Deutschland CDU-Bundesvorstand stimmt für Laschet als Kanzlerkandidaten

SDA

20.4.2021 - 01:51

Der Kanzlerkandidat der Union? Armin Laschet, CDU-Bundesvorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, am Montag in Berlin.
Der Kanzlerkandidat der Union? Armin Laschet, CDU-Bundesvorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, am Montag in Berlin.
Bild: Keystone/EPA/Filip Singer

Nach tagelanger Nervenprobe mündet eine historische Debatte im CDU-Vorstand in ein Votum für Armin Laschet als Kanzlerkandidaten – und das deutlich. Jetzt muss nur noch CSU-Chef Markus Söder seine Niederlage akzeptieren.

Es ist das glanzlose Ende eines erbitterten und selbstzerstörerischen Machtkampfs: In der Nacht zum Dienstag stellt sich die CDU, nach einer nicht nur für die Union quälend langen Woche, hinter Armin Laschet als Kanzlerkandidaten.

Doch was eigentlich von Parteien gerne pompös inszeniert und gefeiert wird, sorgt in der Krisen-Union im April 2021 eher für neue Sorgen. Denn trotz des – am Ende deutlichen – Votums der CDU-Spitze in geheimer Abstimmung und trotz des angekündigten Placets durch Laschets Rivalen Markus Söder und die CSU schwingt in der zutiefst verunsicherten CDU die Angst vor einer ungewollten Reaktion der Parteibasis immer mit.

Und abgesehen vom medialen Echo wartet an diesem Dienstagnachmittag die erste Bewährungsprobe für den Sieger ohne Glanz. Denn dann steht die nächste Sitzung der Unionsfraktion an, jener Gruppe von CDU- und CSU-Bundestagsabgeordneten, die vor einer Woche Laschet mit ihrer mehrheitlich geäusserten Pro-Söder-Meinung so richtig unter Druck gesetzt hatten.

Der CDU-Bundesvorstand stellt sich jedenfalls, nach mehr als sechsstündigen Beratungen, hinter den eigenen Parteivorsitzenden. Und nachdem CSU-Chef Söder die Entscheidung über die Kandidatur zuvor allein in die Hände der grossen Schwesterpartei gelegt hatte, ist die K-Frage damit faktisch entschieden. Doch zu welchem Preis?



Nach dieser Krisen-Woche, die vermutlich als abschreckendes Beispiel in die Geschichtsbücher von CDU und CSU eingehen wird, ist der Schaden noch nicht abzusehen. Ein tiefer Riss zieht quer durch die Union. Fünf Monate vor der Bundestagswahl ist es mit der viel beschworenen Einheit längst vorbei, die Gräben sind so tief wie seit dem Streit über die Asylpolitik nicht mehr. Wie sollen da ein gemeinsamer Wahlkampf und die Wiedereroberung des Kanzleramts gelingen? Und das mit einem Kandidaten, der zwar vom eigenen Vorstand am Ende mehrheitlich gestützt wird, der aber zuletzt nicht nur die CSU, sondern auch weite Teile der eigenen CDU-Basis gegen sich hatte.

Entscheidung hier und jetzt

Der Machtkampf kulminiert in der CDU-Vorstandssitzung am Abend zum grossen Finale Furioso. Es sind die wohl entscheidendsten Stunden in Laschets bisheriger Karriere. Und er rammt gleich Pflöcke ein: «Es geht um die besten Antworten auf die drängenden Zukunftsfragen. Und ich bin bereit, für uns die Kandidatur zu übernehmen», sagt der Parteichef. Und macht klar: Er will die Entscheidung hier und jetzt.

Es folgt eine Debatte, die sich ins kollektive Gedächtnis der CDU einbrennen dürfte. Dutzende Vorstandsmitglieder melden sich zu Wort. Die einen sprechen sich klar für Laschet aus. Andere berichten von einem Stimmungsbild pro Söder an der Basis. Einige Söder-Anhänger fordern eine Abstimmung in der Unionsfraktion oder dass eine Kreisvorsitzendenkonferenz entscheidet. Laschet und andere lehnen ab.

So geht es Stunde um Stunde hin und her. Ostdeutsche CDU-Politiker liefern sich eine kontroverse Debatte über die Stimmung in ihren Ländern. CDU-Vize Thomas Strobl spricht sich mit den Worten für Laschet aus, dieser sei kein Spalter, sondern jemand, der integriere.

Lange ist unklar, ob am Ende abgestimmt wird. Und wie all diejenigen Funktionäre am Ende votieren werden, die zwar persönlich für Laschet sind, deren Verbände aber eine klare Präferenz für Söder haben.

