ErstlingsromanSeraina Kobler: «Mist, ich bin abergläubisch»
Von Bruno Bötschi
8.11.2020
Seraina Kobler erzählt in Ihrem Erstlingsroman von einer schwangeren Frau, die entscheiden muss, ob ihr Kind leben oder sterben soll. Im Interview gewährt sie Einblicke in das Leben als vierfache Mutter, erzählt von Schreibblockaden und übt Kritik am Literaturbetrieb.
Das war an einem Tag, der sich anfühlte wie aus der Zeit gefallen. Zwischen den Jahren, kurz bevor dieses seltsame Corona-Jahr begonnen hat. Hell und dunkel wechselten sich ab vor dem Fenster. Ich kochte kannenweise Tee. Wickelte mich in eine Decke – und schrieb. Irgendwann, ich glaube so gegen drei Uhr nachts, hatte ich das Gefühl: Jetzt ist die Geschichte rund.
Wie lange dauerte es, bis Sie danach einen Verlag gefunden haben, der Ihre Geschichte publizieren wollte?
Zum guten Glück hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits einen. Mit Deadline schreibt es sich viel leichter.
Sie haben maximal fünf Sätze zur Verfügung, um einer Ihnen unbekannten Person zu erklären, um was es in Ihrem Debütroman geht.
Es spielt in einer glühenden Welt. Brennende Vögel fallen vom Himmel. Die Flüsse trocknen aus. Mittendrin eine schwangere Frau, die entscheiden muss, ob ihr Kind leben oder sterben soll.
Erscheint ein neuer Roman, ist das oft mit Lesungen und Besuchen auf Messen verbunden. Wie sieht das zurzeit bei Ihnen aus? Oder anders gefragt: Wie dick ist der Strich, der die Corona-Pandemie durch Ihre Rechnung gemacht hat?
So richtig zeigen wird sich das wohl erst im Rückblick. Aber ich hätte auf der Hauptbühne der ‹Buch Wien› gelesen. In Frankfurt. Und. Und. Und. Zudem wurden zig kleinere Lesungen abgesagt. Hätte ich nur ein berufliches Standbein, würde es ziemlich finster aussehen.
Ihr Buch wurde wohlwollend in der Presse besprochen. Aber ins Feuilleton schafften Sie es damit nicht. Warum?
Ich hoffe, bei Ihrer Frage fehlt das ‹noch› nicht. Es ist aber auch ein spezieller Herbst. Kritiken erscheinen reduziert, weil man wegen fehlender Anzeigen nur noch das absolute Minimum druckt. Dann werden mal primär all die Werke besprochen, die auf den Long-, Short- und Bestsellerlisten stehen. Zudem wurden sehr viele, sehr starke Bücher im Frühling verschoben, die stapeln sich. Für unbekannte literarische Stimmen ist es da schwierig, entdeckt zu werden. Was mich aber freut, sind toll geschriebene Kritiken von Buchbloggern aus Deutschland und Österreich. Es ist schön zu sehen, dass auch Neues entsteht.
Reiner Moritz vom Literaturhaus Hamburg hat Sie ebenfalls kürzlich gelobt. Wie gebauchpinselt fühlen Sie sich?
Ich hatte grosse Freude. Besonders auch, weil das Buch neben ‹Malé› von Roman Ehrlich besprochen wurde. Dort versinkt eine Insel aufgrund der steigenden Meeresspiegel. Doch vorher wird sie noch zu einem Ort ‹zwischen Euphorie und Albtraum›.
Mit der Literatur sei das so eine Sache, heisst es. Es sei ein ziemlich kleiner Kreis von Leuten und Neulinge hätten da kaum eine Chance. Wahr oder nicht?
Die Frage ist hier sicher, was man unter ‹Literatur› versteht. Aber es ist tatsächlich überschaubar, wer etwa in den Jurys vertreten ist. Oder Buchrezensionen schreibt – und somit zum Erfolg eines Titels beitragen. Es gibt aber eine bedeutend grössere Anzahl von Buchhändler*innen, die täglich mit Herzblut Romane verkaufen und in ihren Läden kuratieren. Letztendlich schreiben heute einfach auch viel mehr Leute, was ja eine sehr erfreuliche Entwicklung ist. Darin liegen kräftige Ressourcen verborgen. Und doch wird nicht aus jeder Geschichte ein Bestseller. Wichtig finde ich aber dennoch, dass der Zugang für professionelle Schreibende nicht nur über Institutionen erfolgt. Sondern, dass auch jemand in späteren Jahren noch Schrifsteller*in werden kann.
