Zugunglück in Ohio Bahnchef verweigert Hilfe – nur Stunden nach neuer Entgleisung

Von Jan-Niklas Jäger

10.3.2023

Der Geschäftsführer von Norfolk Southern, Alan Shaw, zeigt sich in einer Senatsanhörung nicht bereit, den Betroffenen des Zugunglücks von East Palestine weitere finanzielle Hilfe zukommen zu lassen.
Der Geschäftsführer von Norfolk Southern, Alan Shaw, zeigt sich in einer Senatsanhörung nicht bereit, den Betroffenen des Zugunglücks von East Palestine weitere finanzielle Hilfe zukommen zu lassen.
Bild: AP Photo / Kevin Wolf / Keystone

Seine Bahngesellschaft ist für die Umweltkatastrophe von East Palestine verantwortlich: Dennoch drückt sich der Chef bei einer Anhörung vor Hilfsversprechungen. Nur Stunden zuvor war ein weiterer Zug entgleist.

Von Jan-Niklas Jäger

Es war etwa 6.45 Uhr in der Früh (Ortszeit) am vergangenen Donnerstag, als ein Frachtzug in Calhoun County im US-Staat Alabama entgleiste. Etwa 30 Waggons sprangen aus den Gleisen. Niemand wurde bei dem Unfall verletzt.

Die Ursache des Unfalls ist noch nicht geklärt. Erst am vergangenen Wochenende war in der Stadt Springfield in Ohio ein Zug derselben Eisenbahngesellschaft – Norfolk Southern – entgleist. Auch hier waren etwa 30 Waggons betroffen.

Am 3. Februar hatte die Entgleisung eines weiteren Norfolk-Southern-Zugs hohe Wellen geschlagen: Im ebenfalls in Ohio gelegenen East Palestine entgleisten etwa 50 Waggons eines Frachtzuges. Der Zug ging in Flammen auf, verschiedene Giftstoffe gelangten in die Umwelt.

Hohe Frequenz von Entgleisungen

Bei den Entgleisungen in Calhoun County und Springfield ereigneten sich keine vergleichbaren Katastrophen. Bei einer Pressekonferenz nach dem jüngsten Vorfall in Alabama stellte Connor Spielmaker, ein Sprecher von Norfolk Southern, klar, dass zwei der Waggons zwar zuvor Giftstoffe transportiert hätten, zum Zeitpunkt des Unfalls aber leer gewesen seien. «Für die Öffentlichkeit besteht keinerlei Gefahr», betonte er.

Auf die Häufigkeit der Unfälle angesprochen, erklärte Spielmaker, Norfolk Southern untersuche derzeit, was passiert sei, und überlege, wie ihre Züge «sogar noch sicherer werden» könnten.

Die Entgleisung in Alabama ereignete sich wenige Stunden, bevor der Geschäftsführer der Eisenbahngesellschaft, Alan Shaw, wegen der Katastrophe von East Palestine vor dem Senat aussagen musste. Dort konfrontierten ihn demokratische und republikanische Senator*innen gleichermassen mit kritischen Fragen.

Geschäftsführer weicht aus

Dem Grossteil dieser Fragen wich Shaw aus, in dem er immer wieder denselben Satz wiederholte: «Es ist mir ein Anliegen, das Richtige zu tun.» So vermied der unter Eid stehende Geschäftsmann, sich zu Hilfsmassnahmen zu verpflichten, die Norfolk Southern noch mehr Geld kosten würden.

Das Unternehmen hat eine Einmalzahlung von 6,5 Millionen Dollar an die von Vergiftungen betroffene Bevölkerung in East Palestine sowie die Übernahme der Säuberungskosten versprochen.

Zu den Massnahmen, denen der Geschäftsführer hingegen auswich, gehörten etwa finanzielle Unterstützung für Anwohner*innen, deren Grundstücke an Wert verloren oder die mit Langzeitfolgen aufgrund des Kontaktes mit Giftchemikalien zu kämpfen haben werden.

Fragwürdige Geschäftspraktiken

Norfolk Southern ist seit dem Unglück zunehmend wegen fragwürdiger Geschäftspraktiken in die Kritik geraten. Der Nachrichtensender CNN stellte die den Betroffenen von East Palestine versprochenen 6,5 Millionen Dollar der Summe von 7,5 Milliarden Dollar gegenüber, die die Firma in diesem Jahr in den Aktienrückkauf investierte.

In dieser Praxis investiert eine Firma in ihre eigenen Aktien, um so deren Wert zu steigern, wovon dann wiederum die Gesellschafter*innen profitieren. Die immense Summe fehle dann wiederum bei der Gewährleistung von sicheren Zügen und Bahnstrecken oder der Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Bahnarbeiter*innen.

In der Vergangenheit hat sich die Eisenbahn-Lobby sowohl mit demokratischen als auch republikanischen Gesetzesmacher*innen gutgestellt, um Verpflichtungen zu entgehen, in genau diese beiden Bereiche zu investieren.

