Militär – Regierung von Präsident Bazoum in Niger abgesetzt
In Niger haben Soldaten der Präsidentengarde offenbar die Regierung gestürzt. Präsident Mohamed Bazoum sei abgesetzt worden, teilte eine Gruppe von Soldaten am Mittwoch im staatlichen Fernsehen des westafrikanischen Landes mit.
27.07.2023
Niger gilt als wichtiger Partner des Westens in der Sahel-Region. Nun ist es hier offenbar – nach Mali und Burkina Faso – zu einem weiteren Militärputsch gekommen. Eine Übersicht, was bislang bekannt ist.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Soldaten im Niger haben den Sturz der Regierung von Präsident Mohamed Bazoum verkündet.
- Das Land ist bislang der letzte verbliebene westliche Bündnispartner in der Region.
- Die Putschisten begründen ihren Aufstand unter anderem mit der schlechten Regierungsführung des demokratischen Präsidenten.
- Hinter dem Putschversuch werden nicht zuletzt Verteilungskämpfe im Militär vermutet.
Soldaten im westafrikanischen Niger haben nach eigenen Angaben den demokratisch gewählten Staatschef Mohamed Bazoum gestürzt und die Macht übernommen. In einer am Mittwochabend im Fernsehen von Oberst Amadou Abdramane verlesenen Erklärung hiess es, die «Verteidigungs- und Sicherheitskräfte» hätten «entschieden, dem Regime (...) ein Ende zu setzen». Alle Institutionen des Landes würden «bis auf Weiteres» ausser Kraft gesetzt, die Grenzen geschlossen und eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, verkündete Abdramane im Beisein neun weiterer uniformierter Militärs am Mittwochabend im Staatsfernsehen.
Die Verlautbarung galt als Vollzug eines Putsches, der unerwartet am Mittwochmorgen mit der Blockade des Präsidentenpalasts in der Hauptstadt Niamey begonnen hatte. Offen blieb, wer in dem Land mit etwa 26 Millionen Einwohnern tatsächlich die Macht hatte. So war unklar, ob die zehn Soldaten im Fernsehen für die gesamten Streitkräfte sprachen. Auch sonst warfen die Ereignisse in Niamey Fragen über die Hintergründe und weitere Entwicklung auf.
Wie begründen die Militärs den Putsch?
Die Militärs bilden nach Angaben Abdramanes nun den sogenannten Rat für die Rettung des Landes. Als Grund für den Staatsstreich führen sie die Verschlechterung der Sicherheitssituation, die schwache Wirtschaft und die Regierungsführung Bazoums an.
Auch unter dem Gremium stehe Niger zu seinen Verpflichtungen gegenüber der internationalen und nationalen Gemeinschaft, betonte Abdramanes. Ausländische Partner sollten sich aber nicht in das Geschehen im Land einmischen.
Was könnte noch dahinter stecken?
Derzeit sei noch nicht wirklich klar, um was es gehe, erklärte die Journalistin und Afrika-Expertin Naveena Kottoor dem SRF. Vermutet werde jedoch, dass die hohen Geldbeträge, die der Westen in das Land transferiert habe, zu «einer Art Verteilungskampf innerhalb des Militärs geführt hat». Es scheine dabei so zu sein, dass Teile der Armee unglücklich gewesen seien, «dass das Geld vor allem an Spezialkräfte der Antiterrorismusbekämpfung ging». Auch weitere Teile der Streitkräfte hätten sich mehr Geld, bessere Ausrüstung und eine Aufwertung durch ausländische Gelder erhofft.
Was ist über den Verbleib des gewählten Präsidenten bekannt?
Aus dem Umfeld von Präsident Bazoum war zuvor verlautet, dass die Präsidentengarde am Mittwochmorgen dessen Palast umzingelt habe, in dem er sich gemeinsam mit seiner Frau aufhielt. Auf dem Twitter-Konto des Präsidentenbüros hiess es, Angehörige der Präsidentengarde hätten sich an einer «antirepublikanischen Demonstration» beteiligt und sich vergeblich um Unterstützung von anderen Sicherheitskräften bemüht. In dem Tweet hiess es auch, Bazoum und seine Familie seien wohlauf. Die Armee und die Nationalgarde würden eingreifen, sollten die Meuterer nicht aufgeben.
Nach Angaben von EU-Diplomaten sprachen EU-Chefdiplomat Borrell und EU-Ratspräsident Charles Michel noch am Mittwoch zweimal mit Bazoum, der demnach bis zuletzt mit seiner Familie in seiner Residenz war. Auch UNO-Generalsekretär António Guterres sprach mit dem Präsidenten, wie ein Sprecher auf Twitter mitteilte.
Bazoum selbst rief am Donnerstagmorgen zum Erhalt der demokratischen Errungenschaften des Landes auf. «Alle Nigrer, die Demokratie und Freiheit lieben, werden dafür sorgen», schrieb er am Donnerstag auf Twitter.
