Mehrere TodesfälleAmazonas: Tourismus um Urwald-Droge blüht
Franklin Briceno/AP
8.6.2018
Einheimische am Amazonas haben den halluzinogenen Pflanzenstoff Ayahuasca seit Jahrhunderten verwendet. Aber längst zieht es auch Menschen aus dem Ausland zu dem Elixier, das heilend wirken soll. Nicht für alle gehen die exotischen Ferientage gut aus.
Pamela Moronci sitzt auf einer Matratze auf dem Boden, ein Sprechgesang in der einheimischen Shipibo-Sprache beginnt. Ein Schamane zieht an einer Pfeife mit einem starken Tabak und bläst den Rauch auf den Kopf der Frau – um sie zu reinigen.
Die Italienerin ist in den peruanischen Amazonas-Regenwald gekommen, um in einer Ayahuasca-Zeremonie Frieden und Erleuchtung zu finden. Jedes Jahr suchen Tausende von Touristen spirituelle Erfahrungen in Peru, Kolumbien und Ecuador. Für einige ist sie tödlich geendet.
«Man kann hier wirklich eine starke Energie spüren», sagt Moronci. Der Schamane hat ihr einen Plastikbecher mit einem bitteren trüben psychedelischen Pflanzen-Gebräu gereicht. Sie trinkt, hustet und lächelt trotz des unangenehmen Geschmacks. Dann schläft sie ein, während im Hintergrund Grillen zirpen und heftiger Regen prasselt.
Heilmittel gegen psychische Krankheiten
Das halluzinogene Ayahuasca-Elixier aus einheimischen Pflanzen wird für ein Heilmittel gegen manche psychische Krankheiten gehalten. Ayahuasca bedeutet in der Quechua-Sprache so etwas wie Pflanze der Seele oder auch des Todes, abhängig von der Übersetzung. Seit Jahrhunderten verwenden es indigene Gemeinschaften im Amazonas-Becken, meistens bei religiösen Ritualen. Die Pflanze enthält DMT, ein Alkaloid, das starke Halluzinationen hervorruft.
Moronci und andere sagen, das Gebräu habe ihnen tatsächlich das gegeben, was sie gesucht haben. Aber für einzelne Touristen wurde die Sache bereits zu einer tödlichen Erfahrung. Und durch den wachsenden Zustrom von Menschen aus dem Westen hat eine Kommerzialisierung eingesetzt – unter Dutzenden legalen Ayahuasca-Zentren gibt es mittlerweile profitgierige Trickser.
Medienberichten zufolge sind in den vergangenen zehn Jahren mindestens elf Touristen in Südamerika bei Vorfällen im Zusammenhang mit traditioneller Medizin ums Leben gekommen. Dazu zählt ein Kalifornier, der bei einer Ayahuasca-Zeremonie in Peru starb und dann heimlich von einem Schamanen begraben wurde.
Den jüngsten Fall gab es im April nicht weit vom Dorf Nuevo Egipto entfernt: Da wurde ein 41-jähriger Kanadier, der in der Region medizinische Pflanzen studierte, im hellen Tageslicht von einer wütenden Menge zu Tode geprügelt – als Vergeltung für die mutmassliche Tötung einer beliebten Heilerin. Peruanischen Ermittlern zufolge wurde sie von ihm erschossen. Als wahrscheinlichstes Motiv gilt demnach ein Streit um Geld.
2015 griff ein US-Amerikaner während einer Ayahuasca-Zeremonie in Peru zum Messer und attackierte einen Kanadier, der ihn dann in Notwehr tötete. Ein Jahr zuvor wurde in Kolumbien ein 19-jähriger Brite während eines Ayahuasca-Rituals ohnmächtig und starb.
Aggressive Schwarzmarkthändler
Ein Problem ist die praktisch gar nicht regulierte Ayahuasca-Industrie. In wenig entwickelten Orten wie Iquitos und Pucallpa etwa werden Touristen nach ihrem Eintreffen per Boot von aggressiven Schwarzmarkthändlern in Empfang genommen, die in englischer Sprache Zeremonien anbieten. Auf indigenen Märkten wird das starke Gebräu in Literflaschen zum Preis von bis zu 100 Dollar verkauft.
Anthropologen wie Ana Echazú-Böschemeier von der Universität Rio Grande do Norte in Brasilien weisen auf die lange Geschichte einer Wirtschaft im Amazonas-Gebiet hin, «die auf der Ausbeutung seiner natürlichen Ressourcen basiert». In einem gewissen Masse spiegele der schamanische Tourismus diese brutale Praxis wider, sagt die Expertin, die mehr als ein Jahr lang im Dschungel die Verwendung von Ayahuasca studiert hat.
Ayahuasca und DMT: Von Büchern zu Netflix
Der Strom aus dem Ausland setzte nach der Veröffentlichung des Buches «Auf der Suche nach Yage» 1963 ein, in dem der Dichter Allen Ginsberg seine persönliche Erfahrung mit Ayahuasca beschrieb. In der jüngeren Zeit hat das Elixier auch Anhänger in der Welt der Prominenten und Reichen gefunden – auch wenn bekannt ist, dass der Genuss oft heftiges Erbrechen und Durchfall auslöst.
Schauspielerin Lindsay Lohan schreibt Ayahuasca eine positive Änderung ihres Lebens zu. Sänger Sting sagt, dass es seine einzige «wirklich religiöse Erfahrung» gewesen sei.
Netflix strahlt derzeit zwei Dokumentationen über die Substanz aus: «The Last Shaman» erzählt die Geschichte eines klinisch despressiven Mannes, der in einer Ayahuasca-Zeremonie Erleichterung sucht. «DMT: The Spirit Molecule» hingegen beschäftigt sich näher mit DMT (Dimethyltriptamin), der psychoaktiven Substanz in Ayahuasca, die natürlich in Pflanzen und Tieren vorkommt und auch im menschlichen Körper produziert wird.
Heilung statt kein psychedelisches Hoch
Charles Grob, Psychiater am Medizinischen Zentrum der Universität von Kalifornien in Los Angeles und Ayahuasca-Experte, beschreibt die Wirkung des Getränks als zumeist relativ milde. 1993 führte er eine Studie mit Ayahuasca-Konsumenten in Brasilien durch, Angehörigen einer Kirche, die dem Elixier frönt. Nach seinen Angaben hatten einige von ihnen in der Vergangenheit starke Probleme mit Alkohol, die aber völlig nachliessen, nachdem sie sich der Gemeinschaft angeschlossen und zwei Mal im Monat Ayahuasca genossen hatten.
Aber Grob zufolge gibt es auch Risiken, vor allem an Orten ohne medizinische Einrichtungen oder angemessene Aufsicht. «Einige Zentren sind gut ausgebildet und haben ein gutes Verständnis von Ethik, aber in anderen mag das nicht der Fall sein», so der Psychiater. Nach seinen Erfahrungen suchen die meisten Ausländer, die wegen Ayahuasca nach Peru kommen, persönliche Heilung und kein psychedelisches Hoch.
Moronci, die italienische Touristin, schwört auf Ayahuasca, ungeachtet der Serie von Todesfällen und Tötungen im Zusammenhang damit. Die 30-Jährige hat Ayahuasca nach eigenen Angaben erstmals daheim in Italien ausprobiert, als sie mit Depressionen kämpfte. Sie schreibt es dem Pflanzenstoff zu, «Wahrheiten» über sich selbst herausgefunden zu haben, die ihr traditionelle Meditation nicht vermitteln konnte. So habe sie eigene Gesundheitsprobleme erkannt – «und ich arbeite jetzt an ihnen».
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