Hunderttausende in Masseninternierungslager «Dank sei der Partei» - Wie China Muslime umerziehen will

Gerry Shih, AP

19.5.2018

Veränderung durch Umerziehung - diese Vorstellung ist bei den Herrschenden in China weit verbreitet. Die muslimische Bevölkerung in Xinjiang bekommt das schmerzhaft zu spüren. Zehntausende dort wurden in den vergangenen Monaten in entsprechende Lager gesteckt.

Tag für Tag mussten Omir Bekali und andere Gefangene im Umerziehungslager im Westen von China ihrem islamischen Glauben abschwören, sich, ihre Familien und ihre Freunde kritisieren und der Kommunistischen Partei Dank zollen. Als er sich weigerte, gab es massive Repressalien. Schliesslich war er so gebrochen, dass er sich das Leben nehmen wollte.

«Der psychologische Druck ist enorm, wenn du dich selbst kritisieren, dein Denken denunzieren musst, deine eigene ethnische Gruppe», sagt der 42 Jahre alte Bekali, der Staatsbürger von Kasachstan ist. Während er seine Geschichte erzählt, bricht er immer wieder in Tränen aus. «Ich denke daran noch immer jede Nacht, bis die Sonne aufgeht.»

Seit vergangenem Frühling haben die chinesischen Behörden in der überwiegend muslimischen Region Xinjiang Zehntausende, womöglich sogar Hunderttausende Menschen in Masseninternierungslager gesteckt. Die Schätzungen gehen hier auseinander, offizielle Zahlen liegen nicht vor. Eine US-Kommission für China sprach von «den weltweit aktuell grössten Massenverhaftungen einer Minderheitsbevölkerung».

Ideologische Veränderung sei nötig

Von offizieller Seite gibt es so kaum Aussagen zu solchen Lagern und den Vorkommnissen dort. Nach den Lagern befragt, antwortete das chinesische Aussenministerium, es habe von der Situation nicht gehört. Staatsvertreter in Xinjiang antworteten nicht auf Kommentaranfragen. Generalstaatsanwalt Zhang Jun hat die Verwaltung von Xinjiang allerdings aufgefordert, die von der Regierung so genannte «Verwandlung durch Erziehung» auszudehnen, um Extremismus zu bekämpfen.

Ideologische Veränderungen seien nötig, um gegen Seperatismus und islamischen Extremismus vorgehen, heisst es von offizieller Seite. Dabei wird auf die radikalen Uiguren verwiesen, die in den vergangenen Jahren Hunderte Menschen in China getötet haben.

Doch die Berichte drei anderer früherer Insassen und eines Lager-Beschäftigten stützen die Aussagen Bekalis. Das Programm trägt den Stempel des weitreichenden Apparats für Staatssicherheit der zutiefst nationalistischen und kompromisslosen Herrschaft von Präsident Xi Jinping.

Veränderung durch Umerziehung

Zum Teil hat es seine Wurzeln in der Jahrzehnte alten chinesischen Vorstellung, dass man Veränderung durch Umerziehung erreichen könne. «Kulturelle Reinigung ist Pekings Versuch, eine abschliessende Lösung für das Problem mit Xinjiang zu finden», sagt James Millward, Dozent für chinesische Geschichte an der Georgetown University in Washington.

Bekali wurde in China geboren und zog im Jahr 2006 nach Kasachstan, wo er drei Jahre später die Staatsbürgerschaft erhielt. Im vergangenen März besuchte er seine Eltern in Xinjiang. Einen Tag nach seiner Ankunft wurde er verhaftet.

Seine Hand- und Fussgelenke wurden an einem Stuhl gefesselt, er wurde verhört, nach seiner Arbeit befragt. Warum er Chinesen dazu ermuntere, Touristenvisa für Kasachstan zu beantragen. «Ich habe keine Verbrechen begangen!», rief er. Es half ihm nicht.

Sieben Monate später wurde Bekali aus seiner Zelle geholt und bekam seine Entlassungspapiere ausgehändigt. Doch er war nicht frei. Man fuhr ihn zu einem eingezäunten Gelände im Ort Karamay, wo in drei Gebäuden mehr als 1000 Internierte lebten.

«Dank sei dem Mutterland!»

Sie wurden vor dem Sonnenaufgang geweckt, mussten um 7.30 Uhr die chinesische Nationalhymne singen und die chinesische Flagge hissen. Sie sangen Lieder, in denen die Partei gepriesen wurde und studierten chinesische Sprache und Geschichte.

Ihnen wurde erzählt, dass die Schafe hütenden Menschen in Xinjiang weit zurückgeblieben waren, ehe sie von der Kommunistischen Partei in den 1950er Jahren befreit wurden. Vor dem Essen - Gemüsesuppe und Brot - mussten sie singen: «Dank sei der Partei! Dank sei dem Mutterland! Dank sei Präsident Xi!»

Die meiste Zeit war Bekali in einem Raum mit acht anderen Internierten eingesperrt. Sie mussten sich eine Toilette teilen, überall hingen Überwachungskameras.

In vierstündigen Einheiten erzählten Dozenten von den Gefahren des Islams, fragten die Teilnehmer ab. Wer falsch antwortete, musste stundenlang an der Wand stehen. Die Gefangenen mussten sich gegenseitig kritisieren, vor bis zu 60 Klassenkameraden mussten sie selbst mit ihrer Glaubensgeschichte ins Gericht gehen.

«Hol mich hier raus und bring mich um»

Bei einigen zeigte das Wirkung. «Mein Vater hat mich den Koran gelehrt, den ich gelernt habe, weil ich es nicht besser wusste», hörte Bekali einen sagen. «Ich bin aus China ausgereist, ohne zu wissen, dass ich im Ausland extremistischem Gedankengut ausgesetzt sein könnte», sagte ein anderer.

Nach einer Woche wurde er wieder in Isolationshaft gesteckt. Er brüllte einen Wärter an: «Hol mich hier raus und bring mich um. Oder schick mich zurück ins Gefängnis. Ich halte das hier nicht mehr aus.» Nach 24 Stunden, am 24. November, kam er dann plötzlich frei.

Eigentlich wollte Bekali nicht mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit gehen - mit Rücksicht auf seine Schwester und seine Mutter, die in China leben. Aber am 10. März nahm die Polizei seine Schwester fest. Eine Woche später war seine Mutter dran. Anfang April sagte sein Vater ihm, er solle gut auf sich aufpassen. Es klang wie ein Abschied. Da entschloss sich Bekali, seine Geschichte doch zu erzählen. «Die Dinge haben sich so entwickelt», sagt er. «Ich habe nichts mehr zu verlieren.»

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