Zuletzt äusserte sich Nigers Aussenminister Hassoumi Massoudou gegenüber dem französischen Nachrichtensender France 24. Er erklärte, er habe mit Bazoum gesprochen. Diesem gehe es gut. Zudem rief Massoudou die Putschisten auf, den Präsidenten freizulassen und ihre Forderungen im Dialog zu klären.
Wo ist Niger geopolitisch zu verorten?
Der Niger ist in den vergangenen Jahren in den Mittelpunkt der westlichen Bemühungen gerückt, dem gewaltsamen Vormarsch der Dschihadisten in Westafrika und auch einem wachsenden militärischen Einfluss von Russland entgegenzuwirken.
Nach Militärputschen in Mali und Burkina Faso war das Land das letzte der drei Nachbarländer in der Sahelzone, das von einer demokratisch gewählten Regierung geführt wurde und hier einer der letzten Verbündeten des Westens. Die Nachbarn Mali und Burkina Faso haben sich anderen Partnern zugewandt, darunter Russland.
Gerade die EU habe vor diesem Hintergrund in den letzten Jahren viel Geld für die «Bekämpfung von Migrationsursachen als auch für die Antiterrorismusbekämpfung» in Niger ausgegeben, erklärte Afrika-Expertin Kottoor dem SRF. Ähnliches gelte auch für die USA, die in den vergangenen Jahren eine halbe Milliarde Dollar investiert und Militärbasen aufgebaut hätten. Zudem verfüge etwa auch Deutschland hier über eine Basis, um die UNO-Mission in Mali zu unterstützen. «Deshalb ist Niger immer wichtiger geworden», so Kottoor.
Was könnte der Putsch nun bedeuten?
Die Ereignisse zeigen die Fragilität des Landes, erklärte der Regionalbüroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Sahelzone, Ulf Laessing. Europäische Länder hätten «Millionensummen in Niger investiert. Die Hilfsprogramme wecken auch Begehrlichkeiten», so Laessing. «Ein Coup kann alles ändern und würde auch Russland die Tür öffnen, sich breitzumachen.»
Die Meuterei sei daher ein «Albtraumszenario» für westliche Mächte, erklärt der Experte. Es müsse sich nun allerdings noch zeigen, ob dies das letzte Wort sei. Teile der Armee stünden vermutlich nach wie vor loyal zu Bazoum. Schliesslich hätten sie stark von der Ausrüstung und den Schulungen im Rahmen der Militärhilfe aus dem Ausland profitiert.
Hat Russland was damit zu tun?
Während die Militär-Junta in Mali tatsächlich russische Wagner-Söldner zu ihrer Unterstützung angefordert habe, gebe es in Niger dafür derzeit keine Indizien, erklärte die Expertin Kottoor dem SRF. Es sei hier aber noch zu früh, um zu einer abschliessenden Beurteilung zu kommen. «Wir müssen abwarten, was sich in den kommenden Tagen und Wochen ergeben wird.»
Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?
International riefen die Vorgänge noch vor dem Verkündung im Fernsehen scharfe Reaktionen hervor. Die USA verurteilten die Meuterei, bekräftigte Aussenminister Antony Blinken bei einem Besuch in Neuseeland am Donnerstag. Er habe am Mittwoch mit Bazoum gesprochen und ihm versichert, dass Washington ihn als demokratisch gewählten Präsidenten stark unterstütze.
Auch UN-Generalsekretär António Guterres sagte dem Staatschef in einem Gespräch ebenfalls «volle Rückendeckung und Solidarität» zu, wie ein UNO-Sprecher twitterte. Zuvor hatte Guterres jegliche Versuche in Niger, mit Gewalt die Macht an sich zu reissen, auf das Schärfste verurteilt und alle Akteure zur Mässigung und zur Achtung der verfassungsgemässen Ordnung aufgerufen. Besorgt äusserte sich auch die einstige Kolonialmacht Frankreich. Paris rief die Meuterer zu einem Kurswechsel auf.
Der aktuelle Ecowas-Vorsitzende, Nigerias Präsident Bola Tinubu, betonte, der Staatenbund werde sich gegen jegliche Versuche stemmen, die Regierung in Niamey zu stürzen. Allen Akteuren in der Republik Niger sollte klar sein, dass «die Ecowas-Führung und alle Liebhaber der Demokratie auf der ganzen Welt keine Situation dulden werden, die die demokratisch gewählte Regierung des Landes paralysiert», hiess es in einer Stellungnahme Tinubus aus Abuja. Ecowas entsandte zuvor den Staatschef von Benin, Patrice Talon, als Vermittler nach Niger. Auch die Afrikanische Union rief die Bürger Nigers und alle Afrikaner auf, den Putschversuch deutlich zu verurteilen.