Kiew und die Panzerfrage«Das Paradigma muss sich ändern»
Philipp Dahm
17.1.2023
Briten sagen Ukraine Kampfpanzer zu – Deutschland auch?
Als erster Nato-Staat hat Grossbritannien der Ukraine Kampfpanzer westlicher Bauart zugesagt und damit Deutschland und andere Verbündete unter Zugzwang gesetzt. Der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev appellierte am Wochenende eindringlich an die Bundesregierung, schnell den Weg für die Lieferung von Leopard-2-Panzern frei zu machen. «Zum Diskutieren haben wir sehr wenig Zeit», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
16.01.2023
Die Ukraine braucht 300 Panzer, doch bisher haben nur Grossbritannien und Polen je 14 Exemplare zugesagt. Der Druck auf Deutschland steigt, der Ukraine Leopard 2 zu liefern. Bis Freitag wird mit Ergebnissen gerechnet.
P. Dahm
17.01.2023, 11:37
Philipp Dahm
London geht in Sachen Panzer-Lieferungen für Ukraine voran – aber bloss mit Mäuseschritten. Vier Challenger 2 will Grossbritannien Kiew sofort abtreten, zehn weitere Exemplare sollen folgen.
Diese Menge reicht gerade mal aus, um eine Kompanie aufzustellen. Und wieder steht ein neuer Waffentyp im ukrainischen Arsenal, dessen Umgang erst erlernt werden und dessen Ersatzteile von der Insel herangeschafft werden müssen, wenn etwas ausfällt.
So gesehen ist der geplante Export noch keine richtige Verstärkung für Wolodymyr Selenskyj, doch der geplante Challenger 2 soll wohl auch eher als Türöffner funktionieren, um anderen Panzern den Weg zu ebnen: Premier Rishi Sunak betont, Grossbritannien wolle mit dem Vorstoss «Verbündete ermutigen».
Unter diesen Vorzeichen ist auch Polen vorgeprescht, das der Ukraine 14 Leopard 2 überlassen will. Präsident Andrzej Duda wartet dabei nicht ab, ob Deutschland dem Deal als Hersteller des Panzers seinen Segen gibt. Warschau setzt Berlin damit quasi die Pistole auf die Brust.
Der Vorteil des Leopard 2 gegenüber dem Challenger 2
Sollte Deutschland sich dagegen sperren, wäre der Imageschaden enorm, Kein Wunder, dass Vize-Kanzler Robert Habeck schnell versichert, man werde dem Nachbarland in der Sache keine Steine in den Weg legen. Tatsächlich eignet sich der Leopard 2 sehr viel besser für den Export als der Challenger 2.
Das liegt allein schon an der Menge: Grossbritannien verfügt nur über 227 Challenger 2, von denen viele derzeit auf den Challenger-3-Standard umgerüstet werden. Rund 80 Exemplare sollten eingemottet werden: Nur wenn London auch die überflüssigen Panzer an Kiew liefert, ergibt der Challenger-2-Deal Sinn.
Der Leopard 2 ist dagegen deutlich mehr verbreitet auf der Welt. Hier sind also auch deutlich mehr Ersatzteile verfügbar – und mit Polen hat ein Land den Leopard 2 im Arsenal, das auch gleich die Wartung etwaiger ukrainischer Maschinen übernehmen könnte.
«Ich brauche 300 Kampfpanzer»
Über die meisten Leopard 2 verfügen die Türkei und Griechenland, die allerdings angesichts der Spannungen zwischen diesen beiden Staaten keine Panzer abgeben werden. Ungarn ist bei der Unterstützung Kiews zurückhaltend, und Dänemark, Portugal, Norwegen und die Niederlande haben eigentlich zu wenig Exemplare, um etwas abzugeben.
Leopard 2 Tanks in NATO Countries Turkey🇹🇷- 354 Greece🇬🇷- 353 Spain🇪🇸- 327 Poland🇵🇱- 257 Germany🇩🇪- 245 Finland🇫🇮- 239 Canada🇨🇦- 100 Hungary🇭🇺- 56 Denmark🇩🇰- 44 Portugal🇵🇹- 37 Norway🇳🇴- 36 Netherlands🇳🇱- 18
Für Spenden bleiben also neben Polen und Deutschland, Spanien, Finnland und mit Abstrichen Kanada übrig. Helsinki hat bereits signalisiert, dass Finnland bei derartigen Exporten dabei wäre. Laut «Politico» macht inzwischen auch Paris Druck in Berlin, damit Deutschland nicht nur den Export anderer Nationen erlaubt, sondern auch selbst seine Zurückhaltung ablegt.