Laschet setzt alles auf eine Karte

Laschet setzt offenbar alles auf eine Karte: darauf, dass der Vorstand ihn nicht wenige Monate nach seiner Wahl gleich wieder beschädigen würde. Söderianer in der CDU kritisierten deshalb schon vor der Vorstandssitzung, Laschet nehme die Partei in Geiselhaft, wenn er sie geradezu zwinge, für ihn und nicht für Söder zu stimmen.

Tatsächlich muss die Abstimmung über die Kanzler-Frage am Ende auch als Vertrauensfrage der Partei über ihren eigenen Chef angesehen werden.

Am Ende wird tatsächlich abgestimmt, mit technischen Hängern, aber geheim. Erstes Ergebnis: Der Vorstand will die Entscheidung sofort, keine Kreisvorsitzendenkonferenz vorher. Dann die Abstimmung: 31 Vorstandsmitglieder stimmen für Laschet, 9 für Söder, 6 Enthaltungen.

Der entscheidenden Sitzung des CDU-Vorstands am Montagabend waren dramatische 24 Stunden vorausgegangen – in Berlin und in München. Erster Höhepunkt: Ein Nacht-Gipfel der beiden Rivalen im Bundestagsgebäude, der aber ohne eine Verständigung zu Ende geht.

Union zerfleischt sich öffentlich

Am Vormittag dann, während sich die Union sozusagen selbst öffentlich zerfleischt, müssen CDU und CSU mitverfolgen, wie bei den Grünen in demonstrativer Harmonie Annalena Baerbock zu deren Kanzlerkandidatin gekürt wird. Krasser könnten die Gegensätze am Montag nicht sein.

Um kurz nach 13:00 Uhr geht Laschet in die Offensive, kündigt die Schalte des CDU-Vorstands für den Abend an. Zeitgleich berät in München schon das CSU-Präsidium. Dort läutet Söder die letzte Runde ein: Er gibt die Entscheidung über die Kanzler-Frage zurück an die CDU. Die CDU entscheide jetzt «souverän», sagt Söder und verspricht, gleich mehrfach: «Wir als CSU und auch ich respektieren jede Entscheidung.»

Zur Erinnerung: Genau eine Woche zuvor hatten sich die CDU-Gremien schon einmal hinter Laschet versammelt – einmütig, wie es hiess, aber eben (wie zwischen Laschet und Söder vereinbart) ohne einen formellen Beschluss. Söder erwiderte darauf, das sei «noch nicht abschliessend». Daraufhin wuchs in der Fraktion und auch an der CDU-Basis der Chor der Unterstützer für Umfrage-Liebling Söder an. Am Sonntag plädiert auch die Mehrheit der Landesverbände der Jungen Union für Söder.

Am Montagnachmittag macht Söder allerdings klar: Er will zwar weiter Kanzlerkandidat werden, sein Angebot steht. Aber weil er und die CSU es eben nicht alleine in der Hand haben, spielt er den Ball nun zur grossen Schwesterpartei. Mit diesem Schachzug, die Verantwortung allein Laschet und der CDU in die Hände zu geben, schafft er sich letztlich die für ihn bestmögliche, gesichtswahrende Exit-Option. Er muss nicht einfach so von sich aus einknicken, sondern er würde sich dann schlicht und einfach dem Votum der grossen Schwesterpartei fügen. Und könnte dann, wenn die Bundestagswahl schiefgeht, nach dem Motto argumentieren: Ich hätte gewollt – aber ihr habt mich nicht lassen.

CDU und CSU sind «paralysiert»

Wieder einmal hat Laschet einen Kampf zäh und hartnäckig bis zum Ende durchgestanden – und gewonnen. Es blieb ihm aber auch nichts anderes übrig. Doch die Hypothek, mit der er in die kommenden Monate geht, ist enorm. Denn auch wenn Söder sich bemüht, mögliche Schäden für die Union aus dem Personaldrama kleinzureden, sind CDU und CSU in einer extrem schwierigen Lage, Parteimitglieder bezeichnen sie als «paralysiert». Wie will Laschet nun die Zweifler und die Kritiker in an seiner eigenen Basis hinter sich scharen? Und erst die CSU?

Die Lippenbekenntnisse Laschets und Söders, man werde im Wahlkampf fest zusammenstehen, wirken auch für manche in der Union fast wie Hohn. Und dabei steht Laschet nun vor der Herkulesaufgabe, nach 16-jähriger Amtszeit Angela Merkels das Kanzleramt zu verteidigen.

SDA