Ein anderes Problem: Neulinge erscheinen oft zu wenig auf dem Radar von Jurys, die Geld vergeben. In diesen Tagen vergibt die Stadt Zürich Werkbeiträge an Literaturschaffende – wird das Geld nicht jeweils einem ähnlichen Kreis von Personen zugesprochen?
Hier schreiben natürlich auch sehr viele herausragende Literat*innen. Das macht es, zugegeben, nicht gerade einfacher. Auch wenn sich mein Leseherz natürlich freut. Ich denke, es kommt halt auch auf die Lebenssituation an. Wer gerade literarisches Schreiben studiert hat, in einer Wohngemeinschaft lebt und noch keine Kinder hat, kann von ganz anderen Fördermöglichkeiten profitieren. Man kann an mehreren Orten leben und so in verschiedenen Städten Fördergesuche einreichen. Das erhöht die Chancen, oder zumindest die Wahrscheinlichkeit. Zudem gibt es viele Stipendien, die an einen längeren Aufenthalt im Ausland gekoppelt sind. Sobald aber etwa schulpflichtige Kinder da sind, gehen solche Dinge nicht mehr
Sie sind Mutter von vier Kindern. Was geht bei Ihnen?
Gerade jetzt sitze ich am Bett meiner beiden Töchter. Sie schlafen. Ich höre sie atmen. Ein zauberhafter Moment. Und doch heulen die Sirenen durchs offene Fenster, mir scheint es öfters als sonst. Unter der Hochnebeldecke fliegt ein Helikopter in Richtung Unispital. Und ich wünsche mir, dass alles gut bleibt. Sie sehen: Es geht mir nicht anders als uns allen. Nur, dass ich mich einfach viermal mehr fürchte.
Hätten Sie einen konkreten Vorschlag, wie Jung-Autoren*innen besser unterstützt werden könnten?
Der Norden macht es vor. In Norwegen erscheinen etwa alle Bücher, die in professionellen Verlagen herausgegeben werden, in den öffentlichen Bibliotheken. Auch gibt es diverse, breit angelegte Stipendien. Mir geht es nicht darum, mit Ruhm und Ehre überschüttet zu werden. Sondern primar mal darum, einen minimalen Lohn für eine minimale Schreibzeit zu erhalten. Leider lässt sich dieser, in den meisten Fällen, nicht mehr über den freien Markt und den Verkauf finanzieren. Man könnte etwa die Preise vom Fördergeld entkoppeln. Auch für die Lage professionell schreibender Mütter und Väter sehe ich ein grosses Verbesserungspotenzial. Eine andere Idee wäre auch, dass es im ganzen Land bezahlte Tandems unter Autor*innen gäbe. Die schaffen Struktur und sorgen für Vernetzung.
Warum schreiben Sie?
Weil die Stimme in meinem Kopf es mir diktiert? Nein, im Ernst: Ich glaube, Schreiben ist eine Möglichkeit, die Welt durch sich hindurchfliessen zu lassen. Das was hängen bleibt, ist der Stoff für Geschichten. Und weil bei jedem etwas anderes hängen bleibt – auch wenn zwei das exakt Gleiche erlebt haben – entsteht zwischen diesen beiden unterschiedlichen Sichtweisen eine Spannung. Diese zu erkunden, ist es, was mich zum Schreiben bringt. Wie auch zum Lesen.
Wo schrieben Sie Ihren Roman ‹Regenschatten›?
Eigentlich müsste ich jetzt sagen: in einem Palazzo im Bündnerland. Oder in meinem Atelier. In Tat und Wahrheit aber: In den Familienferien an der ligurischen Küste. Nachts auf dem iPod im Bett neben schlafenden Kindern. Oder im Bett tagsüber, weil ich zu müde war von der Nacht. In der Badewanne. Beim Kochen. Was nicht heisst, dass es die ‹richtigen Schreiborte› nicht gebraucht hätte. Für gewisse Schritte waren sie essenziell. Aber wirklich Zeilen gewinnen konnte ich nur dann, wenn ich eigentlich zig andere Dinge zu tun gehabt hätte. Und wenn ich dann endlich Zeit zum Schreiben gehabt hätte, wollte ich wieder zig andere Sachen machen …
Leiden Sie an ADS?
Soweit ich weiss nicht. Warum schreiben sie ‹leiden›? Das ist ja keine Krankheit. Eher eine Art, die Welt wahrzunehmen. Was sich ja im Prinzip mit der Fiktion sehr gut vertragen würde. Denn ich glaube, gerade in dieser Unberechenbarkeit liegt eine grosse Kreativität verborgen. Die muss man aber auch zulassen können. Mitsamt dem ganzen Chaos, die sie im Kopf anrichtet.
