«Putins Ärztin» starb im TessinDarum ist die Schweiz unter reichen Russen so beliebt
mmi
2.3.2023
Wohlhabende Russinnen und Russen mögen die Schweiz. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein Überblick, was die Eidgenossenschaft für Oligarchen und kremlnahe Personen so attraktiv macht.
Jüngst liess die Meldung aufhorchen, dass «Putins Ärztin» im Tessin tot aufgefunden wurde. Am Donnerstagmorgen wurde publik, dass Natalia Thiebaud Kondratieva am 24. Februar 2023 in einem Spital in Lugano verstorben ist. Die Todesursache ist offiziell nicht bestätigt. Angeblich soll die 63-Jährige an Krebs gelitten haben.
Investigativjournalisten des unabhängigen russischen Medienunternehmens «Proekt» enthüllten wenige Tage vor ihrem Tod, dass die Ärztin mindestens zwei Kinder der ehemaligen russischen Turnerin Alina Kabajewa zur Welt brachte. Der Vater soll Wladimir Putin sein. Weder der Kreml-Chef noch Kabajewa haben sich dazu je geäussert.
Was macht die Schweiz für Wladimir Putin, seine engsten Vertrauten und für andere wohlhabende Russinnen und Russen so attraktiv? Ein Überblick.
Ärztliche Behandlung
Ein Patient reist für die Behandlung aus dem Ausland in die Schweiz. Die Familie oder Freunde begleiten die Person und logieren an gehobenen Adressen in der Schweiz. Sobald der Patient sich erholt hat, kehren sie gesund und erholt heim. Bis zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Schweiz Tourismus, die Vermarktungsorganisation der Schweiz als Tourismusdestination, sich bereits vor Jahren auf die russische Zielgruppe konzentriert.
Laut einer Recherche des «Tages-Anzeigers», arbeitete Schweiz Tourismus dafür mit 30 Kliniken und Spitälern zusammen, die ihre medizinischen Angebote auf Russisch anbieten oder auf Russisch sprechende Patient-Relations-Manager verweisen. Sämtliche Vermarktungsaktivitäten für die Schweiz seien in Russland seit dem Kriegsausbruch eingestellt worden, teilt der Mediensprecher von Schweiz Tourismus auf Anfrage von blue News mit.
Vor der Pandemie, also 2019, wurden 350'000 Übernachtungen von russischen Gästen registriert. Mehrheitlich im Luxussegment. Wer von den Besuchern für eine Krebsbehandlung, Schönheitsoperation oder Rehabilitation in die Schweiz eingereist ist, wird nicht speziell erfasst. Bei der Privatklinik-Gruppe Hirslanden machten Russinnen und Russen von 2014 bis 2016 die grösste Patientengruppe aus dem Ausland aus. In den Universitätsspitälern hingegen sind nur Einzelfälle registriert worden.
Rohstoffhandel
Nach dem Zerfall der Sowjetunion stürzten sich die in der Schweiz ansässigen Rohstoffhändler quasi auf die russischen Oligarchen, knüpften Beziehungen. Das führte dazu, dass in einem Bericht der Schweizer Botschaft in Moskau steht, dass rund 80 Prozent der russischen Rohstoffe über die Schweiz gehandelt und verkauft werden. Die Hotspots sind Genf, Lugano, Zürich und Zug. Zudem sprach sich in Russland herum, dass man besonders in Zug ein steuergünstiges Umfeld vorfinden würde.
Von Nord Stream, Metal Trade Overseas SA, Sber Trading Swiss AG über Gazprom: Trotz Demonstrationen und Warnungen vor Korruption, Geldwäsche und mafiösen Strukturen haben sich die Rohstoffriesen, die teilweise dem Kreml nahestehen, hierzulande niederlassen können.
