Die Macht der Bilder «Trump will die Mär bewahren, dass es anders ist»

Von Sulamith Ehrensperger

7.1.2021

Ein wütender Mob, Szenen wie in einem Bürgerkrieg: Bilder, die nicht nur Amerika schockieren. Was machen sie mit uns? Antworten von Medienprofessor Roger Blum.

Herr Blum, was ist in Ihnen vorgegangen, als Sie die Bilder gesehen haben?

Demonstrationen vor dem Kapitol gehören ja schon fast zum Alltag. Das hat es allerdings noch nie gegeben, dass der Präsident Demonstranten auf das Parlament hetzt. Mir sind sofort Bilder einer ähnlichen Situation in Russland in den Sinn gekommen: Vor 25 Jahren liess Präsident Boris Jelzin das Parlament von Panzern beschiessen, um einen Machtkampf für sich zu entscheiden. Auch an den Staatsstreich von Napoleon 1799, am 18. Brumaire VIII, habe ich gedacht.

Waren es Bilder, die für Trumps Präsidentschaft stehen?

Zur Person: Roger Blum
Roger BlumOmbudsmann SRG Deutschschweiz2016Copyright: SRF/Oscar Alessio NO SALESNO ARCHIVESDie Veröffentlichung im Zusammenhang mit Hinweisen auf die Programme von Schweizer Radio und Fernsehen ist honorarfrei  und muss mit dem Quellenhinweis erfolgen. Jede weitere Verwendung ist honorarpflichtig, insbesondere auch der Wiederverkauf. Das Copyright bleibt bei Media Relations SRF. Wir bitten um Belegexemplare. Bei missbräuchlicher Verwendung behält sich das Schweizer Radio und Fernsehen zivil- und strafrechtliche Schritte vor.
SRF, Oscar Alessio

Roger Blum war Journalist, Medienprofessor, Präsident des Presserats und der Unabhängigen Beschwerdeinstanz UBI sowie Ombudsmann für die Deutschschweizer SRG-Programme. Er ist mit der Journalistikprofessorin und Journalistin Marlis Prinzing verheiratet und lebt in Köln.

Sie stehen für den Abschluss und für den Übergang seiner Präsidentschaft. Trump will offenbar die 74 Millionen Wählerinnen und Wähler, die ihm ihre Stimme gegeben haben, weiterhin als Opposition hinter sich scharen. Er dürfte in den nächsten vier Jahren Druck machen und alles unternehmen, um die Botschaft zu vermitteln, dass diese Wahl gestohlen und er um sein Amt betrogen worden sei. Er braucht offenbar solche Kommunikation, damit dieser Glaube bleibt und er seine Verschwörungstheorien weiterspinnen kann für seine weiteren politischen Ambitionen.

Trump hat getwittert: ‹Geht nach Hause! Wir lieben euch, ihr seid gute Leute – aber geht nach Hause.› Wie gut hat er aus Ihrer Sicht auf die Geschehnisse medial reagiert?

Er zieht seine Linie bis zum Schluss durch. Seine Absicht ist und bleibt, seine Anhänger und seine eigenen Ambitionen zu befriedigen. Das heisst, er bläst auf Twitter immer wieder ins selbe Horn. Er weiss natürlich ganz genau, dass er die Wahl verloren hat, will aber die Mär bewahren, dass es anders ist. Das macht er auch medial sehr gekonnt.

Schaden ihm die Geschehnisse oder nützt ihm das am Ende gar?

Es gibt in den USA eine ganz starke Tradition, die die Institutionen hoch und heilig hält. Ein Angriff auf den Kongress, wenn Leute eindringen, den Senat entheiligen und das Büro der Sprecherin des Repräsentantenhauses entwürdigen, ist für viele Leute in den USA etwas Schreckliches. Das ist es ja auch aus einer institutionellen Sicht gesehen. Unter den Anhängern von Trump hingegen gibt es viele, die ihn und seine Politik über alles stellen. Denen ist alles recht, das sind Anhänger, die nichts anderes sehen als Trump. Das ist schon fast eine Religion. Seine Art, wie er medial auftritt, wie er twittert, Videobotschaften rausschickt, wie er aufhetzt und dann wieder besänftigt, ist die einzige Richtschnur.

‹Der Einfluss der Medien in Situationen, die wie der US-Wahlkampf sehr emotional sind, wird überschätzt›, sagten Sie mal in einem Interview. Wie gross ist die Wirkung der Bilder, die wir gesehen haben?

Da kommt es auch darauf an, auf welcher Seite jemand steht. Diejenigen, die Institutionen hochhalten und finden, die Demokratie sei ein Geschenk, werden diese Bilder schrecklich finden. Ungehobeltes Volk, das ins Parlament eindringt. Bei denen ist die Wirkung verheerend. Die anderen werden diese Bilder toll finden: Dass man es mal diesem Kongress zeigt, der einen Präsidenten vereidigen will, der eine gestohlene Wahl gewonnen hat. Das sind die beiden Positionen. Die Bilder wirken eindeutig unterschiedlich, je nachdem, wie man denkt.

Trump ist ein Präsident, der durch seine Aggressivität sehr stark polarisiert. Was bringt die aktuelle Berichterstattung für seine weitere Karriere?

Ich denke, dass es für ihn sehr viele weitere Anlässe geben wird, seine Anhänger bei Laune zu halten. Er wird die fehlende Legitimation aus seiner Sicht weiter bewirtschaften und damit vielen seiner Anhänger das Bild vermitteln, dass mit Joe Biden ein Präsident im Weissen Haus ist, der nicht dorthin gehört. Das ist gefährlich. Trump wird weiterhin herumgeistern.

Er löst Gewalt aus, beleidigt Minderheiten und Frauen. Wann belohnt man Trump durch zu viel Aufmerksamkeit?

Wenn Trump und seine Anhänger ein solches Ereignis schaffen, kann man das nicht ignorieren. Die Frage stellt sich aber schon, ob man über jeden Tweet, den er veröffentlicht, berichten soll. Solange er jedoch an offiziellen Ereignissen durch Aktion und Gegenaktion teilnimmt, kommt man nicht darum herum, und das nutzt er natürlich aus. Trump ist als noch amtierender und dann als ehemaliger Präsident eine Person der Zeitgeschichte, das heisst er hat von seiner Person her schon einen grossen Nachrichtenwert. Je nachdem, was er inhaltlich sagt oder macht, steigt der Nachrichtenwert noch mehr.

Wie sollten Medien künftig mit Trump umgehen?

Die klassischen Medien können steuern. Wenn es um nicht gesetzte Ereignisse geht, wenn Trump mal wieder einen Tweet absetzt, kann man den auch verschweigen. Aber wir leben in einer digitalen Gesellschaft, wo die sozialen Medien eine Rolle spielen. Man kann am Journalismus vorbei ein Riesenpublikum erreichen, seine Position vertreten und provozieren. Das bedeutet, dass Medien wie CNN, Fox News oder die ‹New York Times› die Nachrichtenlage und das öffentliche Wissen nicht mehr so kontrollieren können, wie das früher mal der Fall war. Trump wird uns somit weiterhin erhalten bleiben.

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