Am Anfang war das Chaos, am Ende der Roman ‹Regenschatten›.
Das ist schön gesagt! Wobei: Es handelt sich ja immer nur um eine Momentaufnahme. Das Buch gibt einen winzigen Ausschnitt wieder. Es eröffnete eine Möglichkeit, wie sich die Dinge für einen kurzen Moment zusammenfügen könnten. Bevor sich auch diese Ordnung wieder verflüchtigt.
Leider hatte ich schon länger keine mehr. Denn meist kommen die erst beim Ausschreiben eines Manuskripts. Wenn es darum geht, Notizen und Skizzen in eine Form zu bringen. Bis der Text mit einem spricht. An Fahrt gewinnt. Tut er das nicht mehr, dann gehe ich wieder ein paar Schritte zurück. Bis zu dem Punkt, an dem er verstummt ist. Das bedeutet detektivische Arbeit. Oft hilft es, die Geschichte aus einer anderen Perspektive durchzudenken. Die Figuren und ihre Motivation zu durchleuchten. Und am allerbesten mit jemandem zusammen.
Mit wem haben Sie ‹Regenschatten› gemeinsam durchleuchtet? Und wie oft war es nötig?
Mit meiner Freundin, der Autorin Lea Catrina. Wir sind viele Stunden zusammen über unseren Hafermilch-Cappuccini gesessen. Vielleicht im selben Rhythmus, wie man zur Therapie geht? Nun freue ich mich sehr, erscheint im Frühling auch Leas Debütroman ‹Die Schnelligkeit der Dämmerung›.
Das tönt alles so nett. Ich nehme an, Frau Catrina und Sie werden ab und an auch heftig gestritten haben. Oder?
Wir sind nett! Das Geheimnis liegt vielleicht darin, dass man bis zu einem gewissen Punkt auf jemand anders hört. Aber irgendwann dann eben auch nicht mehr. Ich meine, sonst hätte ich mich mit allen Probeleser*innen zerstritten. Denn es ist ja meistens so: Gibst du einen Text zehn verschiedenen Personen, bekommst du zehn verschiedene Meinungen. Irgendwann verwirrt das nur noch. Dann musst du selbst entscheiden. Ausserdem: Ich habe nicht den Anspruch an meine Prosa, dass sie allen gefallen muss. Letztendlich ist das auch Geschmackssache. Stichwort von weiter oben: Bei jedem bleibt etwas anderes hängen.
Das klingt so, als wäre Ihr zweiter Roman bereits in Planung ...
Ist er! Ich sammle sogar für zwei Stoffe. In der einen Geschichte geht es um das Ende einer Liebe. Um ein Ehepaar, das vor Gericht hochstrittig geschieden wird. Der Roman springt zwischen den verschiedenen Perspektiven, die von der nüchternen Sprache der Gerichtsprotokolle getrennt werden. Am Ende weiss man nicht mehr, wem man glauben soll. Dafür habe ich zig Fälle, die vom Obergericht öffentlich einsehbar sind, studiert. Im Prinzip geht es um Schuld. Und darum, dass Recht und Gerechtigkeit oft zwei verschiedene paar Schuhe sind.
Und was läuft sonst noch?
In einer heissen Sommernacht während des letzten Zürichfests habe ich bis spät in meinem Atelier geschrieben. Es befindet sich in einem knorrigen Wäschehäuschen aus dem Mittelalter im Niederdorf. Da kam mir die Idee einer ermittelnden Seepolizistin. Seither teile ich den Ort mit ‹Rosa Zambrano›. Im ersten Band trennt sie sich von ihrem langjährigen Freund und lässt sich Eizellen einfrieren. Einige Tage später fischt sie den Arzt, der den Eingriff vorgenommen hat, tot aus dem See. Am Ende deckt sie ein Komplott auf, das sich bis in die oberste Gilde von Wissenschaft und Politik zieht. Mir ist wichtig, auch ‹weibliche Themen› in einem Krimi neu zu verhandeln. Etwa die Frage: Wie weit darf eine Mutter für die Gesundheit ihres Kindes gehen?
Sie scheinen nicht abergläubisch zu sein. Andere Autoren*innen geben während des Schreibens eines Romans nicht derart viel preis wie Sie.
Mist, ich bin abergläubisch.
Das Pingpong mit Schriftstellerin Seraina Kobler wurde schriftlich geführt.