zum Schattenkrieg

In diese Richtung weist Holly Dagres, die am Thinktank Atlantic Council forscht. Teheran spielt den Angriff und dessen Folgen ihrer Einschätzung nach herunter. «Das könnte tatsächlich eine Taktik sein, um zu verhindern, dass sie das Bedürfnis verspüren, wieder direkt gegen Israel zurückzuschlagen

Aktuell scheint die beste Option zu sein, dass die beiden Staaten wieder zum Schattenkrieg und der gegenseitigen Abschreckung zurückkehren, dem Zustand, der seit der Revolution im Iran besteht. Dagres sieht die Möglichkeit dazu gegeben: «Dieser Angriff und die Reaktion Teherans könnten die Abschreckung wiederherstellen.»

Dies zu erreichen, könnte das Kalkül der israelischen Regierung gewesen sein, sagt ein pensionierter Generalmajor der US-Armee zu CNN. Israel habe den iranischen Angriff vergelten müssen. Die Botschaft dieses Vergeltungsschlags sei aber: «Ja, wir können euch treffen. Also tut das nicht nochmals, sonst wird das Chaos ausbrechen

Iran: Auch Israels Mittel sind begrenzt

Wie diese Interpretation aus iranischer Position klingt, zeigt die Aussage des iranischen Waffen-Kontroll-Experten Ali Ahmadi beim Nachrichtensender Al-Dschasira: «Nachdem die iranische Vergeltungsfähigkeit kritisiert worden ist, ist es sicherlich von Vorteil, wenn der Iran auch damit wirbt, wie ineffektiv das israelische Vorgehen war. Der Iran muss die Öffentlichkeit auch auf eine viel sanftere Reaktion vorbereiten, als er in den letzten Tagen gesagt hat».

Es besteht also zumindest die Möglichkeit, dass der begrenzte israelische Angriff die Situation zwischen den beiden verfeindeten Staaten deeskaliert.