KolumneWerden Mütter beruflich diskriminiert – ja oder nein?
Mara Ittig
18.3.2019
«Bluewin»-Kolumnistin Marianne Siegenthaler findet, dass junge Mütter keinesfalls beruflich diskriminiert werden, sondern einfach zu hohe Ansprüche stellen. Redaktorin Mara Ittig sieht das völlig anders und fordert endlich mehr Teilzeit für alle.
Im Folgenden erklären die Autorinnen jeweils, warum es Teilzeit gar nicht braucht beziehungsweise sie unbedingt vonnöten ist:
Mami im Job diskriminiert – aber gar nicht!
Eine junge Mutter prangert in einem Boulevard-Medium ihren Arbeitgeber an, sie diskriminiert zu haben. Was ist passiert? Sie wollte ihr Pensum nach dem Mutterschaftsurlaub für ein Jahr auf 50 Prozent herabsetzen und nachher wieder aufstocken. Ihr wurde gekündigt.
Sofort meldeten sich weitere Mütter, die angeblich diskriminiert wurden, in den Kommentarspalten ging es rund. Kann man aber vom Arbeitgeber tatsächlich verlangen, dass er seine Einsatzpläne und Jobprofile nach den persönlichen Wünschen von Müttern ausrichtet? Nein. Der Arbeitsmarkt ist nun mal kein Wunschkonzert – für niemanden, auch nicht für Mütter. Und Probleme bei der Jobsuche haben nicht nur Mütter, auch junge Menschen, über 50-Jährige, Unterqualifizierte, Überqualifizierte und, und, und.
Wie die meisten Berufstätigen habe auch ich mich im Laufe meines Berufslebens für einige Stellen beworben, die ich gerne gehabt hätte, aber nicht bekommen habe. Wurde ich womöglich diskriminiert? Weil ich blond bin? Eine Frau? Eine Mutter?
Nein, ich habe schlicht nicht die Vorgaben erfüllt bzw. ein anderer Bewerber oder eine Bewerberin passte einfach besser ins Anforderungsprofil. Und darin steht beispielsweise, um auf die Neu-Mamis zurückzukommen, dass jemand für eine Vollzeitstelle gesucht wird. Und wenn Mami halt nur halbtags kann oder will, dann erfüllt sie das Anforderungsprofil nicht. Der Arbeitgeber schreibt ja die Vollzeitstelle nicht als solche aus, um Mütter zu diskriminieren, sondern weil das für seinen Betrieb optimal ist – oder weil sich das so bewährt hat.
Mal abgesehen davon muss der Arbeitgeber ja während der Abwesenheit der Mutter jemanden einstellen, der die Arbeit macht, denn die erledigt sich nicht von selbst, und die Kolleginnen und Kollegen sind kaum bereit, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen – und das über Wochen oder Monate.
Denn rechtlich ist der Fall klar: In der Schweiz haben alle erwerbstätigen Frauen seit 2005 Anspruch auf einen bezahlten Mutterschaftsurlaub. Insgesamt dauert dieser 98 Tage, also 14 Wochen, und er beginnt ab dem Tag der Geburt des Babys. Viele Frauen nehmen sich eine weitere Auszeit von zwei oder noch mehr Monaten. Je nachdem muss der Arbeitgeber also für ein Vierteljahr oder auch für länger jemanden einstellen und einarbeiten. Und der soll dann wieder entlassen werden? Also – das würde ich dann tatsächlich Diskriminierung nennen.
Fazit: Es gibt nun mal kein Recht auf gutbezahlte Teilzeitstellen nach Wunsch – für niemanden, auch nicht für Mütter. Mit Diskriminierung hat das jedoch nichts zu tun.
Marianne Siegenthaler
Warum wir mehr Teilzeit brauchen
Die Schweiz ist in punkto Gleichstellung ein Entwicklungsland: Wenn es um Lohngleichheit und Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht, teilt sich die Schweiz in Rankings regelmässig die hinteren Plätze mit Ländern wie Südafrika oder Barbados.
Am 22. Februar war in diesem Jahr in der Schweiz Equal Pay Day. Bis zu diesem Zeitpunkt arbeiteten Frauen im Vergleich zu Männern gratis – Lohngleichheit besteht erst seit jenem Datum. Im «Glass Ceiling Index», den der britische «Economist» herausgibt, kommt die Schweiz fast an letzter Stelle, was die Förderung weiblicher Arbeitskräfte angeht.
Auch bei anderen Studien, etwa dem Global Gender Gap Report vom Weltwirtschaftsforum, konkurriert die Schweiz mit Bolivien, Barbados und Südafrika um die mittleren Ränge. Das ist leider kein Witz.
Ein Hauptgrund für die schlechten Platzierungen ist die mangelhafte Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Teilzeitarbeit ist hierzulande immer noch vorwiegend Frauensache – und da vor allem eine Angelegenheit von Müttern. Vollzeit arbeitende Mütter sind gesellschaftlich wenig akzeptiert, finanziell lohnend ist der Spagat wegen der hohen Betreuungskosten oftmals auch nicht.
Dabei würden mehr Teilzeitstellen nicht nur Frauen etwas nützen. Auch viele Männer würden ihr Pensum – mit Kind oder ohne – gern reduzieren. Wieso scheinen die Vorteile von Job-Sharing und Teilzeitarbeit, die beide für eine gute Work-Life-Balance sorgen, vielerorts angekommen zu sein – nur nicht in der Schweiz?
Warum empfinden es in der Schweiz immer noch viele als beispiellose Dreistigkeit und als Symbol einer verweichlichten Anspruchshaltung, wenn jemand sein Bedürfnis anmeldet, nicht mehr sein ganzes Leben der Arbeit widmen zu wollen? Ja, richtig – es gibt kein Recht auf Teilzeitarbeit, aber es gibt unzählige gute Argumente dafür – zumal wir hier von einer wohlhabenden und zumindest in der Selbstwahrnehmung fortschrittlichen Nation reden.
Volkswirtschaftlich betrachtet geht die Rechnung ohnehin nicht auf: Frauen an Hochschulen und Universitäten für viel Geld auszubilden, um sie nach der Geburt der Kinder beruflich versauern zu lassen und gleichzeitig über Fachkräftemangel zu klagen, ist unlogisch. Kinder zu haben und gleichzeitig einer bezahlten Arbeit nachzugehen, das sollte keine Ausnahme sein, sondern selbstverständlich möglich.
Der Arbeitsmarkt ist kein Wunschkonzert? Beide, Arbeitgeber – und ja, sogar Arbeitnehmer – haben Bedürfnisse, die für ein angenehmes und produktives Arbeitsverhältnis wichtig sind. In einem modernen Unternehmen weiss man das. Und sucht nach Lösungen, die beide Parteien befriedigen. Oder wie es Novartis-Präsident Matthias Leuenberger sagt: «Wir wollen als Arbeitgeber attraktiv sein und bleiben. Für die jüngeren Generationen stehen Lohn und Karriere nicht mehr zwingend zuoberst, für sie ist auch die richtige Work-Life-Balance entscheidend.»
Und übrigens, liebe Frau Siegenthaler: Wieso empfinden Sie es als Zumutung, dass ein Arbeitgeber während des Mutterschaftsurlaubes für einen Ersatz sorgen muss, während dies etwa beim Militärdienst offenbar kein Problem ist?
Kommt doch mal in der Gegenwart an!
Mara Ittig
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