Lobbyarbeit zahlt sich aus

So hob Donald Trump eine Regelung aus der Obama-Ära auf, die Eisenbahngesellschaften dazu verpflichtet hätte, Züge mit Risikogütern mit modernen Bremsen auszustatten.

Joe Biden unterzeichnete im vergangenen November ein Gesetz, das einen drohenden Streik von Bahnarbeiter*innen unterband, ohne deren Forderungen nachzukommen. Personalmangel bei gleichzeitig immer länger werdenden Güterzügen wären laut Gewerkschaften geeignete Massnahmen, um die Menge an Eisenbahnunfällen zu reduzieren.

Norfolk Southern investiert in einem Wahlzyklus – also innerhalb von zwei Jahren – etwa fünf bis sechs Millionen Dollar in Lobbyarbeit und Wahlkampfspenden. Gemessen an den Beiträgen an Einzelkandidat*innen haben demokratische Kandidat*innen 2022 zum ersten Mal seit 2010 wieder mehr Geld von der Eisenbahngesellschaft erhalten als ihre republikanischen Rival*innen.

18 Klagen eingereicht

Seit der Umweltkatastrophe von East Palestine sind 18 Klagen gegen Norfolk Southern eingereicht worden. Derzeit steht ausserdem eine Entscheidung in einer aus dem Jahr 2017 stammenden Klage des Bahnarbeiters Robert Mallory vor dem Obersten Gerichtshof aus.

Mallory führt seine Krebserkrankung darauf zurück, während der Arbeit in Kontakt mit Giftchemikalien gekommen zu sein. Die Klage könnte an einer Formalie scheitern: Mallory reichte seine ursprüngliche Klage bei einem Gericht in Pennsylvania ein.

Zwar besitzt Norfolk Southern dort Eisenbahnstrecken, ihre Unternehmenssitze jedoch befinden sich in Ohio und Virginia. Der Oberste Gerichtshof soll nun entscheiden, ob eine Firma oder Aktiengesellschaft in einem Staat verklagt werden kann, in dem sie nicht heimisch ist.

Justizministerium positioniert sich

Joe Bidens Regierung hat sich in der Sache bereits auf die Seite von Norfolk Southern gestellt. Die Rechtmässigkeit solcher Klagen, argumentiert das Justizministerium, würde die Befugnisse von einzelnen Staaten überschreiten.

Die Wahrscheinlichkeit, dass der mit Mehrheit von konservativen, geschäftsfreundlichen Richter*innen besetzte Gerichtshof in anderen Staaten eingereichte Klagen gegen Norfolk Southern und andere Unternehmen für ungültig erklärt, besteht durchaus.

Da Norfolk Southern einen Sitz in Ohio hat, wären die 18 Klagen, die im Zusammenhang mit dem Unfall von East Palestine gegen die Bahngesellschaft eingereicht wurden, von einer solchen Entscheidung jedoch nicht betroffen.

Überparteiliche Initiative

Die beiden Senatoren von Ohio kritisieren die Vorgehensweisen ihrer Parteien indes stark. Gemeinsam haben der Republikaner J.D. Vance und der Demokrat Sherrod Brown einen überparteilichen Gesetzesentwurf eingereicht: den Railway Safety Act of 2023.

Dieser würde deutlich striktere Sicherheitsvorkehrungen für Züge mit Risikogütern einführen sowie die Frequenz von Inspektionen erhöhen. Weitere Unterstützer des Gesetzes sind die Republikaner Josh Hawley und Marco Rubio sowie die Demokraten Bob Casey und John Fetterman.

«Es sollte nicht erst ein massives Eisenbahnunglück brauchen, damit gewählte Repräsentanten ihre Parteilichkeit beiseitelegen, um für die Menschen, denen sie dienen, zusammenzuarbeiten – statt für Unternehmen wie Norfolk Southern», so Brown in einem Statement.

Lob vom Präsidenten

Vance übte Kritik an seinen Parteikolleg*innen, «die zu glauben scheinen, dass mehr Sicherheitsvorkehrungen in der Eisenbahnindustrie eine Verletzung des Freien Marktes darstellen würden».

Vance, der im vergangenen September in den Senat gewählt und im Wahlkampf von Donald Trump unterstützt wurde, fügte hinzu, er glaube, dass die mangelnde Hilfsbereitschaft auch damit zusammenhänge, dass die Betroffenen «zu dörflich, zu weiss» seien.

Joe Biden hat dem Vorhaben seine Unterstützung ausgesprochen. «Ich applaudiere der überparteilichen Gruppe von Senatoren dafür, dass sie Gesetze zur Eisenbahnsicherheit vorschlagen, die viele der Lösungen beinhaltet, die meine Regierung gefordert hat», schreibt der Präsident in einem Statement auf der Website des Weissen Hauses.