US-AbzugAfghanische Rache – «Sie werden uns auf jeden Fall töten»
Von Rahim Faiez und Ben Fox
18.5.2021 - 08:33
Während des Krieges leisteten lokale Übersetzer dem US-Militär wichtige Dienste. Nun drohen ihnen die Taliban mit dem Tod. Die USA versuchen mit Sondervisa zu helfen. Der Antrag ist jedoch langwierig.
18.05.2021, 08:33
18.05.2021, 10:42
Rahim Faiez und Ben Fox, AP
Ajasudin Hilal hat in Ostafghanistan als Dolmetscher für die US-Truppen gearbeitet. Während Hunderter Patrouillen und Dutzender Feuergefechte war er an der Seite der US-Soldaten und wurde dafür mit einer Medaille und einem Empfehlungsschreiben belobigt.
Dennoch wurde sein Antrag auf eines der seit 2009 erhältlichen Einwanderungsvisa für afghanische Zivilisten abgelehnt. Er und Tausende weitere, die für die US-Truppen oder die Nato tätig waren, fürchten sich vor Vergeltung der Taliban nach dem bevorstehenden Truppenabzug.
«Wir sind nicht sicher», sagt der 41-jährige sechsfache Familienvater über die Lage der afghanischen Dolmetscher und Zivilisten, die am Krieg beteiligt waren. Die Taliban drohten ihnen bereits, dass «ihr Stiefbruder das Land bald verlassen» werde und sie dann alle getötet würden.
«Sie werden uns auf jeden Fall töten»
Normalerweise versuchen ehemalige Dolmetscher, ihre Identitäten geheim zu halten und nicht in Erscheinung zu treten. Doch angesichts der mit dem bevorstehenden Truppenabzug einhergehenden Unsicherheit, melden sich immer mehr von ihnen zu Wort. «Sie werden uns auf jeden Fall töten», sagt etwa Mohammed Schoaib Walisada, ein ehemaliger Dolmetscher des US-Militärs, bei einer Protestaktion in Kabul.
Seit 2016 seien mindestens 300 Dolmetscher in Afghanistan getötet worden und die Taliban hätten deutlich gemacht, dass sie auch zukünftig im Visier bleiben würden, sagt Matt Zeller, Ex-Offizier in Afghanistan und Mitgründer der Organisation No One Left Behind, die sich für die Belange der Dolmetscher einsetzt. Da die Taliban die Dolmetscher als Feinde des Islams ansähen, werde es für sie keine Gnade geben.
Die US-Regierung entwickelte bereits 2009 ein Programm zur Vergabe von Sondervisa für afghanische Dolmetscher und andere Zivilisten, die für die US-Regierung oder die Nato gearbeitet haben. Vorbild war ein ähnliches Programm in Irak. Beide Programme werden wegen langwieriger und komplizierter Antragsverfahren kritisiert.
26'500 Visa
Die Massnahmen zur Pandemie-Eindämmung machten die Abläufe zuletzt noch umständlicher. Typischerweise dauert das Verfahren länger als drei Jahre. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden überprüft die Programme derzeit: Es werden unter anderem Verzögerungen untersucht sowie die Möglichkeit, Widerspruch gegen abgelehnte Visumsanträge einzulegen.
Washington fühle sich verpflichtet, Dolmetschern und anderen afghanischen Zivilisten zu helfen, die den Krieg – oft unter grossem persönlichen Risiko – unterstützt hätten, sagte US-Aussenminister Antony Blinken im April.
Bereits im Dezember hatte der Kongress weitere 4000 Sondervisa beschlossen. Die Gesamtzahl der Afghanen, die mit ihren unmittelbaren Familienangehörigen in die USA einwandern dürfen, stieg infolgedessen auf 26'500. Rund die Hälfte der Sondervisa ist aber bereits vergeben und Entscheidungen über 18'000 Anträge stehen noch aus.
Nicht geduldet
Noah Coburn, Politikethnologe mit dem Forschungsschwerpunkt Afghanistan, schätzt, dass es mehr als 300 000 afghanische Zivilisten geben könnte, die während der vergangenen zwei Jahrzehnte auf irgendeine Art und Weise für die USA oder die Nato gearbeitet haben.
Es gebe eine Vielzahl von Afghanen, die nach dem von den Taliban entworfenen Gesellschaftsbild nicht geduldet werden würden, sagt auch Adam Bates, Politikberater für eine internationale Organisation, die sich für Geflüchtete einsetzt.
Die Fürsprache für ehemalige Dolmetscher im Kongress ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Ex-Soldaten sich für sie verbürgen. Er könne sich an keinen anderen Übersetzer erinnern, der sich mit grösserer Hingabe für sein Land und die Sache der Koalition eingesetzt habe, schreibt etwa Walisadas ehemaliger Vorgesetzter in einem Empfehlungsbrief.
«Treue und wertvolle Dienste»
Walisada erhielt ursprünglich eine Zusage für eines der Sondervisa, doch diese wurde zurückgenommen. Die US-Einwanderungsbehörde teilte ihm in einem der Nachrichtenagentur «AP» vorliegenden Brief mit, dass es «nachteilige Informationen gibt, die Ihnen möglicherweise nicht bekannt sind». Walisada legte Widerspruch ein, erhielt jedoch keine Antwort.
Auch Hilals Visumsantrag wurde abgelehnt. Er hatte von Juni 2009 bis Dezember 2012 für das US-Militär aus den Sprachen Paschtu und Dari ins Englische übersetzt. Doch der US-Botschaft zufolge erfüllte er wegen seiner Kündigung durch die in den USA ansässige Vermittlerfirma Mission Essential nicht die Standards «treuen und wertvollen Dienstes».
Warum er nach dreieinhalb Jahren im Dienst entlassen wurde, ist unklar. Hilal sagt, es habe mit einem Streit mit einem Vorgesetzten über einen Arbeitsauftrag begonnen. Die Vermittlerfirma lehnte eine Stellungnahme ab. «Wenn ich keinen treuen und guten Dienst für die US-Armee geleistet habe, warum haben sie mir dann diese Medaille gegeben?», fragt Hilal während eines Interviews in Kabul und hält die Belobigungsmedaille des Militärs hoch.
«Ich konnte mich immer darauf verlassen»
Auch das Empfehlungsschreiben aus dem Jahr 2019 von Thomas Goodman, dem Kommandeur, an dessen Seite Hilal während zahlreicher Patrouillen und Einsätze dolmetschte und feindliche Funksprüche überwachte, findet lobende Worte. «Er war verlässlich und leistete bewundernswerte Arbeit», schreibt Goodman. «Selbst während stundenlanger Feuergefechte verlor er nie die Nerven, und ich konnte mich immer darauf verlassen, dass er an meiner Seite war.»
Fotos eines «AP»-Journalisten, der die Einheit in Ostafghanistan eine Zeit lang begleitete, zeigen Hilal und Goodman umringt von Dorfbewohnern, deren Unterstützung sich damals sowohl die US-Truppen als auch die Taliban sichern wollten. Goodman sagt, er stehe zu seiner Empfehlung, lehnte eine weitere Stellungnahme aber ab.
Das Programm zur Vergabe von Sondervisa erlaubt Antragstellern das Einlegen eines Widerspruchs. Viele sind damit erfolgreich: Rund 80 Prozent der 243 Afghanen, die 2021 im ersten Quartal Einspruch erhoben, erhielten nach dem Bereitstellen weiterer Informationen eine Zusage, wie das US-Aussenministerium mitteilt. Hilals Einspruch wurde jedoch abgelehnt.
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