Im Auge des Betrachters Früher verspottet, heute gefeiert? Schönheitsideale im Wandel

Mara Ittig

3.4.2019

Rothaarige können ein Lied davon singen, Menschen mit Sommersprossen ebenfalls. Was früher als Abweichung von der Norm galt, wird heute als Ideal gefeiert. 

Schönheitsideale wandeln sich. Sex-Idol Marilyn Monroe würde heute wohl zuerst auf Diät gesetzt, bevor sie überhaupt für eine Rolle vorsprechen dürfte. Sanduhrfiguren, die nur unter Zuhilfenahme einschnürender Korsetts zustande kamen, sind genauso passé wie der Heroin Chic der 1990er Jahre. 

Was wir als schön empfinden, ist eng mit dem Zeitgeist verknüpft. Galt eine gebräunte Haut über viele Jahre als unansehnlich, weil sie mit Armut und Arbeit im Freien gleichgesetzt wurde, während eine noble Blässe Wohlstand symbolisierte, zeigt man seit den 1950er Jahren mit einer knackigen Bräune, dass man sich Ferien am Meer leisten kann. Sie gilt als Wohlstandsindikator und somit als schön. Das hält sich hartnäckig, obwohl wir heute wissen, dass Sonnenbräune und gesunde Haut sich oft ausschliessen.

Als attraktiv empfinden wir Attribute, die mit Wohlstand und Gesundheit gleichgesetzt werden. Und oftmals auch mit Eigenschaften, die in der Natur Seltenheitswert haben. 1,80 Meter grosse Frauen mit schlanker Taille, langen Beinen und üppigem Busen sind in der Realität selten anzutreffen, und dennoch werden Models, die uns als Vorbild in Sachen Schönheit gelten sollen, immer noch häufig genau nach diesen Kriterien ausgewählt. 

Schönheit im Wandel der Zeit.

Quelle: YouTube

Daneben gibt es auch jene Ideale, die dem Wandel der Zeit standhalten. Als schön empfinden wir – über alle Epochen hinweg – all das, was für Gesundheit steht: Symmetrische Gesichtszüge, eine klare Haut, gesunde Zähne, glänzende Haare.

Und was der Fortpflanzung dienlich ist: Breite Schultern beim Mann symbolisieren Kraft und Stärke, ein ideales Verhältnis von Taille zu Hüfte bei Frauen steht für eine hohe Fruchtbarkeit – beides wird beinahe unabhängig von Zeit, Ort und kulturellem Kontext als attraktiv empfunden, weil es sich dabei um Indikatoren handelt, die uns günstige Voraussetzung für die Paarung suggerieren – ein bisschen Höhlenmensch steckt eben doch noch in uns. 

Die Wahrnehmung zahlreicher anderer Merkmale wandelt sich jedoch im Laufe der Zeit. Drei Beispiele:

Rote Haare – Hexenjagd war einmal

Wer rotes Haar hatte, wurde früher oft ausgelacht. Frauen galten als Hexen, Männer wurden als Rüebli verspottet. Heute ist die feurige Haarfarbe populär wie nie, was auch an ihrem Seltenheitswert liegen mag. Gerade einmal ein Prozent der Weltbevölkerung ist von Natur aus rothaarig, die meisten Rotschöpfe sind übrigens in Schottland zu Hause – hier sind es ganze 16 Prozent der Gesamtbevölkerung. In Irland, das gemeinhin als Hochburg der Rothaarigen gilt, sind es immerhin zehn Prozent.

Sexymbol mit Sommersprossen und rotem Haar: Eddie Redmayne.
Sexymbol mit Sommersprossen und rotem Haar: Eddie Redmayne.
Bidl: Getty Images

Prominente wie Emma Stone oder Lindsay Lohan stehen zu ihrem natürlichen Rotschopf, und so manche, die von Haus aus mit aschblondem oder braunem Haar bedacht sind, färben sich ihre Mähne in Kupfer- und Mahagonitönen. Das gilt auch für Männer: Schauspieler Eddie Redmayne, mit rotem Haar und Sommersprossen der Archetypus des rothaarigen Briten, wird als Sex-Symbol gefeiert.

