New Yorks Gouverneur unter Druck«Cuomo hat gesagt, er kann mich zerstören»
Von Philipp Dahm
2.3.2021
Einst bewunderte die Welt den New Yorker Gouverneur für seine patente Corona-Reaktion. Einen Pandemie-Skandal, Vertuschungen und Belästigungsvorwürfe später wird Andrew Cuomos Rücktritt gefordert.
Es ist nicht einmal ein Jahr her, dass sich Andrew Cuomo auf der Siegerstrasse befand. Weil der Gouverneur von New York die Pandemie ernst genommen und entsprechend reagiert hatte, schnellten die Zustimmungswerte des 63-Jährigen in Höhen jenseits der 70 Prozent – fast wie zu Beginn seiner Amtszeit Anfang 2011.
Zehn Mal war Andrew ausserdem zu Gast in der TV-Show Cuomo Prime Time auf CNN, die sein 13 Jahre jüngerer Bruder Chris moderiert. Einmal dankte dieser seinem älteren Bruder fürs Kommen, worauf Andrew witzelt: «Mom hat es mir befohlen.» Diese lockeren TV-Konversationen galten als Highlight in der dunklen Pandemie-Zeit, doch zehn Monate später ist es vorbei mit der Brüderlichkeit.
CNN hat Chris Cuomo mittlerweile untersagt, Andrew erneut zu interviewen. Und auch der Moderator selbst äussert sich: «Mir ist natürlich bewusst, was mit meinem Bruder passiert», gesteht er am Montag. «Und offensichtlich kann ich darüber nicht berichten, weil er mein Bruder ist.» Das gelte aber nicht für seinen Sender, sagt Chris noch. «Ich wollte Ihnen das bloss sagen. Aber es gibt noch viele andere News, die wichtig sind. Schauen wir uns die an.»
So schnell ändern sich die Dinge – auf medialer wie politischer Ebene. Die Zustimmungswerte des New Yorker Gouverneurs fahren Achterbahn: Von 77 Prozent im Februar 2011 fallen sie bis Februar 2020 auf unter 50 Prozent. Mit der Pandemie und Cumos Reaktion schiessen sie dann erneut auf 77 Prozent hoch, doch nun dauert es keine neun Jahre, um wieder auf den Boden der Tatsachen zu landen.
Vorsätzlich gefälschte Corona-Zahlen
Gerade noch fanden Cumomos Konter auf Donald Trumps Corona-Politik noch landesweite Beachtung, nun liegt der Demokrat noch bei 57 Prozent Zustimmung – und die neuesten Entwicklungen sind in diesem Wert noch gar nicht enthalten.
Was ist passiert? Der Absturz beginnt am 25. März 2020 mit einer Anordnung der New Yorker Behörden, die angeblich die Spitäler entlasten soll.
Wie sich im Januar dieses Jahres herausstellt, sind dadurch über 9000 Senioren in Pflegeheime entlassen worden, die sich von einer Infektion erholt hatten – 40 Prozent mehr als von den Behörden eingeräumt. Dadurch seien die anderen Heimbewohner gefährdet worden, monieren Kritiker. Die Anzahl von Heimbewohnern, die der Seuche erlegen sind, wurde in der Folge ebenfalls geschönt: Statt 15'000 Toten wurden nur 8500 gemeldet.
Dass eine Top-Beraterin von Cuomo eingeräumt hat, dies sei explizit geschehen, um Donald Trump im Präsidentschaftswahlkampf keine Munition zu liefern, und dass die Behörden nur zögerlich Eingeständnisse machten, haben die Angelegenheit nicht weniger delikat gemacht. Doch das ist erst der Beginn der Affäre.
Druck auf New Yorker Abgeordneten
Ausgerechnet CNN macht Mitte Februar öffentlich, wie Andrew Cuomo höchstpersönlich versucht hat, den Skandal zu vertuschen. Cuomo hat nach eigener Aussage den demokratischen Abgeordneten Ron Kim angerufen und unter Druck gesetzt, der die Vertuschungsaktion öffentlich kritisiert hatte. «Er hat gesagt, er kann mich zerstören», gibt Kim zu Protokoll.
