US-Wahlkampf Angeschossen und gefährlich – Trump und sein «Obamagate» 

Von Philipp Dahm

15.5.2020

Ausgerechnet die Krise, die Donald Trump nicht selbst angestossen hat, bringt seine sicher geglaubte Wiederwahl in Gefahr. Der Präsident will mit einer Offensive Boden gutmachen – gegen Erzfeind Barack Obama. 

Es dauert nicht mal mehr ein halbes Jahr – am 3. November 2020 sind in den USA Präsidentschaftswahlen.

Zu Jahresbeginn sah es noch so aus, als sei Donald Trump klar auf Kurs: Sein demokratischer Herausforderer geht stramm auf die 80 zu. Der US-Präsident hat ihm den Übernamen «Sleepy Joe» verpasst, und Biden müht sich nach Kräften, dem Image gerecht zu werden. Er verwechselt, vergisst und reiht einen Patzer an den nächsten.

Skandale, die sich Trump seit 2016 leistet, haben seinen Stern nicht zum Sinken gebracht. Auch Lügen können dem Nimbus des 74-Jährigen nichts anhaben. Mit denen fängt es an, kaum dass der New Yorker seinen Eid ablegt und die Amtseinführung feiert – mit dem angeblich grössten Publikum, das die USA je bei so einem Akt gesehen habe.

Noch im Wahlkampf tönt Trump mit Blick auf Frauen: «Grab ‘em by the pussy», fass sie beim Schritt. Er zahlt einem Pornosternchen Schweigegeld und fordert Russland auf, ihn beim Kampf gegen Hillary Clinton ums Weisse Haus zu unterstützen. Im Amtsenthebungsverfahren wird Trump Anfang Februar freigesprochen – vor allem auch, weil der richtende Senat republikanisch dominiert ist. Scheinbar kann nichts Donald Trump vor einer zweiten Amtszeit stoppen.

Krise für einmal fremdverursacht – und Trump versagt

Doch seit jener Anklage-Abstimmung am 5. Februar hat sich die Welt verändert: Die Pandemie hat sie auf den Kopf gestellt. Bevor Covid-19 auftaucht, brummt die US-Wirtschaft – Donald Trump sitzt auch deshalb fest im Sattel. Doch die Seuche macht die Pferde scheu, und ausgerechnet jetzt hält Trump nicht mehr alle Zügel in der Hand. Jene Eklats, die er selbst heraufbeschwört hat, konnte er stets locker wegmoderieren. Nun scheint er ausgerechnet in jener Krise zu versagen, für die er nichts kann.

Corona wird zum Trauma: Erst will das Weisse Haus die schlechte Nachricht nicht wahrhaben und reagiert spät, obwohl Trump angeblich rechtzeitig gewarnt wird. Dann mutmasst der Präsident, die Krankheit werde sich mit wärmerem Wetter von selbst erledigen, bevor er wild Werbung für ein offenbar nutzloses Medikament macht. Zuletzt gibt er gar Gesundheitstipps, die selbst skrupellose Quacksalber unseriös fänden.

Rotes Tuch: Donald Trump mit Barack Obama bei der Übergabe des Weissen Hauses im Januar 2017.
Rotes Tuch: Donald Trump mit Barack Obama bei der Übergabe des Weissen Hauses im Januar 2017.
Bild: Keystone

Dabei will der Mann doch bloss eins – und das seit dem Tag seiner Amtseinführung: geliebt werden – und zwar mehr als Barack Obama. Dass sich der 45. mit dem 44. Präsidenten vergleicht, beginnt bei der Amtseinführung und der Zahl der Menschen, die sie besucht haben sollen.

Es geht weiter mit Gesetzen, die unter dem Demokraten erlassen worden sind und die Trump mit seinen Republikanern eins ums andere zurücknimmt. Obamacare hat Trump Stück für Stück ausgehöhlt – doch zur Abschaffung fehlte im stets die nötige Mehrheit. Nun verlieren Millionen von Menschen mit ihrer Arbeit auch ihre Krankenversicherung und wären eigentlich dringender denn je auf eine zahlbare Alternative angewiesen.

Obama sieht «Demokratie auf dem Spiel»

Und immer wieder lästert der Rotblonde über die Zustände, die Obama ihm hinterlassen habe. 2019 versucht das Weisse Haus, dem Demokraten ein «Spygate» anzuhängen: Obama habe auf dem kurzen Dienstweg die Untersuchung der Russland-Affäre angestossen, um Trump zu schaden. Der Schachzug ging während des laufenden Impeachment-Verfahrens unter.

Donald Trump steckt also mitten in seiner grössten politischen Krise – und ausgerechnet jetzt ändert Obama seine Taktik: Barack Obama, der die Seitenhiebe seines Nachfolgers stets weltmännisch weggesteckt hat, schlägt plötzlich zurück. Eine Rede wird öffentlich, in der Obama kein gutes Haar an Trump lässt: Trumps Krisenmanagement sei ein «chaotisches Desaster», bei dem es bloss darum ginge, «was für mich drin ist» und dass «anderen zum Teufel gehen können».

Vor allem ist Juristen sauer aufgestossen, dass Trumps kurzzeitiger Sicherheitsberater Michael Flynn straffrei bleibt, obwohl ihn Richter gerade verurteilt haben: Der Army-Mann hatte sich gleich zweifach der Falschaussage schuldig bekannt und zugegeben, im Wahlkampf 2016 Kontakte zu Russen geknüpft zu haben. Doch am 8. Mai spricht das Justizministerium ein Machtwort: Es fordert einen Verzicht auf die Bestrafung Flynns. Obama sorgt sich um die Rechtsstaatlichkeit im Land: «Unsere Demokratie steht auf dem Spiel.»

Spygate 2.0 – Obamagate

Für Trump kann derartige Kritik – noch dazu von seinem Lieblingsfeind Barack Obama – zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen: Wenn wilde Tiere angeschossen werden, sind sie bekanntlich am gefährlichsten. Und der Präsident schiesst gerade in alle Richtungen.

Das «Spygate» heisst jetzt «Obamagate», aber der Rest ist in Trumps Narrative gleich: Obama, Vize Biden, das FBI und die «Deep State»-Verschwörer sind die Täter. Was sich erlaubten, «geschehe schon lange». «Gegen Obamagate wirkt Watergate winzig», tönt der Amerikaner. Doch die Frage eines Reporters, was der genaue Vorwurf sei, antwortet Trump bloss nebulös, das könne jeder in der Zeitung nachlesen.

Die besten Bilder aus Obamas Amtszeit:

Trumps Motto dabei scheint zu sein: Irgendwas bleibt immer hängen. Deshalb nennt er seinen Vorgänger auch immer bei seinem kompletten, Vornamen, den er von seinem kenianischen Vater und seiner amerikanischen Mutter bekommen hat: Barack Hussein Obama. «Donald Trump wird nie aufhören mit Barack Obama – nicht jetzt und auch künftig nicht», schreibt der «New Yorker» lakonisch.

Es bleibt abzuwarten, ob Trump sein rotes Tuch nutzen wird, um seine Wut in Wahlkampfenergie umzumünzen – oder ob er sich in der Vergangenheit verliert und dabei selbst Geschichte wird.

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