Denn die bisher zugesagten 14 britischen und polnischen Panzer sind eindeutig zu wenig. «Ich brauche 300 Kampfpanzer, 600 bis 700 Schützenpanzer und 500 Haubitzen», hat Walerij Saluschnyj, der ukrainische Oberkommandierende, Mitte Dezember gesagt. Fehlen also noch 272 weitere Exemplare.
Die USA hätten gut 6200 Panzer im Arsenal
Natürlich könnten auch die USA der Ukraine Kampfpanzer liefern: Das Pentagon verfügt über gut 6200 M1 Abrams. Doch während der Vorrat gross ist, ist der Antrieb kompliziert: Die amerikanische Gasturbine lässt dich deutlich schwerer warten als die beiden Diesel-Motoren des Leopard 2. Zudem ist die Versorgung mit Ersatzteilen über den Atlantik kompliziert.
Doch die Ukraine wird den Krieg nicht gewinnen, wenn die Lieferung von 300 Panzern zustande kommt. Das legt schon das Zitat von Walerij Saluschnyj nahe: Der Panzer ist vor allem dann effektiv, wenn er im Verbund genutzt wird. Ohne moderne Schützenpanzer, Artillerie und Luftabwehr kann auch ein Leopard 2 seine Stärken nicht ausspielen.
Von den 700 geforderten Schützenpanzern sind bisher 90 zugesagt. Berlin will 40 Marder in den Osten entsenden, die USA steuern 50 M2 Bradley bei. Grossbritannien hat weiterhin zugesagt, Kiew 30 Panzerhaubitzen vom Typ AS-90 zu überlassen, die Munition vom Kaliber 155 Millimeter verschiesst.
«Das Paradigma muss sich ändern»
Bis zum Ende der Woche, wenn am 20. Januar in Ramstein in Deutschland die Ukraine-Kontaktgruppe zusammenkommt, könnten weitere Export-Zusagen hinzukommen. Im Fokus steht aktuell aber Deutschland, weil sich Olaf Scholz bisher beharrlich weigert, persönlich explizite Zugeständnis zu machen.
Der deutsche Kanzler will anscheinend erst aktiv werden, wenn auch die USA Panzer liefern. Doch der Druck auf den Sozialdemokraten ist gross – und wächst stetig. «Für Deutschland hat die Entscheidung, Offensivwaffen bereitzustellen, besonderes politisches Gewicht» räumt stellvertretend Estlands Aussenminister ein.
Doch dann ergänzt Urmas Reinsalu: «Aber das Paradigma muss sich ändern, damit die Ukraine sich nicht nur verteidigen, sondern die Oberhand gewinnen kann. Das wäre am humansten, aber auch am günstigsten. Dann würde auch der Krieg schneller zu Ende gehen.»
Rheinmetall bremst Erwartungen
«Deutsche Waffen, deutsche Panzer sind überlebenswichtig», sagt auch der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev. «Zum Diskutieren haben wir sehr wenig Zeit. Und wir erwarten, dass unsere Verbündeten das auch verstehen und richtig handeln.» Rheinmetall bremst allerdings die Erwartungen: Eine Lieferung instandgesetzter Leopard-Kampfpanzer aus den Beständen des deutschen Rüstungskonzerns brauche Zeit.
«Selbst wenn morgen die Entscheidung fällt, dass wir unsere Leopard-Panzer nach Kiew schicken dürfen, dauert die Lieferung bis Anfang nächsten Jahres», erklärt Vorstandschef Armin Papperger der «Bild am Sonntag». Rheinmetall verfügt über 22 Fahrzeuge vom Leopard 2 und über 88 Exemplare des älteren Modells Leopard 1.
Dennoch dürfte in dieser Woche noch viel passieren. Das glaubt auch Jens Stoltenberg. «Die jüngsten Zusagen für schweres Kriegsgerät sind wichtig», sagt der Nato-Generalsekretär im «Handelsblatt», «und ich erwarte schon in naher Zukunft mehr.»
Während die Gefahr einer nuklearen Eskalation gering sei, sei konventionelle Hilfe nun wichtiger denn je. «Wir sind in einer entscheidenden Phase des Kriegs. Daher ist es wichtig, dass wir die Ukraine mit den Waffen ausstatten, die sie braucht, um zu gewinnen.»