KolumneEben noch beste Freunde, und dann sind da plötzlich Kinder
Von Gabriella Alvarez-Hummel
18.11.2021
Kinder können Freundschaften vor grosse Herausforderungen stellen. Unsere Kolumnistin fordert gegenseitiges Verständnis – und weniger Ignoranz.
Von Gabriella Alvarez-Hummel
18.11.2021, 18:08
19.11.2021, 14:45
Gabriella Alvarez-Hummel
Es ist das mit Abstand meistgewünschte Thema für die Friends-forever-Kolumne: die Veränderung der Freundschaft, wenn eine Person Kinder bekommt. Eine erste Beobachtung kann ich bereits machen. Und zwar haben sich ausnahmslos Menschen gemeldet, die noch keine Kinder haben. Sie scheint dieser Beziehungswandel stärker zu beschäftigen als jene, die Eltern sind.
Dazu habe ich eine Theorie: Die Eltern sind zu müde, um sich mit solchen Fragen zu beschäftigen.
Ich habe keine Kinder. Und was ich zweifelsohne feststellen kann: Meine Freund*innen mit Kindern sehe ich seltener als diejenigen ohne. Hat mich das jemals gestört? Nein. Ich masse mir nicht an, auf der Prioritätenliste meiner Freunde weiter oben zu stehen als ein Wesen, dessen Überleben von ihnen abhängt.
Friends-forever-Kolumne
Elternblogs, Beziehungskolumnen, Familienratgeber: Die Partnerschaft und die biologische Familie haben ihre Bühne. Was aber ist mit Freundschaften? Warum werden sie im öffentlichen Diskurs so vernachlässigt? Diese Kolumne will das ändern. Hast du eine Frage, einen Themenvorschlag oder eine besondere Freundschaftsgeschichte? Immer her damit per Privatnachricht auf Instagram.
Ich verstehe nicht, wie man Dinge sagen kann, wie: Sie hat einfach keine Zeit mehr für mich, mimimi. Die Person schläft mit ziemlicher Sicherheit halb so viel wie du und muss damit klarkommen, dass sich das eigene Leben gerade komplett und für immer auf den Kopf gestellt hat.
Und du stellst dich in den Mittelpunkt?
Elternschaft ist nicht gleich Windeln wechseln
Von einem ausgeprägten Beispiel solcher Ignoranz war kürzlich in der NZZ zu lesen. Der Journalist heulte sich darüber aus, dass sich seine Freund*innen – wenn er sie denn überhaupt mal zu Gesicht bekomme – über nichts anderes als ihre Kinder unterhielten. Mich liess der Gedanke nicht los, dass sie ihn wahrscheinlich eher deshalb meiden, weil er ein ziemlicher Vollpfosten von Freund ist, nicht weil sie Eltern sind.
Wie kann man Elternschaft dermassen beschränkt begreifen, als ginge es nur ums Windeln wechseln? Und weil man ja ein prominentes Beispiel braucht, um seine langweiligen Theorien zu bestätigen, zog der Journalist über «Kinder-Ultra» Hazel Brugger her. Selbst sie habe es jetzt erwischt, sie kenne kein anderes Thema mehr, seit sie Mutter ist. Hazel schoss natürlich gekonnt zurück:
Freundschaften gehen durch Phasen. Menschen auch. Alles verändert sich. Und das ist auch in Ordnung so. Die frischen Eltern von heute werden in ein paar Jahren wieder mehr Zeit haben. Und vielleicht bist du dann die Person mit dem Baby, die froh ist, wenn niemand Apéro-Ansprüche an dich stellt.
Ist das noch Freundschaft?
Freundschaft bedingt doch gegenseitiges Verständnis. Liebe Freund*innen von Eltern: Könnt ihr versuchen, es weniger persönlich zu nehmen, wenn man nicht mehr so viel Zeit für euch hat? Und liebe Eltern: Die Probleme eurer kinderlosen Freundinnen sind auch wichtig, auch wenn sie im Vergleich zu eurem Leben klein erscheinen.
Besonders schön finde ich ja verständnisvolle Ehrlichkeit: Lieber Freund, ich vermisse dich, und das ist kein Vorwurf.
Zur Autorin
zVg
Gabriella Alvarez-Hummel ist freie Journalistin. Ihre langjährigen Freund*innen sind ein grosser Grund, weshalb sie sich nach fünf Jahren auf Reisen und in Buenos Aires nun wieder für unbestimmte Zeit in Zürich niedergelassen hat.