Wie eng die Verbindungen zwischen Putin und den in der Schweiz ansässigen Rohstoffriesen sind, zeigt der Deal mit Rosneft im Jahr 2013. Die staatliche Ölgesellschaft fusionierte mit der wichtigen Ölfirma TNK-BP, um einen grossen Teil des russischen Ölgeschäfts unter einem Dach zu vereinen. Mit am Verhandlungstisch: Wladimir Putin.
Dafür brauchte der Oligarch Igor Seichin, ein enger Vertrauter Putins, ein Fusionskapital von 55 Milliarden Dollar. Westliche Banken und auch die Schweizer Rohstoffriesen Glencore mit Sitz in Zug und Vitol mit Sitz in Genf schossen 10 Milliarden Dollar ein. Glencore legte nochmals mit einer grosszügigen Finanzspritze von 11 Milliarden Dollar nach, als Rosneft nach der Krim-Annexion sanktioniert wurde und Geld brauchte. Als Dank erhielt Glencore-Chef Ivan Glasenberg von Putin den russischen Orden der Freundschaft, das russische Fernsehen sendete die Verleihung live.
Visa wegen «wichtigem öffentlichem Interesse»
Eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz erhalten Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger normalerweise als Fachkraft oder politische Flüchtlinge. Ausser man bezieht sich auf die Sonderklausel im Artikel 30 des Ausländer- und Integrationsgesetzes. Dort steht, dass Aufenthaltsbewilligungen an Ausländer*innen erteilt werden können, wenn diese von «wichtigem öffentlichen Interesse» seien. Meist ist damit Geld gemeint: Wer einem Kanton hohe Steuereinnahmen beschert, bekommt den B-Ausweis.
Laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM) halten 368 Personen ein Visum B gestützt auf diese Klausel. Die Russinnen und Russen sind mit 85 an der Zahl die grösste Gruppe, gefolgt von den Chinesen (37), den Amerikanern (22) und den Saudis (16).
Ein Blick auf das Visa Monitoring des SEM zeigt auch, dass Russinnen und Russen bei der Vergabe von Visa den achten Platz belegen. Das ausführliche Visa-Monitoring für 2022 liegt noch nicht vor. Insgesamt hat die Schweiz im vergangenen Jahr 10'524 Visa C (Schengen-Visa) und 3545 Visa D (nationale Visa) an russische Staatsangehörige ausgestellt, wie das SEM auf Anfrage von blue News mitteilt.
Finanzplatz
Schweizer Banken dürften für reiche Russen seit Jahren ein attraktiver Ort sein. Laut einer Umfrage von Ernst & Young unter Finanzspezialisten waren sie im Jahr 2020 weltweit sogar am beliebtesten.
Gemäss der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich liegen aktuell rund 11 Milliarden Dollar von russischen Privatpersonen und Unternehmen auf Schweizer Bankkonten. Das entspricht 30 Prozent der erfassten russischen Guthaben auf Konten auf der ganzen Welt. Anders ausgedrückt bedeutet das, dass beinahe jeder dritte Dollar, den russische Bürger*innen und Firmen ins Ausland brachten, den Weg in die Schweiz fand. Wie viel russisches Geld insgesamt auf Schweizer Banken liegt, dazu gibt es keine offiziell bestätigten Zahlen.
Auch die Schweizer Schulbildung ist bei den reichen Russen beliebt. So schickte der einstige Oligarch Michail Chodorkowski seine Tochter auf ein Schweizer Internat. Sie war eine von vielen russischen Kindern an hiesigen Eliteinternaten. Der russische Immobilienmarkler Sergei Sander habe einmal erklärt, dass Sicherheit, Geld und Bildung die Gründe für eine enge Verbindung seiner Landsleute zur Schweiz seien.
Laut dem «Tages-Anzeiger» lassen sie sich diese Bildung etwas kosten. Ein Schuljahr mit Einzelzimmer kann gut und gern zwischen 95'000 und 140'000 Franken kosten. Darin inbegriffen: höchste Diskretion.