Und als würde das allein Cuomo nicht schon in ein schlechtes Licht rücken, wird er nun auch noch beschuldigt, sich schmierig gegenüber Frauen verhalten zu haben. Von gleich drei früheren Mitarbeiterinnen werden Vorwürfe laut. Sie könnten das finale Ende seiner Ambitionen bedeuten, eine vierte Amtszeit als Gouverneur anzustreben.
Lindsey Boylan erhebt ihre Anschuldigungen bereits Mitte Dezember: Auf Twitter bekundet sie, Cuomo sei ihr gegen ihren Willen in einem Vier-Augen-Meeting zu nahe gekommen. «Als ich aufstand, um zu gehen und zur offenen Tür ging, stellte er sich in die Tür und küsste mich auf die Lippen. Ich war schockiert, aber ich ging weiter.» Und sie schreibt: «Ja, Cuomo hat mich über Jahre sexuell belästigt. Viele haben zugesehen.»
Yes, @NYGovCuomo sexually harassed me for years. Many saw it, and watched.
I could never anticipate what to expect: would I be grilled on my work (which was very good) or harassed about my looks. Or would it be both in the same conversation? This was the way for years.
Noch im Dezember widerspricht der Gouverneur dieser Darstellung, doch spätestens mit der Aussage einer zweiten Ex-Assistentin ist das Thema auf der Tagesordnung. Charlotte Bennett erzählt der «New York Times», Cuomo habe ihr anzügliche Fragen gestellt. Der 63-Jährige wollte von der 25-Jährigen wissen, ob sie schon mal was mit älterem Mann gehabt habe und wann sie zuletzt jemanden umarmt habe – und zwar «richtig umarmt».
«Ich verstand, dass der Gouverneur mit mir schlafen wollte, und fühlte mich furchtbar unwohl und hatte Angst», schliesst Bennet. Cuomo reagiert am Sonntag mit einer Erklärung: «Ich habe nie jemanden unangemessen berührt», schreibt er. «Ich räume ein, dass einige der Dinge, die ich gesagt habe, als unerwünschte Flirts fehlinterpretiert worden sind. Sofern das jemand so empfunden hat, tut mir das aufrichtig leid.»
Seit gestern interessiert sich nun auch die Justiz für die Sache: Die New Yorker Generalstaatsanwältin leitet die Untersuchung der Vorwürfe gegen Cuomo. Sie werde die Ermittlungen wegen der Vorwürfe voranbringen, kündigte Letitia James nach Erhalt eines Briefes vom Büro des Gouverneurs an.
«Ich hatte Angst»
In dem Schreiben hatte Cuomo James autorisiert, die Ermittlungen zu führen. Wenn die Untersuchung beendet sei, würden die Ergebnisse der Öffentlichkeit in einem Bericht zugänglich gemacht.
Der dürfte dann auch die Aussagen der dritten Frau enthalten, die gegen Cuomo aussagte: Anna Ruch berichtete der «New York Times», Cuomo habe einst ihr Gesicht und ihren Rücken angefasst und gefragt, ob er sie küssen dürfe, kurz nachdem sie sich bei einem Hochzeitsempfang kennengelernt hätten.
Ruch sagt, sie habe Cuomos Hand von ihrem Rücken genommen. Er habe ihr vorgeworfen, «aggressiv» zu wirken, seine Hände auf ihr Gesicht gelegt und nach einem Kuss gefragt. «Ich war so verwirrt und schockiert und empfand Scham», so die 33-Jährige. «Ich habe meinen Kopf abgewandt und hatte in dem Moment keine Worte.» Die Zeitung veröffentlicht ein Foto, auf dem Cuomos Hände auf dem Gesicht der Frau liegen.
Die Rufe nach einem Rücktritt Cumos werden lauter. Er hat inzwischen eingeräumt, manchmal zu «verspielt» in seiner Wortwahl gewesen zu sein. Aus diesem «Spiel» wird für den New Yorker nun wohl bitterer Ernst.