Kolumne Weisst du eigentlich, was deine Freunde den ganzen Tag tun?

Von Gabriella Alvarez-Hummel

1.11.2021

«Womit ich mein Geld verdiene? Ich arbeite», lautet ein bekanntes Barney-Stinson-Zitat. «How I Met Your Mother»-Fans waren irgendwann fast neugieriger, was eigentlich Barneys Job ist, als wer die Mutter ist. 
«Womit ich mein Geld verdiene? Ich arbeite», lautet ein bekanntes Barney-Stinson-Zitat. «How I Met Your Mother»-Fans waren irgendwann fast neugieriger, was eigentlich Barneys Job ist, als wer die Mutter ist. 
NBC

Du kennst deine beste Freundin so gut, aber hast keine Ahnung, wie sie acht Stunden täglich verbringt. Unsere Kolumnistin will einen Besuchstag für Freund*innen auf der Arbeit einführen.

Von Gabriella Alvarez-Hummel

Die Arbeit macht einen immensen Teil unseres Lebens aus. Nicht zu wissen, wo, womit und mit wem eine gute Freundin fünf von sieben Tagen verbringt, ist vergleichbar damit, noch nie bei jemandem zu Hause gewesen zu sein. Kann man überhaupt behaupten, jemanden wirklich gut zu kennen, wenn man kaum ein Bild davon hat, was die Person acht Stunden täglich tut?

Meine Freundin K. arbeitet in einem Kinderspital, auf der Abteilung mit brandverletzten Kindern. Wenn ich das jemandem erzähle, schaut das Gegenüber im Normalfall halb mitleidig, halb erschreckt. «Das ist ja voll krass», sagen sie dann. Und ich antworte jeweils: «Ja, voll.» Bis ich mich selber gefragt habe: Ist es wirklich so krass? Wenn ja, wie krass? Und warum?

Was macht meine Freundin, die ich seit 20 Jahren kenne, eigentlich den ganzen Tag? Ich konnte mir nicht im Geringsten ein Bild davon machen.

Wie ist meine Freundin als Chefin?

Klar, sie erzählt oft Geschichten aus dem Spitalalltag, anonymisiert natürlich. Und ich kann mir vorstellen, was eine Pflegefachfrau so tut. Aber es fiel mir wahnsinnig schwer, sie mir in diesem Kontext vorzustellen. Schichtarbeit, in Berufsbekleidung, im steten Kontakt mit Patient*innen, Ärzt*innen und anderen Pflegefachpersonen.

Zum Glück war mein Beruf schon immer die perfekte Ausrede dafür, Orte zu besuchen, an denen ich normalerweise nichts zu suchen habe. Ich fragte K. also, ob ich einen Arbeitstag lang zu Recherchezwecken ihr Schatten sein dürfe.

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K. hat eine leitende Position. Keine Ahnung, welche Art von Chefin sie ist. Wenn ich sie jeweils frage, sagt sie im Scherz: Hart, aber fair! Nach meinem Besuch habe ich eine gute Ahnung davon, was sie damit meint. Auch wenn sie mich einen Grossteil meines Besuchstages mit anderen Leuten mitgeschickt hat.

Wir haben danach darüber gesprochen: Es sei ihr streckenweise zu intim gewesen, dass ich sie bei jedem Schritt beobachtet habe. Auf einmal war ich da, die sie normalerweise in einem völlig anderen Kontext kennt – und sie hatte irgendwie Skrupel, voll und ganz ihr selbstbewusstes Arbeits-Ich zu sein.

Eine interessante Beobachtung hinsichtlich der verschiedenen Rollen, die jeder Mensch innehat – und die einander teilweise jahrelang nicht begegnen.

Den Alltag verstehen

Zur Autorin
zVg

Gabriella Alvarez-Hummel ist freie Journalistin. Ihre langjährigen Freund*innen sind ein grosser Grund, weshalb sie sich nach fünf Jahren auf Reisen und in Buenos Aires nun wieder für unbestimmte Zeit in Zürich niedergelassen hat.

Ich denke über meine anderen Freundinnen und Freunde nach. Wer sind die Chefs und Chefinnen, über die sie sich beklagen, amüsieren oder erfreuen? Was steht auf ihrem Arbeitstisch, wenn sie überhaupt einen haben? Wie verhalten sie sich im Team? Wie nehmen sie das Telefon ab? Wie gehen sie mit Kritik um?

Ich weiss jetzt, dass meine Freundin morgens immer eine Sitzung mit dem Team hat. Ich kenne das Team. Weiss, wie der Raum aussieht, in dem sie sich treffen. Verstehe, was es bedeutet, dass ein Tag im Spital nie so verläuft wie geplant. Dass Pausen nicht selbstverständlich sind. Habe gesehen, wie vielfältig und körperlich anstrengend der Pflegeberuf ist. Die Emotionen gefühlt, die an solch einem Ort allgegenwärtig sind. Die Müdigkeit gespürt nach einem Tag im Frühdienst und einer anschliessenden Sitzung.

Freunde-Tag auf der Arbeit

Als Partnerin oder Partner hat man eher noch Zugang, man wird vielleicht mal zu einem Apéro eingeladen. Aber wer sagt schon zu seinen Teamkollegen: Ich wollte dir schon immer mal meine beste Freundin vorstellen! Eben. Ich finde, wir sollten damit anfangen.

Lasst uns einen Freunde-Tag auf der Arbeit einführen. Oder zumindest versuchen, unsere wirklich guten Freund*innen mehr in unser Arbeitsleben zu integrieren. Ladet euch gegenseitig in eure Mensa ein und zeigt einander im Anschluss den Arbeitsplatz. Nehmt zum Apéro mal die beste Freundin mit statt die Person, neben der man ohnehin schläft. Teilt euren Alltag mit, nicht nur das Motzen oder die Gehaltserhöhungen. Und fragt mal direkt: Was machst du eigentlich den ganzen Tag, so ganz genau?


Friends-forever-Kolumne

Elternblogs, Beziehungskolumnen, Familienratgeber: Die Partnerschaft und die biologische Familie haben ihre Bühne. Was aber ist mit Freundschaften? Warum werden sie im öffentlichen Diskurs so vernachlässigt? Diese Kolumne will das ändern. Hast du eine Frage, einen Themenvorschlag oder eine besondere Freundschaftsgeschichte? Immer her damit per Privatnachricht auf Instagram.