Trip ans Meer Klein, charmant und wunderschön: Den Haag

Christoph Driessen, dpa

10.4.2018

Das niederländische Den Haag teilt sich in zwei Hälften: Die gute ist auf Sand gebaut, die schlechte im Sumpf. In der einen leben Hagenaren, in der anderen Hagenezen. Beide haben auf ihre ganz eigene Art etwas zu bieten.

Wer für ein paar Jahre in Den Haag gelebt hat, wird sich danach wohl immer dorthin zurücksehnen. Der Zauber dieser hierzulande eher wenig bekannten Stadt ergibt sich daraus, dass sie direkt am Meer liegt.

Das heisst zum Beispiel, dass man morgens vom Tuten der Englandfähre geweckt wird. An schönen Sommermorgen glaubt man die Verlockung des nahen Strandes in der salzigen Luft geradezu schmecken zu können.

Das gilt jedoch in erster Linie dann, wenn man im guten Teil von Den Haag wohnt. Das ist der Westen, der in den Nordseedünen auf Sand gebaut ist. Der Osten, der schlechte Teil, steht auf Sumpfboden. Diese beiden Hälften der Stadt mit ihren 500'000 Einwohnern haben wenig miteinander zu tun.

Den Haag: Die vielen eher unbekannte Stadt am Meer hat für Reisende viel zu bieten.
Den Haag: Die vielen eher unbekannte Stadt am Meer hat für Reisende viel zu bieten.
Bild: iStock

Für ihre Bewohner gibt es sogar unterschiedliche Bezeichnungen: Wer auf Sand wohnt, ist ein Hagenaar. Oft handelt es sich dabei um jemanden, der zugezogen ist. Die Sumpfbewohner sind dagegen meist in der Stadt geboren und heissen Hagenezen.

Zwischen Kurhaus und Ballermann

Beide Bevölkerungsgruppen haben in der Stadt ihr inoffizielles Denkmal. Für den Hagenezen ist es der Haagse Harry auf dem Grote Markt in der Einkaufszone. Mit diesem Standbild wurde 2016 eine Comicfigur verewigt, die im ganzen Königreich bekannt ist. Die Schöpfung des 2014 gestorbenen Zeichners Marnix Rueb läuft immer im Trainingsanzug herum, hat im Nacken ziemlich lange Haare und spricht durchweg Haager Platt.

Die zweite Statue ist aus Bronze und steht auf der vornehmen Allee Lange Voorhout. Dargestellt ist der flanierende Schriftsteller Louis Couperus (1863 bis 1923). Couperus war so etwas wie der Oscar Wilde der Niederlande.

Die zweite Statue ist aus Bronze und steht auf der vornehmen Allee Lange Voorhout. Dargestellt ist der flanierende Schriftsteller Louis Couperus (1863 bis 1923). Couperus war so etwas wie der Oscar Wilde der Niederlande.

Sein Wohnhaus in der vornehmen Javastraat ist heute ein kleines Museum. Es vermittelt noch etwas von der ganz speziellen Haager Fin-de-Siècle-Atmosphäre. Couperus hat die schlechten Viertel von Den Haag sein Leben lang gemieden. Das von ihm oft besuchte Scheveningen hatte zu seiner Zeit noch einen ganz anderen Charakter als heute, es war ein mondänes Seebad, wovon heute nur noch das Kurhaus zeugt. Der Rest bewegt sich irgendwo zwischen Ballermann und Blackpool, einem britischen Seebad mit zweifelhaftem Ruf. Hagenaren bevorzugen die weiter nördlich gelegenen Bäder Wassenaar und Noordwijk.

Nicht immer so niedlich wie heute

Hin und wieder ist es in der Geschichte von Den Haag zu blutigen Zusammentreffen zwischen Hagenaren und Hagenezen gekommen. Auf dem Platz Groene Zoodje in der Innenstadt blickt der Staatsmann Johan de Witt (1625-1672) von seinem Sockel herunter. In Hollands Goldenem Zeitalter war dieser Patrizier fast 20 Jahre niederländischer Regierungschef.

Doch als 1672 ein Krieg ausbrach, wurde er an einem strahlenden Sommertag zusammen mit seinem Bruder von einer wütenden Menge gelyncht. Die Leichenteile verkaufte man als Souvenirs. Im Historischen Museum von Den Haag werden bis heute eine Zunge und ein Finger ausgestellt. Es ging in der Stadt nicht immer so niedlich zu, wie die puppenstubenhafte Architektur suggeriert.

Die meisten Touristen bewegen sich «im Haag», wie man früher gern sagte, nur auf Sandboden. Doch man sollte sich auch mal in den Sumpf wagen - es lohnt sich. Da ist zum Beispiel «de Haagse Markt», der grösste überdeckte Markt Europas im Multikulti-Viertel Schilderswijk.

Um das andere Den Haag zu erleben, die «schöne Stadt hinter den Dünen», kann man sich am besten ein Fahrrad mieten und in Richtung Strand fahren. Zum Beispiel über den Denneweg mit vielen Läden und Lokalen in die Archipelbuurt oder Indische Buurt.

Ansichten wie auf einem Gemälde von Vermeer

In der Archipelbuurt, im Statenkwartier und in der Innenstadt entfaltet Den Haag seine diskrete Schönheit. Ganze Strassenzüge atmen den Geist der Belle Epoque. Unbedingt für den Nachmittagstee zu empfehlen ist das «Hotel des Indes», in dem schon die Tänzerin Mata Hari abstieg. Nur einen Steinwurf weit vom Hotel entfernt befindet sich das Regierungszentrum der Niederlande, der Binnenhof. Hier darf man keine pompösen Fassaden, Absperrungen oder Wachsoldaten erwarten. Der Mittelpunkt niederländischer Macht ist nichts anderes als ein «Innenhof mit einer Pumpe», wie es der Schriftsteller Harry Mulisch (1927-2010) einmal ausgedrückt hat.

Der Rittersaal in der Mitte des Hofs ist die Keimzelle, aus der die ganze Stadt hervorgegangen ist. Den Haag heisst «die Hecke» und bezeichnete ursprünglich den Sitz des Grafen von Holland mit angrenzendem Jagdrevier. Aus dem Beratergremium des Grafen entwickelte sich die niederländische Ständeversammlung, aus der wiederum das Parlament hervorging.

Trotz aller Bescheidenheit hat der verschachtelte Binnenhof seinen Reiz, vor allem wenn sich darüber die Wolken eines bewegten holländischen Himmels türmen. Dann wirkt der Komplex mit seinen spitzen Dächern und Backsteinmauern von der gegenüberliegenden Seite des Hofweihers aus wie Vermeers «Ansicht von Delft». Das weltberühmte Gemälde kann man sich zum Vergleich im unmittelbar benachbarten Museum Mauritshuis anschauen.

Sportlich aktiv am Strand

Am Rande des Binnenhofs befindet sich auch der Amtssitz von Ministerpräsident Mark Rutte. Das niederländische Pendant zum Kanzleramt ist «het torentje», ein kleines Türmchen, an dem die ausländischen Touristen achtlos vorbeilaufen. In den Niederlanden ist eine allzu offene Zurschaustellung von Macht und Reichtum verpönt.

Sonntagmorgen in Scheveningen. Surfer schleppen ihre Bretter über den Strand, zwei Mannschaften spielen Fussball gegeneinander. «Schiess' ma rübber!», brüllt einer. Unverkennbar: Das sind weder Hagenaren noch Hagenezen. Das sind die ersten Tagestouristen aus dem Ruhrgebiet.

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