Sommersprossen - gefleckte Schönheit

Sommersprossen galten lange Zeit als Makel: Eine schöne Haut hatte jedoch perfekt zu sein, ohne Flecken, Narben oder Pigmentstörungen. Alles, was von einem ebenmässigen Haubild ablenkte, wurde unter dicken Concealer-Schichten verdeckt. Heute gelten die Tupfen als Sinnbild einer natürlichen Haut und somit als schön. Denn als attraktiv wird heute wahrgenommen, was natürlich wirkt. Auch wenn es dann unter dem Strich doch nicht ganz so natürlich ist, wie es den Anschein macht. 

Topmodel Candice Swanepoel zeigt im Youtube-Tutorial, wie man sich falsche Sommersprossen schminkt.

Quelle:Youtube

In den sozialen Medien finden sich zahlreiche Tutorials, wie man sich «Faux Freckles» schminken kann, falls man nicht von der Natur mit Sommersprossen gesegnet wurde. Und der Trend geht noch weiter: Wem die tägliche Schminkprozedur zu aufwendig ist, der kann sich die Märzenflecken auch einfach tätowieren lassen.

Prominente Sommersprossen-Trägerinnen wie Meghan Markle oder Model Adwoa Aboah gelten vielen als Inspiration und tragen sicher ihren Anteil zum Trend bei. Man kann die Sommersprossen-Epidemie als nächsten Make-Up-Trend nach Strobing, Contouring und Highlighting sehen oder aber als Ausdruck einer Bewegung hin zu mehr Diversität, in der als schön gilt, was natürlich ist und in der Schönheit viele Facetten hat. Schönheit muss keiner eng gesteckten Norm mehr entsprechen, sondern hat viele Gesichter – und Einzigartigkeit wird gefeiert wie nie zuvor. 

Ins Rampenlicht dank dickem Hintern

Galt in den 1990er und frühen 2000er Jahren ein üppiges Dekolletée als Mass aller Dinge, wenn es um weibliche Erotik ging, ist seit einigen Jahren ein neues Körperteil in den Fokus gerückt: der Hintern. Ein dickes Hinterteil galt lange Zeit als unansehnlich, der ideale Po hatte klein, rund und knackig zu sein. Wo Models und Stars ihre flachen Bäuche oder einen grossen Busen zelebrierten, wurde der Hintern eher stiefmütterlich behandelt. Das ist vorbei.

Vorbilder wie Kim Kardashian, die mit ihrer Rückseite «das Internet sprengte», und Nicki Minaj, die ihrem Hintern in ihrem Song «Anaconda« ein Denkmal setzt, feiern ihre üppige Kehrseite mit unverhohlenem Stolz. Und haben damit einen wahren Hype losgetreten.

Zelebriert in ihrem Song Anaconda ihre Rückseite: Nicki Minaj

Quelle: Youtube

Grosse Hintern sind längst Kult und haben die breite Masse erreicht. Unzählige Frauen quälen sich in Fitnessstudios, um ihren Hintern muskulös und somit grösser werden zu lassen (im Gegensatz zum Busen lässt sich dieser ja immerhin grösser trainieren), und sie tragen Kleider, die die Rückseite betonen. Belfies (sogenannte Selfies vom Po, also Butt), twerkende Menschen, hochgeschnittene Hosen und Instagram-Bilder, auf denen der Hintern ins rechte Licht gerückt wird, scheinen allgegenwärtig.

Vom Hype zeugen auch Zahlen aus der Schönheitschirurgie: Die Zahl der Po-Operationen hat in den vergangenen Jahren sprunghaft zugenommen. Die 2017 veröffentlichten Zahlen der Internationalen Vereinigung der plastischen Chirurgie ISAPS belegen, dass die Anzahl der Vergrösserung des Hinterteils durch Implantate und Unterspritzung mit Eigenfett von 220'000 Eingriffen im Jahr 2014 auf 416'000 im Jahr 2017 angestiegen ist. Das ist nahezu eine Verdopplung in gerade einmal drei Jahren.

Da sind wir dann doch wieder recht weit vom Trend zu mehr Natürlichkeit entfernt. Vielleicht können's ja ein paar falsche Sommersprossen richten. 

Modelkarriere dank einzigartiger Looks
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